Streitkultur:Ach, wie nett

Platzeck, Milbradt und Ramelow - ausgerechnet drei Männer aus den neuen Bundesländern sollen in den Streiks schlichten. Ist das reiner Zufall oder sagt das etwas aus?

Von Cornelius Pollmer

Im Streik der Lokführer wie der Erzieher gab es vor Kurzem eine atmosphärische Wende, die Schlagzeile dazu hätte auch lauten können: "Der Osten bringt den Optimismus zurück". Verfahren waren verfahren, Schlichter wurden berufen - und die Mehrzahl von ihnen ist in Neufünfland polizeilich gemeldet. Bei der Bahn koppelte jener samtbärtige Matthias Platzeck an, der den Kompromiss als "Seele der Politik" definiert. Günter Nooke von der CDU lobte ihn mal viertelgiftig als den "nettesten Ossi, den die SPD hat". Die Lokführer setzten Platzeck den Linken Bodo Ramelow entgegen, Thüringens Ministerpräsidenten. Der wurde im Westen geboren, ist 25 Jahre nach seiner Ausreise aber im besten Sinne ostdeutscher, als die meisten Ostdeutschen es sind. Die Kommunen als Arbeitgeber der Erzieher schließlich baten Georg Milbradt um Schlichtung, Sachsens Ex-Ministerpräsidenten. Politbiografisch geht auch dieser Sauerländer als Ossi durch, als Späthinzugeborener (1990).

Platzeck, Milbradt, Ramelow - warum sollen gerade diese drei in den Streiks schlichten?

Ist sie Zufall, diese Häufung? Womöglich. Sagt sie etwas aus? Unbedingt! Die Streitkultur des Ostens unterscheidet sich noch immer von der des Westens. Zu Vor- und Nachteilen dieses Unterschieds gleich mehr, zunächst zu seinen historischen Ursachen. Im Westen konnte politischer Streit lange eingeübt werden, von den Achtundsechzigern bis Wackersdorf. Das System war kompetitiv, der Streit war es erst recht. Die Konnotation des Wortes: eher positiv. Im Westen platzte beim Streit mal ein Kragen, im Osten konnte der den Kopf kosten. Die Konnotation des Wortes dort, heute noch: eher negativ. Unfreiheit im Großen aber ließ Kooperation im Kleinen blühen. Und nach dem Mauerfall? Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung, Komplettumbau der Gesellschaft. Es gab zu schnell zu viel zu tun, als dass Zeit geblieben wäre, Details auszufechten. Anpacken statt anblaffen.

Daran ist vieles vorteilhaft für die kleineren Gefechte von heute: Der Wille zum Konsens siegt häufiger mal über das Ego. Auch hilft die existenzielle Erfahrung, dass es doch immer einen Weg gibt, egal wie hart die Fronten sind. In Summe kann da eine gelassene Selbstverpflichtung auf Ergebnisse stehen, mögen sie manchmal auch bescheiden sein.

Für die Schlichtung eines Streiks sind das hervorragende Qualitäten. Die Schwächen dieser Kultur sind eher im Alltag zu beobachten, nicht nur im parlamentarischen. Es fehlt den echten wie assoziierten Ost-Politikern zuweilen an Kontur und an Klarheit in der Artikulation von Positionen. Das nährt den Elitenzweifel derer, für die Politiker ungefähr so viel zu sagen haben wie ein Handtrockner und die deswegen montags auf die Straße gehen. (Und denen es übrigens oft ebenfalls an positiver Streiterfahrung fehlt.)

Bis auf Thüringen werden alle Ost-Länder gerade von leisen Charakteren regiert. Das kann man sympathisch finden, aber es birgt Gefahren. Es ist gut, wenn Debatten früh und in Breite geführt werden, wenn sie also nicht über den Umweg der Straße und von populistischen Vorsprechern kontaminiert der Politik erst aufgezwungen werden müssen. Und es wäre gut, wenn sich Ost-Politiker hörbarer in solche Debatten einbrächten. Über den Osten wird oft gesprochen - die Seinen artikulieren sich nur selten. Auch darin liegt eine Ursache für das schwindende Gefühl gesellschaftlicher Teilhabe.

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