Streitkräfte:Das Wirrwarr bei der Verteidigung schadet Europa

EU-Außenministertreffen in Brüssel

EU-Außenministertreffen in Brüssel.

(Foto: dpa)

Wie ernst die EU im Konfliktfall zu nehmen ist, wird von ihren militärischen Fähigkeiten abhängen - vor allem aber von der Bereitschaft, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Und das schnell.

Kommentar von Daniel Brössler

Wenn es um Verteidigung ging, war im integrierten Europa über Jahrzehnte immer nur auf eines Verlass: den Abwehrreflex. Europa mochte wirtschaftlich und politisch zusammenwachsen, das Militärische blieb ausgeschlossen. Zur bewegten Gründungsgeschichte der Gemeinschaft, die heute EU heißt, gehört das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Das französische Parlament sagte Nein, damals im Jahr 1954. Anschließend hat es - aus einer Reihe von Gründen - niemand mehr ernsthaft versucht.

Mit der von 23 EU-Staaten auf den Weg gebrachten "Ständigen strukturierten Zusammenarbeit" in der Verteidigung (Pesco genannt) verbindet sich nun nicht weniger als der Anspruch, die Ära der militärischen Unzuständigkeit zu beenden. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als folge die EU hier der Richtung, die Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron im September in seiner großen Rede an der Sorbonne vorgegeben hat. Ganz so ist das nicht.

Ohne die seit mehr als einem Jahr laufenden Vorarbeiten zum Aufbau einer Verteidigungsunion hätten Macrons Überlegungen zur "Souveränität" Europas reichlich illusionär geklungen. Das Votum der Briten für den Brexit und die Wirren der Trump-Präsidentschaft haben nicht nur bei Deutschen und Franzosen den Wunsch nach mehr europäischer Verantwortung in Sachen Verteidigung verstärkt. Nur so wurde die Startrampe für Macrons hoch fliegende Pläne gebaut.

Die kollektive Verteidigung bleibt Sache der Nato

Bislang leisten sich die Europäer 17 Panzertypen, 29 Arten von Fregatten und Zerstörern sowie 20 Sorten von Kampfflugzeugen. Die Prozeduren für gemeinsame Militärmissionen sind kompliziert, die Finanzierungsmodalitäten abenteuerlich. Was nun ansteht, ist also weder die Bildung einer Militärallianz noch die Gründung einer europäischen Armee. Es ist das ehrenhafte und auch ehrgeizige Ziel, erst einmal vernünftig zu kooperieren.

Auch im Erfolgsfalle läuft das sinnvollerweise nicht auf eine Konkurrenz zur Nato hinaus. Der EU-Vertrag verspricht Mitgliedern im Falle eines Angriffs zwar Hilfe. Eine belastbare Beistandsklausel vergleichbar mit Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages enthält er aber nicht. Die kollektive Verteidigung bleibt Sache des westlichen Bündnisses. Idealerweise würde die EU die Nato entlasten und ergänzen. Es ist bezeichnend, dass die vor Jahren gebildeten Battlegroups der EU noch nie zum Einsatz gekommen sind. Macron hat recht: Die Union schuldet sich und der Welt die Fähigkeit zum eigenständigen Handeln.

Eine ganze Reihe von Vorhaben im Rahmen der Pesco sollen die europäischen Streitkräfte in die Lage versetzen, schneller und besser gemeinsam zu agieren. Das ist sinnvoll, schafft womöglich Handlungsoptionen, aber es führt nicht auch zwingend zum Handeln. Die Frage, wie ernst das "souveräne" Europa im Konfliktfall zu nehmen ist, wird von militärischen Fähigkeiten abhängen - vor allem aber von der Bereitschaft, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Und das schnell.

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