Streit vor Gericht:Bundestag hat jahrelang Scheinselbständige beschäftigt

Streit vor Gericht: Daniel Moucha, auf einer Spree-Brücke im Bundestagsgelände, hat Bürgern das Parlament erklärt. Laut Gericht hätte er angestellt sein müssen. Foto:

Daniel Moucha, auf einer Spree-Brücke im Bundestagsgelände, hat Bürgern das Parlament erklärt. Laut Gericht hätte er angestellt sein müssen. Foto:

(Foto: Regina Schmeken)
  • Der Bundestag soll jahrelang mehr als 100 Mitarbeiter als Scheinselbständige beschäftigt haben.
  • 3,5 Millionen Euro an Sozialbeiträgen musste das Parlament bereits nachzahlen.
  • Trotzdem will die Bundestagsverwaltung im Rechtstreit nicht nachgeben.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die meisten hätten längst aufgegeben, Daniel Moucha, 45, hat durchgehalten. Neun Jahre ist er als mobiler Öffentlichkeitsarbeiter für den Bundestag durch Deutschland gefahren, hat den Bürgern auf Messen und Wanderausstellungen erklärt, wie das Parlament funktioniert und was die Abgeordneten für sie tun. Ungefähr ebenso lang lag er mit seinem ehemaligen Auftraggeber, der Verwaltung des Bundestags, im Rechtsstreit. Nun hat Moucha in vorläufig letzter Instanz vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg gewonnen. "Ich wusste, dass ich im Recht bin. Es war nur nicht klar, ob ich es bekommen würde", sagt er.

Sein Albtraum begann 2009, als er in eigener Sache vorstellig wurde. Damals wandte er sich an die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Es ging um die Frage, ob die Bundestagsverwaltung ihn und seine Kollegen als freiberufliche Honorarkräfte einsetzen darf oder als Arbeitnehmer anstellen muss. Im Amtsdeutsch nennt man das Statusfeststellungsverfahren. "Ich habe dabei nur meine Rechte wahrgenommen", sagt er. In der Bundestagsverwaltung kam das aber gar nicht gut an. Er sei dort "als Querulant diskreditiert" und "systematisch ruiniert" worden. Moucha erhielt jedenfalls keine Aufträge mehr und wurde arbeitslos, obwohl ihm die Rentenversicherung per amtlichem Bescheid recht gegeben hatte. Der Bundestag hätte ihn demnach anstellen und für ihn Sozialabgaben zahlen müssen.

Die Vorschriften sind eindeutig: Wer über seine Arbeitszeit in einer eigenen Betriebsstätte frei verfügen kann und ein unternehmerisches Risiko trägt, gilt als selbständig. Wer in einem Betrieb arbeitet, von Vorgesetzten Weisungen erhält und nicht bestimmen kann, was, wie lange und wo er arbeitet und wie er sich dabei anziehen darf, gilt als Arbeitnehmer. Letzteres traf aus Sicht der Rentenversicherung auf Moucha zu. Er wurde als nicht selbständig eingestuft. Ausgerechnet der Bundestag, dessen Abgeordnete per Gesetz genau solche Praktiken verhindern wollen, hat also Mitarbeiter als Scheinselbständige eingesetzt, für die keine Sozialabgaben, kein Lohn bei Krankheit, kein Urlaubsgeld fällig werden.

Die Verwaltung des Parlaments gab aber nicht nach, legte Klage gegen den Bescheid der DRV ein. Moucha wurde zu einem Musterfall für die Frage, ob es im Bundestag beim Umgang mit Mitarbeitern unrecht und billig oder korrekt zugeht.

Das Landessozialgericht schlug sich nun auf seine und die Seite der Rentenversicherung: Moucha habe "kein Unternehmerrisiko" getragen und kein "eigenes Kapital oder eigene Arbeitsmittel" eingesetzt, heißt es in dem Urteil. Die Bundestagsverwaltung habe "Gegenstand, Ort und Zeit der Tätigkeit" einseitig vorgegeben. Daher spreche "mehr für eine abhängige Beschäftigung als eine selbständige Tätigkeit". Eine Revision vor dem Bundessozialgericht ließen die Richter nicht zu.

Ärger mit den Betriebsprüfern der Rentenversicherung hat der Bundestag schon lange. Diese kontrollieren bei allen Arbeitgebern, ob sie wirklich für jeden, der offensichtlich nicht selbständig arbeitet, Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zahlen.

3,5 Millionen Euro an Sozialbeiträgen musste das Parlament bereits nachzahlen

Im Bundestag wurden die Prüfer dabei mehrmals fündig: Nach ihren Erkenntnissen hat die Verwaltung des Parlaments insgesamt wohl deutlich mehr als 100 Mitarbeiter als Scheinselbständige beschäftigt. Die Bundestagsverwaltung musste deshalb bislang fast 3,5 Millionen Euro an Sozialbeiträgen an die DRV nachzahlen. Dies hat ein Sprecher des Parlaments der Süddeutschen Zeitung  mitgeteilt.

Es ging und geht dabei um drei Gruppen von Mitarbeitern: die Besucherführer, die Vorträge etwa zur Geschichte des Reichstags halten, Besucherbetreuer, die mittlerweile als studentische Aushilfskräfte angestellt sind, und die mobilen Öffentlichkeitsarbeiter wie Moucha. Bislang bekannt war, dass die Bundestagsverwaltung deshalb für die Jahre 2006 bis 2010 knapp 2,5 Millionen Euro an Sozialbeiträgen nachzahlen musste. Eine weitere Million wurde inzwischen für etwa 60 Mitarbeiter in der mobilen Öffentlichkeitsarbeit für den Zeitraum 2010 bis 2013 fällig. Diesen Bescheid bekam der Bundestag Anfang des Jahres.

Die Bundestagsverwaltung will aber nicht nachgeben. Um den Status der gut 40 Besucherführer wird nach wie vor mit der Rentenversicherung gestritten. Und auch bei den mobilen Öffentlichkeitsarbeitern wie einst Moucha könnte der Rechtsstreit nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg weitergehen. Der Bundestag prüft nach eigenen Angaben, ob gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt wird. Weder Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), noch die Vizepräsidentinnen Ulla Schmidt (SPD) und Petra Pau (Linke) wollten sich deshalb zu dem Fall äußern.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Katja Keul, die schon 2010 in der zuständigen Kommission des Ältestenrats des Bundestags zum Einlenken aufforderte, hat dafür überhaupt kein Verständnis: "Die Bundestagsverwaltung hat sich in dieser Angelegenheit leider völlig uneinsichtig gezeigt." Keul spricht sich dafür aus, die betroffenen Mitarbeiter schleunigst sozialversicherungspflichtig anzustellen. "Der Bundestag muss als Arbeitgeber ein Vorbild sein, wenn es darum geht, sich an die eigenen Gesetze zu halten." Dem sei die Bundestagsverwaltung in den beanstandeten Fällen nicht gerecht geworden, was dem Ansehen des Bundestags erheblich geschadet habe, sagt sie.

Moucha fühlt sich jetzt rehabilitiert. Er sei, sagt er, "aber tief enttäuscht von den Abgeordneten, die dem Treiben ihrer Verwaltung zugeschaut und nicht eingegriffen haben."

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