Streit und Austritte bei der Linkspartei:Verraten und verkauft

Aufruhr in der Linkspartei wenige Tage vor der Hessen-Wahl: Reihenweise Austritte in Hessen, in der Bundespartei gärt es, weil ein Parteigrande eine Bresche in die Anti-Hartz IV-Front zu schlagen droht.

T. Denkler, Berlin

Günther Biernoth gehört zu den wenigen in der Linkspartei, die es in die Bild-Zeitung schafften. Er hat am Montag sogar einen kleinen Kasten auf der Seite zwei ganz oben. Nicht wegen seiner politischen Fähigkeiten. Eher, weil er sich selbst als "Hexe" bezeichnet, Ursus mit Namen, oder auch als "heidnischer Priester". Ansonsten ist Biernoth Kandidat der Linkspartei für den hessischen Landtag. Am Sonntag wird gewählt.

Streit und Austritte bei der Linkspartei: Der Ballon könnte bald platzen: Die Linkspartei im Superwahljahr 2009.

Der Ballon könnte bald platzen: Die Linkspartei im Superwahljahr 2009.

(Foto: Foto: dpa)

Wenn es Biernoth in das Landesparlament schafft, dann kann das tatsächlich nur etwas mit Hexerei zu tun haben. Biernoth kandidiert weit abgeschlagen auf Platz 52 der Landesliste. Wenn die Linke überhaupt den Wiedereinzug ins Parlament schafft, dann kann sie mit kaum mehr als acht Plätzen rechnen.

Die Chancen auf Wiedereinzug stehen schlechter, als die auf Ersteinzug Anfang 2008. Damals zog die Linke mit knapp über fünf Prozent in den Landtag ein. Aber damals war noch Aufbruchstimmung. Die Linke schien unbesiegbar. Aus der Ostnische heraus sollte die Partei die Westparlamente erobern. In Bremen, Niedersachen, Hessen und Hamburg ist die Strategie bisher aufgegangen. Nur die Bayern haben sich der Linken verwehrt.

Jetzt ist Katerstimmung. In Hessen muss die Linke bangen. Die Prognoseinstitute sehen sie bei wackeligen fünf Prozent. Aber statt zu kämpfen, macht die Linke im Moment alles, um knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde zu landen.

Der Landesverband ist tief verunsichert. Die Affäre um Abgeordnetenmitarbeiter, die ihr kärgliches Gehalt mit Hartz IV aufstocken lassen mussten, war schon nicht gerade die feine linke Art. Jetzt die bemerkenswert massiven Austritte von Dutzenden hessischer Genossen, die sich gelinkt, ausgebootet und falsch verstanden fühlen. Noch am Montag haben 13 Linkspartei-Mitglieder ihr Parteibuch abgegeben, darunter Landesvorstandsmitglied Martina Walter.

Mit Baunatal steht seit vergangener Woche praktisch ein ganzer Ortsverband auf der Verlustliste. Und mit Piet Metz hat immerhin ein einstiger Spitzenkandidat der Linken die Partei verlassen. Ein Schritt, den der jetzt Ex-Landesvorständler begründet mit der "katastrophalen inneren Verfasstheit" der hessischen Linken. In der Partei werde ein Umgang gepflegt, der mit dem "Verhör eines Verbrechers" verglichen werden könne. Die Linke biete ein "Panorama des Elends".

Enttäuschung macht sich breit. Auch in der Bundespartei. Über den patriarchalen Führungsstil der Herren Lafontaine und Gysi im fernen Berlin. Über einsame Entscheidungen, wie die, den Schauspieler Peter Sodann zum Kandidaten der Linken für die Bundespräsidentenwahl zu machen.

Der Kandidat berichtet von sich, morgens auf der Toilette Kreuzworträtsel zu lösen, um dann mit "zwei Erfolgserlebnissen" in den Tag starten zu können. Das gehörte nach Beobachtermeinung zu seinen geistreicheren Beiträgen im Argumentationswettkampf der Präsidentschaftsbewerber.

Kritiker werden nicht gerne gesehen. Die Partei, die in diesem Punkt so anders sein wollte, reagiert heute auf unliebsame Genossen gerne mal mit Entmachtung. In Sachsen traf es den Landtagsabgeordneten und Dresdner Stadtrat Ronald Weckesser, der lediglich im Namen der Stadt Dresden der Opfer des 11. September 2001 gedenken wollte.

Dummerweise hatten Rechte im Stadtrat die Abstimmung für sich instrumentalisiert. Weckesser hob die Hand mit den Falschen. Er verlor sämtliche Posten in der Landtagsfraktion. Übrig bleibt ihm ein Mandat in wachkomatösem Zustand.

André Brie, einst Vordenker der Linken, darf nicht mehr für das Europaparlament kandidieren. Der Bundesauschuss der Partei verwehrte ihm am Wochenende einen Listenplatz. Er selbst vermutet, seine proeuropäische Haltung stoße den Parteiführern in Berlin sauer auf. Und was die sagen, hat Gewicht.

Brie sagt, dass der Erfolg der Linkspartei viel mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zu tun habe. Vielleicht zu viel. Für eine Zukunft nach Lafontaine und Gysi "fehlt uns noch Substanz, personell und politisch", sagt Brie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Partei-Vize Klaus Ernst seine Genossen provoziert.

Verraten und verkauft

Als würde das nicht reichen, provoziert jetzt Partei-Vize und Ex-WASG-Chef Klaus Ernst mit einen spannungsreichen Papier zum Lieblingsthema der Linkspartei: Hartz IV. Bisher stand außer Frage: Hartz IV abschaffen, das ist der Schlachtruf der Partei, Teil des Gründungsmythos der Linken.

Streit und Austritte bei der Linkspartei: Auf scharf-links.de lassen sich schon erste Karikaturen gegen Partei-Vize Ernst bewundern.

Auf scharf-links.de lassen sich schon erste Karikaturen gegen Partei-Vize Ernst bewundern.

(Foto: Screenshot: scharf-links.de)

Klaus Ernst scheint es damit weniger eilig zu haben. Er schlägt in einem Eckpunktepapier für die an diesem Dienstag beginnende Fraktionsklausur in Frankfurt vor, die Hartz-Gesetzgebung - in modifizierter Form - erst mal beizubehalten. Höhere Regelsätze, irgendwann eine neue Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitslosengeld.

Vor allem sorgt für Unbill, dass Ernst Sanktionen und Regelsatzkürzungen für Hartz-IV-Empfänger weder ablehnt noch eine Höchstgrenze für Kürzungen benennt. Seine Gegner legen ihm das so aus, als würde er Leistungskürzungen von bis zu 100 Prozent des Regelsatzes akzeptieren. Partei-Vize Katja Kipping spricht von einem Modell "Hartz-IV-Light", das Ernst etablieren wolle.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb der frisch ausgetretene Stadtverordnete Helge Welker aus dem hessischen Rosbach bemängelt, Arbeiter und Arbeitslose würden von der Linken "verraten und verkauft".

Klaus Ernst als feister König

Im Internet kursiert schon das Bild eines feisten Königs mit dem Gesicht von Klaus Ernst, der mit goldberingten Fingern auf einen armen Obdachlosen zeigt. Im Vorfeld der Fraktionsklausur war aus der Partei heraus gar eine "Briefaktion" gegen Ernst und sein Eckpunktepapier gestartet worden.

Adressaten: die Bundestagsabgeordneten der Linken. Forderung: den Ernst-Vorschlägen nicht zustimmen. Auf Betreiben von Katja Kipping wurde die Beratung des Papiers am Montag von der Tagesordnung gestrichen.

Ernst sieht sich jetzt in der seltenen Lage, sich von der Führerin der kommunistischen Plattform, Sahra Wagenknecht, verteidigen lassen zu müssen. Ernst sei weiterhin dafür, Hartz IV abzuschaffen. Sein Eckpunktepapier, das sie unterstütze, sei deshalb "ein erster Schritt, aber kein langfristiges Konzept", sagte Wagenknecht sueddeutsche.de.

Offen ist jetzt, wann die Linkspartei entscheiden will, welche Art der Grundsicherung sie sich vorstellt. Gut möglich, dass es damit vor der Bundestagswahl nichts wird. Ein Konzept, das dem Eckpunktepapier von Klaus Ernst auch nur entgegenkommt, könnte schließlich parteischädigenden, weil erfolgmindernden Charakter haben.

Hinzu kommt die hessische Erfahrung, dass die Linke einiges mit sich machen lässt, wenn sie dafür an den Fleischtöpfen der Macht mitschlabbern darf. In den Tolerierungsverhandlungen für eine rot-grüne Minderheitenregierung hat die knallharte Oppositionspartei plötzlich handzahme Regierungstauglichkeit beweisen wollen.

Zum Fanal wurde der Beschluss, statt mit einen Mindestlohn von 8,71 Euro auch mit einem von 7,50 Euro leben zu können. Das aber ist schon fast ein sozialdemokratischer Wert.

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