Streit um US-Raketenabwehr:Putin spricht von Vergeltung

Im Streit um die Installierung eines US-Raketenschilds in Osteuropa hat Russlands Präsident Putin seinen Ton weiter verschärft: Durch die US-Pläne werde die strategische Balance in der Welt gestört und Moskau werde gezwungen zu reagieren.

Im Streit über den geplanten Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa hat der russische Präsident Wladimir Putin mit "Vergeltungsschritten" gedroht.

Putin sagte vor ausländischen Journalisten in Moskau, weder der Iran noch Nordkorea verfügten über die Raketen, vor denen das System schützen solle. Er deutete damit an, dass der Schild gegen Russland gerichtet sei.

"Man sagt uns, dass das Raketenabwehrsystem auf etwas zielt, das gar nicht existiert. Erscheint Ihnen das nicht komisch, gelinde gesagt?", fragte Putin. Das geplante System werde einen wesentlichen Teil des amerikanischen Atomarsenals in Europa bilden.

"Das verändert einfach die gesamte Konstellation der internationalen Sicherheit." Er hoffe jedoch, dass die US-Regierung ihre Pläne in Bezug auf die Raketenabwehr noch ändern werde.

"Möglichkeit eines nuklearen Konflikts"

"Wenn das nicht geschieht, weisen wir die Verantwortung für unsere Vergeltungsschritte zurück, denn wir sind nicht die Initiatoren des neuen Wettrüstens, das ohne Zweifel in Europa brodelt", sagte Putin weiter. Das strategische Balance in der Welt werde umgeworfen.

Im Nachrichtenmagazin Spiegel hatte Putin zuvor gewarnt, dass durch das Vorgehen der USA "die Möglichkeit zur Entfesselung eines nuklearen Konflikts sogar größer" werde. Die strategische Balance in der Welt werde gestört, Moskau werde "gezwungen zu reagieren".

In einem Interview der italienischen Zeitung Corriere della Sera hatte Putin gesagte, die US-Pläne würden Moskau zwingen, eigene Raketenziele in Europa zu finden. "Natürlich, ja", antwortete Putin auf die Frage, ob das geplante Projekt Washingtons die russische Regierung drängen würde, wie im Kalten Krieg ihre Raketen gegen europäische Städte oder amerikanische Militärziele zu richten.

Die USA schlagen im Streit über die Raketenabwehr unterdessen beschwichtigende Töne an. "Ich glaube, dass es außerordentlich sinnvoll wäre, amerikanische und russische Technologie zu kombinieren", sagte der Beauftragte der US-Regierung für Raketenabwehr, Henry Obering, dem Nachrichtenmagazin Spiegel.

Obering sagte: "Wenn wir uns mit Russland zusammentäten und gemeinsame Abwehrsysteme aufstellten, die im Grunde diese Waffen unbrauchbar machen würden, wäre das ein perfektes Zielkonzept."

Regionale Raketenabwehr als Alternative

Er wies den Einwand zurück, die USA seien auf das Raketen-Abwehrsystem nicht angewiesen, weil sie über eine ausreichende atomare Abschreckungsfähigkeit verfügten. "Im 21. Jahrhundert muss man mit Organisationen und Staaten rechnen, die nicht abschreckbar sind", sagte Obering.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte dafür, Russland in das Projekt mit einzubeziehen. Sie sagte dem Spiegel, sie sei für eine Kooperation beider Staaten. "Man könnte zum Beispiel versuchen, bestimmt technische Komponenten gemeinsam zu machen, man könnte Tests sehr transparent durchführen, Daten austauschen", sagte die CDU-Politikerin.

Als Alternative zu den umstrittenen US-Plänen schlug Russland unterdessen seine Mitarbeit an einem regionalen Raketenabwehrsystem der NATO vor. Es sei zwecklos, sich gegen nichtexistierende Bedrohungen schützen zu wollen, sagte Außenminister Sergej Lawrow dem Fernsehsender Rossija.

Besser sei es, im Rahmen des NATO-Russland-Rats die Arbeiten an einem regionalen Raketenabwehrsystem wiederaufzunehmen. Die Nordatlantische Allianz will dieses Abwehrsystem gegen Raketen mit geringerer Reichweite bis 2016 entwickeln. Konsultationen über eine mögliche russische Beteiligung blieben bislang erfolglos.

Moskau hofft, die Schaffung eines gemeinsamen Systems, bei dem auch russische Technik zum Einsatz kommt, könne seiner Rüstungsindustrie zu Gute kommen und dem Einfluss der USA in Europa etwas entgegensetzen.

Der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek warf Moskau vor, mit der Diskussion über den Raketenschild von eigenen Schwierigkeiten ablenken zu wollen. "Russland braucht einen äußeren Feind, um Probleme zu Hause zu verbergen", sagte er im tschechischen Fernsehen.

Es sei offensichtlich, dass die in Tschechien geplante Radarstation und die Abfangraketen in Polen Russland nicht bedrohten. Die Regierung in Moskau täusche die Öffentlichkeit absichtlich.

US-Präsident George W. Bush wird heute Abend zu einem Kurzbesuch in Prag eintreffen, bei dem auch über das geplante Raketenabwehrsystem gesprochen wird. Für das Abwehrsystem plant die US-Regierung, in Tschechien eine Radarstation und in Polen Abfangraketen zu installieren.

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