Streit um Überwachung:Studie schürt Zweifel an Vorratsdatenspeicherung

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Wie wichtig ist die Vorratsdatenspeicherung zur Verhinderung von Terroranschlägen? Ein Gutachten zieht den angeblich so großen Nutzen der Maßnahme in Zweifel. Doch die Studie, die an diesem Freitag dem Rechtsausschuss des Bundestags vorgelegt wird, zeigt auch gravierende Lücken auf.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die sechsmonatige Speicherpflicht für Telefon- und Internetverbindungsdaten für verfassungswidrig erklärt - und seither entzündet sich der rechtspolitische Streit immer wieder an der Frage: Hat Karlsruhe dadurch eine Schutzlücke geschaffen? Hätte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die eine Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung nach früherem Muster verweigert, diese Lücke nicht längst schließen müssen? An diesem Freitag wird dem Rechtsausschuss des Bundestages nun ein Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vorgelegt, erstellt im Auftrag des Ministeriums.

Protest gegen Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht: Im März 2010 erklärten die Richter die sechsmonatige Speicherpflicht für Telefon- und Internetverbindungsdaten für verfassungswidrig. (Foto: ddp)

Die Bilanz der 270 Seiten starken Expertise, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, fällt gemischt aus. Einerseits liefert die Statistik keinerlei Belege dafür, dass die Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten durch den Wegfall der Speicherpflicht gelitten hätte. Die Gutachter entlarven viele Warnungen als politische Rhetorik: So gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass auf Vorrat gespeicherte Daten in den vergangenen Jahren zur Verhinderung eines islamistischen Terroranschlags geführt hätten.

Andererseits gibt das Gutachten die Mahnungen zahlreicher Polizei- und Justizpraktiker wieder, die in Interviews befragt wurden. Zwar ist ihre Diagnose wenig überraschend, durch den Wegfall des Datenzugriffs seien manche Ermittlungsansätze völlig weggebrochen; namentlich Polizisten berichten von "großem Frust" bei den Ermittlern. Allerdings ist ihre Kritik durchaus plausibel. Die gravierendste Schutzlücke, so die einhellige Meinung, tue sich bei der Verfolgung der Internet- und Computerkriminalität auf; ein Experte aus Baden-Württemberg verglich die Situation im Internet mit einem Straßenverkehr ohne Autokennzeichen.

Ein zentrales Problem für die Praktiker ist der derzeit gänzlich ungeregelte Zustand; jeder Provider definiere selbst, wie lange er die Daten speichere - normalerweise für sieben Tage, in Einzelfällen länger. Beim Computerbetrug etwa sei dies in der Regel nicht ausreichend, weil die Betroffenen dies selbst oft nur mit Verzögerung bemerkten; das Landeskriminalamt Baden-Württemberg verzeichne für 2010 einen Anstieg der nichtaufklärbaren Fälle um 70 Prozent. Eine Entwicklung, die ihre Ursache offenbar auch darin hat, dass sich die Telekommunikationsdienstleister unter Verweis auf die aktuelle Rechtslage weigern, die zugehörigen Bestandsdaten zur gespeicherten IP-Adresse herauszugeben. Manche Daten, so die Studie, sind nahezu komplett weggefallen, etwa die Nummern eingehender Anrufe und Gerätekennungen.

Sehr kritisch setzen sich die Gutachter (federführend war MPI-Direktor Hans-Jörg Albrecht) mit den angeblichen Belegen auseinander, die in den vergangenen Jahren immer wieder für die Notwendigkeit der Datenspeicherung ins Feld geführt worden waren. Diese Argumente stützten sich oft auf Einzelfälle, die anschließend als "typisch" bezeichnet würden - obwohl dies keinerlei Stütze in der Statistik finde.

Zitiert wird etwa ein Bericht des thüringischen Innenministeriums, das der EU-Kommission 2010 zwei Fallberichte vorgelegt hatte; zum Beweis dafür, dass die Speicherpflicht "unverzichtbar" sei. In einem Fall ging es um eine Raubserie mehrerer Täter, die man anhand von Handydaten hätte identifizieren können. Laut Gutachten ist die Aufklärungsquote bei Banküberfällen aber seit zehn Jahren nahezu gleichbleibend: "Im Jahr 2007, als Vorratsdaten noch nicht zur Verfügung standen, wird die bislang höchste Aufklärungsquote dokumentiert."

Ähnlich verlaufe die Entwicklung bei der Computerkriminalität: Seit dem Jahr 2000 sinke die Erfolgsquote der Ermittler - ein Trend, der auch durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung 2008 nicht unterbrochen worden sei. Bei Mord und Totschlag werden immer mehr Verbrecher gefasst, doch auch hier sehen die Experten keine messbaren Wirkungen der zeitweiligen Speicherpflicht. Was auch ein Blick ins benachbarte Österreich untermauere, wo die Aufklärungsquote im fraglichen Zeitraum so hoch wie in Deutschland gewesen sei - ohne Speicherpflicht.

Harsch gehen die Gutachter mit einer Dokumentation von sieben Tötungsdelikten des Bundeskriminalamts ins Gericht, die bei der Innenministerkonferenz im November 2010 als Beleg dafür genommen wurde, dass nach dem Karlsruher Urteil schwerste Verbrechen unaufgeklärt geblieben seien. Entweder seien in diesen Fällen Verkehrsdaten entbehrlich oder ihr Nutzen zumindest fragwürdig gewesen, so das Gutachten. Jedenfalls spreche das vom BKA vorgelegte Material nicht dafür, "dass durch den Wegfall gespeicherter Verkehrsdaten schwerwiegende Sicherheitslücken wegen Unaufklärbarkeit schwerer Gewalt aufgetreten sind", resümieren die Wissenschaftler. Insgesamt sei die Datenlage seit dem Karlsruher Urteil aber noch dünn.

Intensiv setzen sich die Forscher mit dem Thema Kinderpornographie auseinander, deren Bekämpfung oft als rechtspolitisches Argument für die Speicherpflicht angeführt wird. So hatte der Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie (CDU) 2010 das Zögern bei der Neuregelung der Speicherung mit dem Argument kritisiert, damit werde "unendliches, irreparables und lebenslanges Leid traumatisierter Kinder" ignoriert.

Die Gutachter indes sehen den Nutzen der Daten für die Aufklärung als eher gering an. Gestützt wird dies durch einen Vergleich mit der Schweiz - dort werden seit zehn Jahren Vorratsdaten gespeichert. Das Gutachten hat mehrere Deliktsgruppen verglichen. Fazit: Bei aller Vorsicht könne man feststellen, "dass die Aufklärungsquote in Deutschland in keinem Fall unter den für die Schweiz mitgeteilten Aufklärungsquoten liegt".

© SZ vom 27.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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