Streit um Nivea:Die Farbe Blau

Eine jahrelange Fehde um die Verpackung der Creme soll von den Bundesbürgern entschieden werden - gewissermaßen.

Von Wolfgang Janisch und Angelika Slavik

Diesmal ist es also Blau. Gelb hat es bereits in die Annalen der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschafft, Lila ohnehin, auch mit Magenta haben sich die Damen und Herren in den roten Roben auseinandergesetzt und - apropos - vor Kurzem auch mit der Farbe Rot. Lauter Urteile, die einen sympathischen Unernst in der oft als grau geltenden Juristerei vermuten lassen. Allerdings nur, solange man sie nicht gelesen hat: Farben sind in der Welt der Produkte und Marken hart umkämpft - und die Gerichte haben ein fein ziseliertes System zu deren Schutz entworfen.

Der Firmenlegende nach soll ein früherer Seemann das Dosenblau kreiert haben

An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) also über die Farbe Blau geurteilt, genau gesagt: über die Farbmarke Blau (Pantone 280 C), besser bekannt als Nivea-Blau, das sich die Firma Beiersdorf im Jahr 2007 für Haut- und Körperpflegeprodukte hat eintragen lassen. Ein ehemaliger Seemann soll es gewesen sein, so will es die Beiersdorf-Legende, der als Werbefachmann im Jahr 1925 das Blau der Dose mit der weißen Schrift kreierte. Ob es der von Meer und Himmel geprägte Blick des Werbers war oder doch schon ein wenig Farbenpsychologie hineingespielt hat, sei dahingestellt. Jedenfalls hat sich daraus 90 Jahre später ein Streit der Giganten entwickelt: Der Konkurrent Unilever ist gegen das Dosenblau aus dem Hause Beiersdorf vor Gericht gezogen, und der Prozess ist mit dem Karlsruher Urteil noch nicht zu Ende. Der BGH hat den Fall an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Der Streit um Marken ist längst zu einem juristisch heiß umkämpften Feld geworden. Vor Kurzem verhandelte der BGH über einen Schokobären mit Goldfolie, der aber, wegen der Haribo-Goldbären, nicht Goldbär heißen soll; ein Urteil steht noch aus. Auch "Knopf im Ohr" von Steiff hat die höchsten Richter beschäftigt, oder das rote Fähnchen an der Gesäßtasche einer echten Levi's. Neben all den Formen und Schriftzügen, Bildern und Grafiken nimmt der Schutz der Farben eine Sonderstellung ein. Einerseits ist eine Farbmarke schwer durchzusetzen; Farben müssen grundsätzlich "freigehalten" werden für die Welt des Marketings. "Es gibt eben nur eine gewisse Anzahl von Grundfarben, die nicht alle geschützt werden können", sagt Valeska Töbelmann, Anwältin in der Großkanzlei CMS Hasche Sigle. Beim Deutschen Patent- und Markenamt waren unter den 66 000 Anmeldungen im vergangenen Jahr nur zehn Farbmarken - Erfolg hatte davon nur eine einzige. Insgesamt stehen lediglich gut 100 Farbmarken im Register.

Streit um Nivea: undefined

Andererseits: Wem es gelingt, eine Farbe für sich zu sichern, hat im erbitterten Ringen um Sichtbarkeit einen Vorteil. "Die Farbe ist das primäre Erkennungsmerkmal einer Marke", sagt Klaus-Dieter Koch, Markenstratege und Chef des Beratungsunternehmens Brandtrust. Vor allem bei Artikeln des täglichen Bedarfs bleibe vielen Kunden der Name ihres gewohnten Produkts gar nicht im Gedächtnis. "Die Menschen stehen im Supermarkt oder im Drogeriemarkt vor einem 30 Meter langen Regal und halten Ausschau nach der vertrauten Verpackung. Und das ist dann eben: die blaue oder die rote oder die grüne." Die Farbe habe dabei mit Abstand den höchsten Wiedererkennungswert. Form, Schriftart oder Layout seien für den Großteil der Konsumenten weit weniger einprägsam. "Für die Firmen geht es bei diesen Prozessen um gehobene Millionenbeträge."

Welches Spannungsfeld zwischen freier Farbenwahl und exklusivem Schutz herrscht, zeigt sich am aktuellen Streit um das Nivea-Blau. Dunkelblau, so wissen die Marketing-Psychologen, sendet bei Körperpflegeprodukten zwei Signale aus: Die Lotion für die Nacht oder die Creme für den Mann. Deshalb sehen die Markenjuristen hier zumindest im Grundsatz ein "Freihaltebedürfnis", damit die Signalfarbe nicht für diese Segmente gesperrt wird.

Der Milka-Hersteller hatte vor Gericht Erfolg: Nur er darf seine Schokolade lila verpacken

Hinzu kommt: Blau ist Untersuchungen zufolge die weltweit beliebteste Farbe, dahinter folgt Rot. Deshalb sind diese beiden Farbtöne bei der Werbeindustrie besonders gefragt, wie auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Sparkassen-Rot illustriert. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hatte die Farbe schützen lassen, die österreichische Oberbank und die spanische Santander-Gruppe wollen eine Löschung durchsetzen. Das EU-Gericht hält die Farbe indes grundsätzlich für schützenswert; nun muss das Bundespatentgericht prüfen, ob sich Rot als Sparkassen-Erkennungszeichen bei den Kunden durchgesetzt hat.

Ton der Sympathie

Um Farbe wird nicht nur vor höchsten Gerichten gestritten - manchmal ist die Sache am Gartenzaun zu entscheiden. Aus Nordrhein-Westfalen ist eine erbitterte Nachbarschaftsfehde bekannt. Der Grund: Man kann sich nicht auf die Farbe des Holzlattenzauns einigen. Dunkelbraun soll es für den einen Nachbarn sein. Hellbraun für den anderen. Man einigt sich schließlich auf ein etwas dunkleres Hellbraun, das auch ein etwas helleres Dunkelbraun sein könnte.

Schon der Begriff der Farbpsychologie macht deutlich, dass Irrationales im Spiel ist, sobald man "Farbe bekennt". Das heißt: Beim Streit um das Nivea-Blau geht es natürlich auch ums Geld. Weshalb man annehmen darf, dass der Hamburger Konsumgüterkonzern Beiersdorf als Fabrikant der Nivea-Produktfamilie auch jene Studie aufmerksam verfolgt hat, die 2007 an der Universität Münster durchgeführt wurde.

Um die Bedeutung der Produktverpackung, insbesondere der Farbe für die Markenpräferenz (kaufen oder nicht?) herauszufinden, wurde den Probanden damals zwei verschiedene Nivea-Dosen angeboten. Einmal in Blau, einmal in Rot. Ergebnis: Die Markenpräferenz sank schlagartig von 73 Prozent (blau) auf 57 Prozent (rot). Bei einem Markenwert von 5,9 Milliarden Euro, der für Nivea angegeben wird, kann man sich unschwer ausrechnen, was die Farbe Blau für den Konzern bedeutet. Farbe ist in der Produktwelt auch immer die Farbe des Geldes.

"Farben", so der Marketing-Experte Thomas Urban, "prägen, kontrollieren und steuern das gesamte Denken, Fühlen und Handeln. Die Farbwahl des Produktdesigns suggeriert dem Konsumenten, wie ein Produkt beschaffen ist." In der Farbpsychologie wird Blau, immerhin die Lieblingsfarbe von 38 Prozent der Deutschen, beliebt bei Männern wie Frauen, vor allem mit diesen Begriffen in Verbindung gebracht: Sympathie, Harmonie, Freundlichkeit, Freundschaft, Treue, Vertrauen, Zuverlässigkeit. . .

Blau ist der ideale Sympathieträger. Kein Wunder, dass um diese Farbe auch vor Gericht gestritten wird. Nicht viele Produkte haben es geschafft, unabhängig von Form und Inhalt quasi rein als Farbe verkäuflich zu sein. Nivea gehört dazu.

Die CDU allerdings kann darüber froh sein, dass sich ihr visuelles Konzept eigentlich immer noch nicht so richtig durchgesetzt hat. Vor einigen Jahren wollte man das Bild der Partei aufhübschen - und verfiel, Imageberatern folgend, auf Orange. Zeitgleich kam leider eine Studie zu diesem Ergebnis: "Nach Braun ist Orange die unbeliebteste Farbe der Deutschen." Es symbolisiere das Billige, Modische und Laute.

Blau dagegen ist eine geradezu himmlische Farbe, daher wird sie auch gern anerkannt als die Farbe göttlicher Transzendenz, was aber nicht heißt, dass sich in jedem Nivea-Nutzer nun unbedingt auch ein Messias oder wenigstens ein Fußball-Bundestrainer verbirgt. Gerhard Matzig

Denn auf der anderen Seite muss das Markenrecht Schutz gegen Trittbrettfahrer gewähren - darum geht es letztlich im Nivea-Prozess. Deshalb wurde, wie in solchen Prozessen üblich, eine Konsumenten-Umfrage vorgenommen. Rund 55 Prozent brachten Blau mit den Beiersdorfer Körperpflegeprodukten in Verbindung. Der BGH hält dies, anders als das Patentgericht, prinzipiell für ausreichend, macht allerdings eine Einschränkung: Das Gutachten muss methodisch sauber sein und zudem nach Warengruppen differenzieren, man darf nicht einfach pauschal nach Blau und Körperpflege fragen. Das muss das Bundespatentgericht nun nachholen.

Die Formel lautet: Wenn sich eine Farbe bei den Kunden als Produktkennzeichen etabliert hat, dann kann sie als Marke eingetragen werden. Im Jahr 2004 hatte sich der Milka-Hersteller Kraft Foods gegen einen Konkurrenten durchgesetzt, der eine lila verpackte Gebäckmischung in die Supermarktregale gebracht hatte. Die Farbe Lila sei zum Inbegriff für Milka-Schokolade geworden, weshalb die Gefahr einer Verwechslung bestehe, entschied der BGH. Mit derselben Argumentation hat vergangenes Jahr der Langenscheidt-Verlag seine gelben Wörterbücher verteidigt. Der Hersteller einer Sprachlernsoftware hatte seine Datenträger in gelbe Kartons verpackt. Der BGH untersagte dies, auch hier bestehe Verwechslungsgefahr, hieß es. Die gelbe Farbmarke von Langenscheidt habe sich nach jahrelangem Gebrauch bei vielen Verbrauchern einprägt.

Nur nebenbei: Gelb ist eine gefährliche Farbe. Im deutschen Sprachraum wird sie nach den Worten des Markenstrategen Koch als positiv und energiegeladen wahrgenommen - in einigen südlichen Ländern assoziiere man Gelb dagegen mit dem bevorstehenden Tod. "Das macht Gelb nahezu unbrauchbar, um damit eine global agierende Marke aufzuladen."

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