Keine Ruhe um Papst Benedikt XVI.: Nach der umstrittenen Teil-Rehabilitierung des britischen Bischofs und Holocaust-Leugners Richard Williamson wird er beispielsweise vom TV-Moderator und früheren Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, scharf angegriffen.
"Der Papst ist unglaubwürdig, ein Lügner und ein Heuchler, wenn er den Menschen einerseits verkaufen möchte, er stünde auf der Grundlage der Kooperation, des Zusammenlebens zwischen Juden und Christen, er kämpfe gegen jeden Antisemiten in der Welt und er kämpfe gegen jeden Holocaust-Leugner, aber mitten im Vatikan genau diese Leute mit offenen Armen aufnimmt", sagte er im Hessischen Rundfunk.
Der Papst, so Friedman weiter, mache sich die Hände schmutzig, wenn er diese Leute umarme. Solange der Papst die Rehabilitation des Holocaust-Leugners Williamson nicht rückgängig mache, gebe es kein Gespräch und keinen Dialog mehr zwischen Juden und Katholiken, sagte der in Frankfurt lebende Journalist weiter.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte vom Papst weitere Konsequenzen. Die Reaktion aus dem Vatikan vom Mittwoch sei zwar ein "richtiger Schritt". Dieser reiche aber nicht aus, sagte der Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer. Es gehe nicht nur um den Holocaust-Leugner Richard Williamson, sondern um die Grundsatzfrage des Umgangs mit der Piusbruderschaft.
In der Williamson-Affäre gibt es zahlreiche Kirchenaustritte. Eine Hotline für Ratsuchende hat die katholische Kirche eingerichtet.
Bericht: Williamson hält seine Äußerungen nicht für strafbar
Der Vatikan hat inzwischen den erzkonservativen Williamson aufgefordert, seine Leugnung des Holocaust zu widerrufen. Er solle sich "eindeutig und öffentlich" von seinen Äußerungen distanzieren, hieß es in einer Erklärung. Die Kirche verlange eine "unmissverständliche Distanzierung" von dessen Positionen zum Völkermord an den Juden. Andernfalls dürfe Williamson nicht als Prälat in der katholischen Kirche dienen.
Weiter hieß es in der Erklärung, Papst Benedikt XVI. sei nicht bekannt gewesen, dass Williamson den Völkermord der Nationalsozialisten an sechs Millionen europäischen Juden geleugnet habe.
Williamson selbst hält seine in einem Fernsehinterview verbreiteten Aussagen einem Bericht zufolge nicht für strafbar. Die Onlineausgabe der Financial Times Deutschland zitierte den Leitenden Regensburger Oberstaatsanwalt Günther Ruckdäschel am Mittwoch mit den Worten, es habe sich ein Verteidiger für Williamson gemeldet.
Dieser habe angegeben, dass Williamson von dem schwedischen Interviewer-Team die Zusage bekommen habe, dass das Interview ausschließlich in Schweden ausgestrahlt werde. "Er meint, das sei nicht strafbar", wurde Ruckdäschel zitiert. Die Staatsanwaltschaft prüfe die Aussagen.
Zuvor war bekannt geworden, dass der Vatikan das Interview mit der Holocaust-Leugnung des Bischofs für ein "gezieltes Komplott" des schwedischen TV-Senders SVT halte.
"Die Stimmung wurde sehr unangenehm"
Die Stockholmer Zeitung Svenska Dagbladet berichtete unter Berufung auf Kreise in Rom, dass das Interview in einem internen Vatikan-Report als "bewusst gestellte Falle für Seine Heiligkeit Benedictus XVI." eingestuft werde.
Demnach habe der TV-Sender das Interview mit Williamson bewusst am 21. Januar drei Tage vor der länger feststehenden Rücknahme der Exkommunizierung Williamsons und drei weiterer Bischöfe ausgestrahlt, um dem Papst so stark wie irgend möglich zu schaden.
Weiter hieß es, die Informationen über Williamsons früher in Kanada gemachten, aber nicht dokumentierten Äußerungen mit der Leugnung des Holocaust seien dem schwedischen Sender von der "sehr bekannten französischen Aktivistin und Lesbierin" Fiametta Venner zugespielt worden.
Der für das Williamson-Interview verantwortliche schwedische Journalist Ali Fegan nannte die Komplott-Theorie falsch und "beklemmend". Man habe bei einem in Deutschland geplanten Interview mit einem schwedischen Priester aus der als erzkonservativ und antisemitisch geltenden Piusbruderschaft ein Interview mit Williamson angeboten bekommen und dabei nichts von dessen geplanter Wiederaufnahme in die katholische Kirche gewusst.
Williamson hatte in dem Interview am Rande einer Priesterweihe in Bayern für die Serie "Uppdrag granskning" bestritten, dass es in den Konzentrationslagern der Nazis Gaskammern zur Tötung von Juden gegeben habe. Er behauptete weiter, dass im Zweiten Weltkrieg höchstens 200.000 bis 300.000 Juden umgekommen seien.
Fegan meinte über die unmittelbaren Folgen dieser Äußerungen, Williamson habe erst nach dem Interview begriffen, was er vor der laufenden Kamera gesagt habe und sei "finster geworden". Fegan sagte: "Da saßen wir in einem Schloss auf dem deutschen Land, auf einem Flur und umgeben von mehr als hundert Priestern. Die Stimmung wurde sehr unangenehm."
Brüderliche Hilfe für Papst
Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes, hat Benedikt gegen die anhaltend scharfe Kritik in Schutz genommen. "Er braucht keine Verteidigung von mir. Aber es ärgert mich, wie unvernünftig und schlecht informiert viele Leute sind, die ihn jetzt angreifen", sagte der frühere Regensburger Domkapellmeister der Leipziger Volkszeitung. Die pauschale Kritik am Papst zeige, wie ungerecht die Gesellschaft sein könne. "Wir sprechen immer von einer informativen Gesellschaft, in Wahrheit ist sie desinformiert."
Die öffentliche Kritik von Kanzlerin Angela Merkel am Papst habe ihn persönlich enttäuscht. "Ich habe sie immer als vernünftige Frau gesehen. Aber vielleicht steht sie momentan auch unter Druck, dass sie sich jetzt so äußert, wie sie es vernünftigerweise nicht machen würde." Dennoch wolle er sich nicht weiter in die Debatte einmischen.
Auch der Augsburger Bischof Walter Mixa hat Merkels Forderung kritisiert. Mixa sprach laut Mitteilung vom Mittwoch von einem "politischen und diplomatischen Fehlgriff" Merkels. "Die Haltung des Papstes zum Thema Holocaust und seine unverbrüchliche Sympathie für die Juden als die älteren Brüder der Christen ist sehr deutlich ausgedrückt worden", betonte der Augsburger Oberhirte. "Diesbezüglich benötigt der Heilige Vater keinen Nachhilfeunterricht der deutschen Regierungschefin." In Angelegenheiten der katholischen Kirche und des Papstes müsse man sich von einer deutschen Regierungschefin mehr Sensibilität wünschen.
Selbst in Reihen der CSU sorgte die Äußerung Merkels für Unmut. Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt warnte Merkel am Mittwoch davor, "sich weiterhin als Lehrmeisterin des Papstes zu gerieren". Die Kanzlerin "sollte sich lieber darum kümmern, in der Berliner Koalition verstärkt christliche Grundsätze durchzusetzen". Dies sei "etwa in der Sozial- und Familienpolitik, beim Lebensschutz und in der Bioethik mehr als notwendig", fügte Posselt hinzu.
Zuvor hatte bereits der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis die Forderung Merkels nach einer eindeutigen Klarstellung des Papstes in der Holocaust-Debatte zurückgewiesen. Geis sagte der Stuttgarter Zeitung: "Der Papst hat die Sache bereits klargestellt." Er monierte, Merkel "hätte sich vor einer solchen Einlassung genauer informieren müssen".
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"Der Papst ist ein Lügner"
Merkel hatte am Dienstag gemahnt, vonseiten des Papstes und des Vatikans müsse sehr eindeutig klargestellt werden, dass es keine Leugnung des Holocaust geben könne und es "einen positiven Umgang natürlich mit dem Judentum insgesamt geben muss". Die Kanzlerin kritisierte: "Diese Klarstellungen sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend erfolgt."
Lob für Merkel von europäischer Presse
Der Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier unterstützt die kritische Position Merkels.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, Merkel habe inzwischen auch mit dem Vorsitzenden der deutschen katholischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch (Freiburg), telefoniert. Zu Einzelheiten des Gespräch nahm Wilhelm nicht Stellung. Die Initiative des Gesprächs sei von der Kanzlerin ausgegangen. Der Regierungssprecher lehnte es ab, Merkels Äußerungen vom Vortag zu interpretieren.
Die europäische Presse hat unterdessen anerkennend quittiert, dass sich die Bundeskanzlerin in den Streit über den Umgang der katholischen Kirche mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson eingemischt hat. "Angela Merkel bietet Ratzinger die Stirn", schrieb die spanische Zeitung El País. "Sie schloss sich damit der Welle der Empörung an, die das aus Bayern stammende Kirchenoberhaupt mit seinen jüngsten Entscheidungen ausgelöst hatte", schrieb das Blatt weiter.
Die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera nannte Merkels Forderung einen "ungewöhnlichen und unerwarteten Vorstoß". "Frau Merkel hat sich zur Wortführerin eines Großteils des Landes gemacht." Nach Meinung der rechtsliberalen Zeitung El Mundo in Madrid hat die Kanzlerin damit "die Proteste praktisch zu einer Angelegenheit des Staates" erhoben. El Periódico de Catalunya in Barcelona sieht den Papst deshalb "in der schlimmsten Krise seines Pontifikats".
Die Turiner Tageszeitung La Stampa schrieb: "Jetzt geht auch Deutschland auf Distanz zu seinem Papst. Und tut dies mit einer außergewöhnlich direkten Stellungnahme der Kanzlerin. (...) Ihre Kritik am Papst kommt praktisch unerwartet, zeugt indessen aber von einem verbreiteten Missbehagen nicht nur in den jüdischen Gemeinden und in denen der katholischen Kirche. Denn man befürchtet jetzt, dass diese Diskussion über die Rehabilitierung eines Bischofs, der die Existenz der Gaskammern leugnet, sich als schädlich für das gesamte Land erweisen wird, in dem die Holocaust-Leugnung unter Strafe steht."
Die linksliberale dänische Tageszeitung Information kritisierte den Vatikan: "Man kann bedauern, dass es der katholischen Kirche nicht gelungen ist, ihre Botschaft der Nächstenliebe von reaktionären Umklammerungen freizuhalten. Man könnte auch Optimismus daraus ziehen, dass der Papst seinen persönlichen Beitrag dafür leistet, modern denkende Menschen aus seiner Institution zu verjagen, die selbst historisch stark kompromittiert ist."
Papst Benedikt XVI. hatte auf seiner wöchentlichen Generalaudienz keinen neuen Kommentar zum aktuellen Holocauststreit abgegeben. Einen Tag nach der Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einer Klarstellung zur Holocaust-Leugnung durch Richard Williamson ging er nicht auf diese Frage ein. Bereits am Dienstagabend hatte Vatikansprecher Federico Lombardi erklärt, die Verurteilung jeder Holocaust-Leugnung durch den Papst hätte "klarer nicht sein können".
Lombardi hatte unter anderem darauf verwiesen, dass Benedikt nicht nur am vergangenen Mittwoch seine "volle Solidarität" mit den Juden bekräftigt und sich von einer Leugnung der Judenvernichtung distanziert habe, sondern auch in der Vergangenheit seine Position zum Holocaust wiederholt "mit großer Klarheit" dargelegt habe. Im Übrigen habe der deutsche Pontifex klar erklärt, dass die Zurücknahme der Exkommunikation nicht bedeute, dass damit die Holocaust-Leugnung legitimiert werde.