Streit um Gesundheitsreform:Obamas wichtigste Reform kommt vor Gericht

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Showdown vor dem Supreme Court: Der Oberste Gerichtshof soll den Streit um Barack Obamas wichtigstes Projekt schlichten - die gesetzliche Krankenversicherung. Eine Entscheidung dürfte erst 2012 fallen, ausgerechnet in der heißen Wahlkampfphase.

Reymer Klüver, Washington

Barack Obamas hochumstrittene Gesundheitsreform dürfte erneut zum Wahlkampfthema werden. Das US-Justizministerium hat den Supreme Court des Landes gebeten, über die Entscheidung eines Berufungsgerichts in Atlanta zu befinden. Dieses hatte die in der Reform verankerte Pflicht, eine Krankenversicherung abzuschließen, als verfassungswidrig verworfen.

Obamas Gesundheitsreform könnte wieder Wahlkampfthema werden: Die Entscheidung des Supreme Courts fällt mitten in die heiße Wahlkampfphase. (Foto: REUTERS)

Die US-Regierung hätte den Rechtsstreit auf dem Instanzenweg hinauszögern können, hat sich aber offensichtlich dagegen entschieden. Ein Urteil des höchsten Gerichts in den USA dürfte aller Voraussicht nach erst im Juni kommenden Jahres ergehen, also in der heißen Phase des Wahlkampfs für die Kongress- und Präsidentschaftswahlen im November 2012.

Die US-Regierung äußerte am Mittwoch Zuversicht, dass die obersten Richter die Krankenversicherungspflicht nicht als unstatthaften staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger ablehnen würden. Noch am selben Tag reichten 26 Bundesstaaten ebenfalls eine Petition beim Supreme Court ein mit der gegenteiligen Bitte, die Versicherungspflicht zu untersagen.

In einer Erklärung des Justizministeriums hieß es, der Streit um die Reform sei eine "Angelegenheit von ernster nationaler Bedeutung" und müsse daher rasch entschieden werden. In der jüngeren US-Geschichte habe es vergleichbare Versuche gegeben, weitreichende gesetzliche Regelungen des Bundes mit Klagen zu verhindern. Als Beispiele wurden die Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts und die Bürgerrechtsgesetze in den sechziger Jahren genannt. "All diese Versuche sind gescheitert."

Im Kern geht es nicht so sehr um inhaltliche Fragen, ob etwa eine allgemeine Krankenversicherungspflicht angesichts von 50 Millionen Unversicherten angezeigt wäre oder nicht. Erörtern werden die Richter vielmehr eine in der amerikanischen Geschichte immer wieder heftig umstrittene scheinbar abseitige Verfassungsfrage: Die sogenannte commerce clause (Handelsklausel) der Verfassung gibt dem Kongress in Washington das Recht, Fragen des Wirtschaftsverkehrs zwischen den einzelnen Bundesstaaten zu regeln.

Die Frage ist nun, ob sich aus dieser Klausel das Recht ableitet, die Versicherungspflicht einzuführen. Die Regierung sagt, ganz klar, weil die Einführung der allgemeinen Krankenversicherung "direkte, deutlich wahrnehmbare und gut dokumentierte Auswirkungen auf den Wirtschaftsverkehr zwischen den Bundesstaaten" habe. Dahinter steckt das Argument, dass in den USA im Notfall zwar auch die Unversicherten behandelt würden. In den meisten Fällen könnten sie aber die Kosten dann nicht tragen. Die müssten auf die Allgemeinheit umgelegt werden. Insofern habe diese ein Recht auf eine gesetzliche Regelung, die sie von diesen Kosten entlastet, die Unversicherte verursachen.

Hauptargument des Berufungsgerichts in Atlanta, das die Reform verworfen hat, war es hingegen, dass die Versicherungspflicht eine "vollkommen neue und potentiell grenzenlose Machtanmaßung des Kongresses" sei, die von der commerce clause nicht gedeckt sei. Dieser Meinung schlossen sich 26 Bundesstaaten an, in denen die Republikaner die parlamentarische Mehrheit haben. Es sei ohne Beispiel in der US-Geschichte, sagte Paul Clement, oberster Rechtsberater der Regierung unter George W. Bush und nun Vertreter dieser 26 Bundesstaaten vor Gericht, dass eine so große Zahl einzelner Bundesstaaten eine Gesetzesinitiative Washingtons anfechte. In der Tat zeigt es zumindest, wie tief diese Frage das Land politisch gespalten hat.

Es wird erwartet, dass der Supreme Court das Verfahren aufgreift und im kommenden Sommer ein Urteil spricht. Worüber, ist weniger klar. So könnte es sein, dass die neun Richter eine Entscheidung über die zentrale Frage der Versicherungspflicht auf die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes vertagen: 2014. Indes haben alle Beteiligten das Gericht gebeten, auch in der Sache zu entscheiden.

Das Kalkül der Regierung, das Verfahren zu beschleunigen, ist nicht völlig klar, zumal die Entscheidung des Gerichts völlig im Ungewissen liegt. Vier konservative Richter stehen vier linksliberalen Richtern gegenüber, ein in Wirtschaftsfragen eher konservativ urteilender Richter bildet die Mitte zwischen den Lagern. Die Washington Post zitiert indes einen hochrangigen Mitarbeiter des Justizministeriums, dem zufolge die Reform bis 2014 noch so viel Vorbereitungen auf Seiten der Regierung in Washington, der Bundesstaaten und der Wirtschaft bedürfe, dass eine endgültige Entscheidung durch das Gericht dringend nötig sei und nicht länger hinausgezögert werden dürfe.

© SZ vom 30.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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