Streit um Fördergelder für besetzte Gebiete:Israel empört sich über "wirtschaftliche Terrorattacke" der EU

Benjamin Netanjahu Israel

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu

(Foto: dpa)

Die Reaktionen in Israel sind heftig. Auch Rassismus wird der EU unterstellt. Grund für die Aufregung: Die EU will Siedlungen in den besetzten Gebieten von Fördergeldern aus Brüssel ausschließen. Das könnte das Land hart treffen. Noch dazu ärgert die Regierung von Netanjahu wohl das Timing.

Von Benjamin Romberg

Die schlechten Nachrichten aus Brüssel haben Israel offenbar unerwartet getroffen - und hart, wie erste Reaktionen zeigen. Die Statements von Regierungsmitgliedern fielen deutlich aus. Wirtschaftsminister Naftali Bennett sprach von einer "wirtschaftlichen Terrorattacke". Uri Ariel, Minister für Wohnungsbau, warf der Europäischen Union gar Rassismus gegen Juden vor.

Der Grund für die Aufregung: Brüssel will israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten künftig von den Fördergeldern in Millionenhöhe aus EU-Töpfen ausschließen. Das ist Teil der neuen Richtlinien, die die EU-Kommission bereits Ende Juni beschlossen hatte. Erst am Freitag sollen die Regeln öffentlich gemacht werden, doch bereits am Dienstag hatte die israelische Zeitung Haaretz über die Pläne berichtet.

Konkret sollen Verträge zwischen der EU und Israel ab dem 1. Januar 2014 eine zusätzliche Klausel beinhalten. Diese schreibt fest, dass israelische Einrichtungen in den aus Brüsseler Sicht illegalen Siedlungen keine Stipendien, Fördergelder oder sonstige Finanzhilfen erhalten dürfen. Davon betroffen sind das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen an der Grenze zu Syrien. Auch der Gazastreifen wurde explizit erwähnt, obwohl es dort keine jüdischen Siedlungen mehr gibt. In den von Israel besetzten Gebieten leben etwa 600.000 israelische Siedler - ein Verstoß gegen das Völkerrecht, wie die Vereinten Nationen mehrmals kritisiert haben.

In einem kurzen Statement der EU im Zusammenhang mit den Brüsseler Plänen heißt es dazu: "Die Richtlinien sind im Einklang mit der von der EU bereits seit langem vertreten Position, dass die israelischen Siedlungen gegen internationales Recht verstoßen und Israels Souveränität über die besetzten Gebiete von der EU nicht anerkannt wird." Fördermittel aus Brüssel, so der Plan, soll es künftig nur noch für israelische Organisationen geben, die sich in den Staatsgrenzen von 1967 befinden. Die im Sechstagekrieg von Israel eroberten Territorien werden ausgeschlossen.

Zweifel an der Objektivität der EU

Die Reaktionen aus Israel ließen nicht lange auf sich warten. Regierungsschef Benjamin Netanjahu machte klar: "Wir akzeptieren keine Vorschriften des Auslands über unsere Grenzen." Er warf den Europäern zudem vor, falsche Prioritäten zu setzen. Sie sollten sich lieber mit Wichtigerem beschäftigen, etwa dem Syrien-Konflikt oder dem iranischen Atomprogramm. Dany Dayan, ein Sprecher der Siedlerbewegung, zweifelte auf Twitter an der Unparteilichkeit und Objektivität der EU im Nahostkonflikt.

Wie das Wall Street Journal schreibt, sind in den vergangenen sieben Jahren etwa 800 Millionen Euro an Finanzhilfen aus Brüssel nach Israel geflossen. Laut Schätzungen der EU landeten gerade einmal 0,5 Prozent der Gelder in den besetzten Gebieten. Warum also nun der radikale Schritt, mit dem Brüssel einen Streit mit Israel riskiert? Es geht wohl ums Prinzip. "Das Ziel dieser Richtlinie ist es, eine Trennung zwischen dem Staat Israel und den besetzten Gebieten zu machen, wenn es um die Unterstützung der EU geht", heißt es in dem Statement.

Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton versuchte schnell zu beschwichtigen: Es handle sich nicht "um einen neuen Ansatz" in der europäischen Israel-Politik, sagte sie, sondern um eine Klarstellung.

"Made in Israel" nicht überprüfbar

Bereits jetzt hat die EU strikte Regeln für Importe: Auf Einfuhren aus den besetzten Gebieten werden Zölle erhoben - auf Waren aus dem von Brüssel anerkannten Staatsgebiet Israels üblicherweise nicht. In der Praxis sind die Produkte für europäische Zollbeamte aber nur schwer zu unterscheiden, da sie in der Regel das Label "Made in Israel" tragen - egal, wo sie herkommen. Eine Überprüfung ist kaum möglich.

In einem Bericht vom vergangenen Herbst prangerten mehrere Nichtregierungsorganisationen an, dass die EU durch zu lasche Kontrollen die israelischen Unternehmen in den besetzten Gebiete unterstütze. Demnach importiert Europa 15 Mal mehr Waren aus den israelischen Siedlungen als von Palästinensern. Die NGOs fordern deshalb strengere Regeln, die Israel dazu zwingen würden, die genaue Herkunft der Produkte offenzulegen.

Israel stützt Unternehmen in den besetzten Gebieten mit Subventionen, die EU will mit der neuen Regelung künftig verhindern, dass sie das unfreiwillig auch tut. Das könnte unangenehme Konsequenzen haben für Israel, das zeigt auch die eilig einberufene Sitzung der Regierung von Netanjahu am Dienstagabend. Es sei zu früh, mögliche Schäden für das Land abzuschätzen, sagten Offizielle, die bei der Sitzung anwesend waren, der Zeitung Haaretz. Allerdings müsse man mit ernsten Auswirkungen auf Wirtschaft, Forschung, Kultur und weitere Bereiche rechnen.

Die größte Sorge sei, was mit Banken und großen Unternehmen passiere, die zwar ihren Hauptsitz in Israel hätten, aber über Außenstellen mit den Siedlungsgebieten zusammenhingen. Europa, so die Befürchtung, könnte die Zusammenarbeit nach Inkrafttreten der neuen Regeln einstellen.

Kerry bemüht sich um Friedensgespräche

Die Heftigkeit der Reaktionen aus Israel haben aber wohl noch einen weiteren Grund: das Timing. US-Außenminister John Kerry hält sich gegenwärtig zum sechsten Mal innerhalb weniger Monate in der Region auf, um seine Vermittlungsmission voranzutreiben. Seit knapp drei Jahren herrscht Stillstand bei den Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern - Kerry will nun wieder Bewegung in die Verhandlungen bringen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas fordert unter anderem einen Stopp des Siedlungsbaus, bevor er an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Auf der anderen Seite genießt die Siedlerlobby in der Mitte-rechts-Regierung von Netanjahu großen Rückhalt.

Vizeaußenminister Seev Elkin sprach von einer "sehr beunruhigenden Inititative" der EU, die zeitlich schlecht platziert sei, weil sie die Bereitschaft der Palästinenser zur Verhandlungsaufnahme schwäche.

Auf der anderen Seite kamen die Pläne aus Brüssel erwartungsgemäß gut an: Hanan Aschrawi, eine führende Palästinenser-Vertreterin, lobte, die EU sei "von der Ebene der verbalen Verurteilungen zu wirkungsvollen Entscheidungen gewechselt, die die Friedenschancen positiv beeinflussen werden".

Und auch in Israel gibt es viele Stimmen, die den vermeintlich schlechten Nachrichten aus Brüssel etwas Positives abgewinnen können. Der Generalsekretär der israelischen Bürgerrechtsbewegung "Frieden Jetzt", Jariv Oppenheimer, begrüßte die Entscheidung der EU. Er sagte: "Die Europäer, wie übrigens auch viele Israelis, wollen nicht länger die Augen vor dem fortgesetzten Siedlungsbau verschließen."

Mit Material der Nachrichtenagentur AFP

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