Streit um Erdogans Schul-Vorschlag:Türkische Wahrheiten

Der türkische Premier hat die Gründung von mehr türkischen Schulen und Unis in Deutschland vorgeschlagen und damit prompt heftigen Protest ausgelöst. Die Aufregung ist absurd - und dreht sich in Wahrheit gar nicht um Sprache oder Kultur.

Thomas Steinfeld

Als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am vergangenen Freitag im Kanzleramt mit einer Gruppe von deutschen und türkischen Schülern zusammentraf, machte er einen Vorschlag: "In Deutschland sollten Gymnasien gegründet werden können, die in türkischer Sprache unterrichten." Man wolle zu diesem Zweck gerne türkische Lehrer nach Deutschland schicken. Und auch türkischsprachige Universitäten könne es hierzulande geben.

Streit um Erdogans Schul-Vorschlag: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Köln

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Köln

(Foto: Foto: dpa)

Sofort erhob sich heftiger Protest. Ein solches Vorhaben sei Gift für die Integration, erklärte Erwin Huber, der Parteivorsitzende der CSU. Schon der Versuch führe zu "Ghettos und zu einer Klein-Türkei". Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte, Menschen türkischer Abstammung dürften "sich nicht in die eigene türkische Welt zurückziehen". Und sein Parteifreund Wolfgang Bosbach insistierte darauf, die deutsche Sprache sei und bleibe der Schlüssel zur Integration.

Warum diese Aufregung?

Das Problem ist nur: Erdogan hatte das nie in Zweifel gezogen, im Gegenteil. Und er hatte nichts gefordert, sondern etwas vorgeschlagen. Warum dann diese Aufregung? Und vor allem: auf welcher Grundlage diese Aufregung?

Die Bundesrepublik unterhält heute 117 deutsche Schulen in anderen Ländern, eine auch in Istanbul. In der Stadt gibt es eine weitere deutsch-türkische Schule, die das Abitur anbietet. Demnächst soll es gar eine deutschsprachige Universität in Istanbul geben. Das Bundesverwaltungsamt entsendet rund 1700 deutsche Lehrer ins Ausland. Das Auswärtige Amt verwendet fast die Hälfte seines gesamten Kulturhaushalts, mehr als 200 Millionen Euro, auf die Förderung der deutschen Sprache im Ausland.

An einer ganzen Reihe von deutschen Universitäten kann man ein Studium auf Englisch absolvieren, ohne deutsche Sprachprüfung, und keiner wundert sich darüber, dass das (ab der achten Klasse einsprachige) französische Gymnasium in Berlin Wartelisten führt. All diese Unternehmungen gelten als Beförderung der internationalen Verständigung, als Erfolge des Dialogs zwischen den Kulturen. Geht es aber um die Türkei und die Türken, gelten die Regeln nicht mehr.

Die Aufregung wirkt um so absurder, als ein Teil der Vorschläge Erdogans längst realisiert ist. Zwar hält Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entsendung türkischer Lehrer nach Deutschland für "schwierig". Tatsächlich arbeiten hierzulande schon mehr als 500 von ihnen, hauptsächlich als Lehrer ihrer Muttersprache. Und auch deutsch-türkische Gymnasien gibt es, in Berlin, in Hannover und in Köln etwa. Sie unterscheiden sich, aus gutem Grund, von anderen Privatschulen nur dadurch, dass Türkisch in ihnen als obligatorische Fremdsprache gilt.

Um gut Deutsch sprechen zu können, müssten die Einwandererkinder zuerst ihre Muttersprache beherrschen, meint Recep Tayyip Erdogan. Das ist zwar eine Übertreibung, die der nationalpolitisch motivierten und in der Praxis nicht haltbaren Entgegensetzung von "Integration" versus "Assimilation" geschuldet ist.

Und doch steckt etwas Wahres darin: Wenn Nobelpreisträger Orhan Pamuk in Deutschland liest, kommen Zehntausende, um ihm zuzuhören, Deutsche wie Türken. Sie tun es auch, weil ihnen in Gestalt dieses Schriftstellers ein großes Wissen über die Türkei, über ihre Geschichte und Kultur entgegentritt.

Was im Verhältnis der Deutschen zu ihrer türkischstämmigen Minderheit fehlt, sind Menschen, die in beiden Welten zu Hause sind und in beiden Welten respektiert werden, Dolmetscher, die nach außen wirken, weil sie türkische Einwanderer und deren Kinder mit deren eigener Kultur vermitteln können.

Türkische Wahrheiten

Tatsächlich gibt es die "Klein-Türkei", vor der sich Erwin Huber fürchtet, hierzulande schon lange, obwohl sie mit der großen Türkei nur wenig zu tun hat. Sie ist vor allem eine Folge einer großen und nicht enden wollenden politischen Unreife. Sie ist die Konsequenz einer arroganten Weigerung anzuerkennen, dass man mehr als zwei Millionen Einwanderer im Land hat.

Über Jahrzehnte wurden diese Türken, ihre Kinder und sogar Kindeskinder, in Deutschland in einem rechtlich unsicheren Zustand gehalten. Man wird es ihnen nicht vorwerfen können, wenn sie daraus den Schluss ziehen, dass ihr Leben hier nicht fest gegründet ist, dass die Vorbehalte gegen sie jederzeit in offenen Rassismus umschlagen, dass sie wieder "nach Hause geschickt" werden können - und dass sie sich abschirmen.

Diese Isolation aber bricht man nicht auf, indem man ihnen die türkische Sprache und Kultur absichtlich vorenthält. Im Gegenteil: Eine solche Benachteiligung würde als neuerliche Demütigung wahrgenommen.

Auch nach einer nun schon Monate währenden Debatte um türkische Einwanderer scheint sich nicht einmal die Möglichkeit einer Verständigung abzuzeichnen. Wenn Ministerpräsident Erdogan für türkischen Unterricht und türkische Schulen in Deutschland plädiert, gilt das als Provokation.

Wie will man ihm erklären, dass französische oder englische Schulen hierzulande willkommen sind, nicht aber türkische? Und wer wollte ihm die Wahrheit sagen: dass es hier nicht um Sprache oder Kultur, sondern um die Abwehr einer Unterschicht geht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: