Streit um die Tötung Osama bin Ladens:Bush, Bin Laden und der Pakt mit Pakistan

Alles nur Theater? Die Pakistaner geben sich empört, dass US-Spezialeinheiten ohne ihr Einverständnis Osama bin Laden in Abbottabad töteten. Die britische Zeitung "Guardian" berichtet, dass die Amerikaner seit zehn Jahren dazu durchaus befugt waren - und wieder zuschlagen dürften. Pakistans Ex-Präsident Musharraf widerspricht.

Michael König

Osama bin Laden ist seit mehr als einer Woche tot, doch noch immer fallen ranghohen US-Beamten spannende Details zu der Kommandoaktion ein. Unter Berufung auf anonyme Quellen berichtet jetzt die New York Times, die Verfolger des Terroristen hätten sich notfalls den Weg aus Pakistan freischießen dürfen. US-Präsident Barack Obama sei zu einer militärischen Konfrontation bereit gewesen, für den Fall, dass die Spezialeinheit bei ihrem Einsatz in Pakistan angegriffen worden wäre.

BUSH MUSHARRAF

Der damalige US-Präsident George W. Bush (links) und sein pakistanischer Kollege Pervez Musharraf bei einem Treffen im Jahr 2006.

(Foto: AP)

Doch dazu kam es nicht. Die Pakistaner hielten still, obwohl der Einsatz unweit einer Militärakademie stattfand. Inmitten einer Stadt, die von vielen ehemaligen Offizieren als Altersruhesitz genutzt wird. Und der offenkundig so laut war, dass er selbst beim Online-Kurznachrichtendienst Twitter Erwähnung fand: Ein Nachbar berichtete live von gewaltigen Explosionen.

Die Pakistaner schossen nicht, sie klagten lediglich über die Verletzung ihrer Souveränität. Die Amerikaner flogen unbehelligt ein und aus. Es klang nach einer perfekten Mission, gewissermaßen hinter feindlichen Linien. Doch wenn man dem Guardian glauben darf, erfüllten beide Seiten damit bloß einen Vertrag.

Ein geheimer Deal habe den Amerikanern erlaubt, Osama bin Laden ohne Rücksicht auf Hoheitsrechte in Pakistan zu fangen oder zu töten, berichtet die renommierte Londoner Tageszeitung in ihrer Online-Ausgabe. Darauf hätten sich vor etwa zehn Jahren der damalige US-Präsident George W. Bush und der damalige pakistanische Machthaber, General Pervez Musharraf, geeinigt - kurz nachdem Bin Laden die Flucht aus der von den USA bombardierten Felsenfestung Tora Bora in Afghanistan gelungen sei.

"Es gab eine Vereinbarung zwischen Bush und Musharraf, die besagte, dass wir uns Osama holen könnten", zitiert die Zeitung einen ehemaligen US-Beamten, der mit Anti-Terror-Operationen betraut gewesen sein soll. "Die Pakistaner würden Zeter und Mordio schreien, aber sie würden uns nicht stoppen."

Musharraf bestreitet das allerdings. Ein solches Abkommen sei weder unterzeichnet noch mündlich festgehalten worden, sagte sein Sprecher am Dienstagabend.

Der Guardian hatte weiter berichtet, dass ein ähnliches Abkommen für den mutmaßlichen Nachfolger Bin Ladens an der Spitze von al-Qaida, Aiman al-Zawahiri, gelte sowie für eine namentlich nicht genannte Nummer drei des Terrornetzwerks. Die Vereinbarung sei 2008 von der pakistanischen Armeeführung erneuert worden, in einer für das Land heiklen Phase: Zu jener Zeit sollte die Macht von Musharraf auf eine demokratisch gewählte Regierung übergehen.

Planmäßige Reaktionen

Der General, der 1999 durch einen unblutigen Putsch an die Staatsspitze gelangt war, lebt mittlerweile im Exil in London. Er leitet von dort eine neu gegründete Partei, mit der er bei den nächsten Wahlen antreten will.

Musharraf war bei der muslimisch geprägten Bevölkerung in Ungnade gefallen, weil er eng mit dem Westen kooperierte. Spätestens seit der Enthüllung geheimer US-Akten durch die Internetplattform Wikileaks gilt als gesichert, dass die Regierung in Islamabad den Einsatz amerikanischer Drohnen im Grenzgebiet zu Afghanistan toleriert und im Gegenzug amerikanische Finanzhilfen erhält. Das Grenzgebiet wird zum Teil von Stammesführern und Extremisten kontrolliert und gilt als Rückzugsort für Terroristen.

Nach der Tötung Bin Ladens am 2. Mai sind die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan angespannt. US-Präsident Barack Obama sagte in einem Interview, Bin Laden habe ein "Unterstützernetzwerk" in Pakistan haben müssen, um so lange unentdeckt in Abbottabad leben zu können. Die Stadt liegt nur etwa eine Autostunde von der Hauptstadt Islamabad entfernt.

In Pakistan herrschte dagegen Empörung darüber, dass Washington seinen vermeintlichen Partner über die Militäroperation im Unklaren ließ. Musharraf nannte den Einsatz der Navy Seals auf pakistanischem Boden eine "Verletzung der Souveränität" des Landes.

Auch der pakistanische Premier Jusuf Raza Gilani fand scharfe Worte und warnte Washington vor Alleingängen: "Niemand sollte die Entschlossenheit und die Fähigkeiten der Nation und der Streitkräfte unterschätzen, unsere Heimat zu verteidigen."

Vor dem Hintergrund des Guardian-Berichts wirkt das Verhalten beider Seiten planmäßig. "Wir wussten, dass die Pakistaner die Aktion ablehnen würden", zitiert die Zeitung einen US-Beamten. Ein ehemaliger pakistanischen Würdenträger bestätigte dem Blatt: "Unsere amerikanischen Freunde haben sich lediglich an die Abmachung gehalten."

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