Streit um deutsche Einheit:Wiedervereinigung oder Anschluss?

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck kritisiert den Verlauf der Wiedervereinigung durch Westdeutschland. Und verlangt Respekt vor den Ostdeutschen. Die FDP hält dies für Jammerei.

Oliver Das Gupta

Breitseite aus Brandenburg: Unverhohlen hat Ministerpräsident Matthias Platzeck die Art und Weise der Wiedervereinigung vor 20 Jahren kritisiert. In einem Interview mit dem Spiegel plädierte der Sozialdemokrat nicht nur, die in Bonn verbliebenen Ministerien und Bundesbeamten endgültig nach Berlin umzuziehen ("aberwitzige Pendelei").

Ministerpraesident Platzeck gibt Regierungserklaerung ab

Matthias Platzeck, SPD-Ministerpräsident in Brandenburg, hat seine eigene Sicht auf die Wiedervereinigung. in einem Interview sprach er nun vom "Anschluss".

(Foto: ddp)

Platzeck beklagte, mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik habe eine "gnadenlose Deindustrialisierung Ostdeutschlands" eingesetzt. Das westdeutsche Vorgehen sei verantwortlich gewesen für "viele gesellschaftliche Verwerfungen bei uns nach 1990". "Es fehlten selbst kleinste symbolische Gesten gen Osten", schimpfte der SPD-Mann. Den Ostdeutschen sei damals das Gefühl vermittelt worden, sie müssten alles wegwerfen: "Es war alles Stasi und alles ideologieverseucht." Er verlange Respekt vor den Ostdeutschen.

Platzecks Äußerungen wurden von Bodo Ramelow von der Linkspartei begrüßt, der FDP-Politiker Holger Zastrow hingegen sprach von abenteuerlicher DDR-Verklärung.

Platzeck machte Rückblickend eine "Anschlusshaltung" bei der westdeutschen Seite aus - womöglich benutzte der Ministerpräsident diesen Terminus in Anlehnung an die Einverleibung Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland im Jahre 1938. Diktator Adolf Hitler hatte diesen Schritt damals "Anschluss" genannt.

Matthias Platzeck gehört neben Kanzlerin Angela Merkel zu den wenigen Ostdeutschen, die zur Wendezeit in die Politik gingen und nach wie vor in wichtiger Funktion mitmischen. Gestartet ist der Brandenburger bei den DDR-Grünen und Bürgerrechtlern von Bündnis 90, inzwischen ist er längst eine feste Größe in der SPD.

Seine Zeit als SPD-Vorsitzender 2005/2006 endete nach wenigen Monaten - Platzeck war der Belastung nicht gewachsen, nach einem Hörsturz trat er zurück. Unangefochten ist er nach wie vor als Ministerpräsident in Brandenburg. Dort regiert er seit vergangenem Jahr gemeinsam mit der Linkspartei - eine Koalition, die ihm erhebliche Kritik eingebracht hatte. Platzeck hat sich wiederholt für eine Aussöhnung ausgesprochen, die auch Stasi-Belastete miteinschließt.

Nun, im Spiegel, beteuerte er, gewiss kein Nostalgiker zu sein. Platzeck lobte auch das Resultat des Einigungsprozesses als "unzweifelhaft positiv". Die Einheit sei eine große Leistung. Die "Richtung" vor 20 Jahren habe gestimmt: Es habe viel Geld und Aufbauhelfer aus dem Westen gegeben, sagte Platzeck, dafür sei man dankbar.

Aber auf der anderen Seite habe es "bittere Momente" gegeben. Platzeck nannte als Beispiel den Verhandlungsführer der alten Bundesrepublik, den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble. Der heutige christdemokratische Finanzminister habe bei den Einigungsverhandlungen sinngemäß gesagt: "Wir nehmen euch, wir bezahlen alles, aber übertreibt es nicht mit euren Forderungen."

So aber hätten sich die Ostdeutschen die Wiedervereinigung nicht vorgestellt: "Wir wollten keinen Beitritt, wir wollten ein gleichberechtigtes Zusammengehen mit neuer Verfassung und neuer Hymne".

"Eine Vereinigung ist eben nicht, wenn man ein paar Millionen dranklatscht"

Beifall erhält Platzeck von der Linken, von Bodo Ramelow, der Fraktionschef im Thüringer Landtag ist und im Bundesvorstand sitzt. Ramelow sagte im Gespräch mit sueddeutsche.de, Platzeck habe eine "nüchterne Zustandsbeschreibung" abgeliefert. "Eine Vereinigung ist eben nicht, wenn man ein paar Millionen dranklatscht."

Gerade was gemeinsame Symbole angeht, habe man von Westseite "alles weggehauen", sagte Ramelow. Bei der Nationalhymne hätte es sogar die Möglichkeit gegeben, zum bestehenden Text noch den der DDR-Hymne ("Auferstanden aus Ruinen") oder die Kinderhymne von Bertold Brecht hinzuzufügen.

Es habe in Ostdeutschland Elemente gegeben, die auch Westdeutschland gutgetan hätten, sagte Ramelow und nannte als Beispiel Kindertagesstätten. Ramelow kritisierte, dass es 1990 keine - wie im Grundgesetz ursprünglich vorgesehen - neue Verfassung gegeben habe, über die die Deutschen hätten abstimmen können.

Mit seiner Kritik rede Platzeck nicht die deutsche Einheit schlecht, er mache lediglich auf eklatante Fehler und Fehlentwicklungen aufmerksam. Ramelow lobte in diesem Zusammenhang auch ostdeutsche CDU-Politiker, die sich kritisch differenziert zum Wiedervereinigungsprozess äußerten - wie den letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière.

Holger Zastrow: "Das ist billig und arm"

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hingegen rede alles schön, behauptete der Linken-Politiker. "Die Kanzlerin hat alles abgestreift, was sie an ihre eigene DDR-Vergangenheit erinnern könnte." Ramelow nannte es wichtig, dass sich die deutsche Politik vom "Einheitsgedösel" löst. Der Westen könne vom Osten mit seiner 20-jährigen Transformationserfahrung lernen.

Kritik an Platzecks Äußerungen kam aus Dresden. Holger Zastrow, FDP-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, hält dessen Anwürfe für "abenteuerlich". Der Sozialdemokrat verkläre DDR-Vergangenheit und bleibe nicht bei der geschichtlichen Wahrheit, schimpfte der Sachse im Gespräch mit sueddeutsche.de: "Platzecks Jammerei geht mir ziemlich auf den Geist".

Der Beitritt der DDR zur alten Bundesrepublik sei "geschichtlich einmalig und alternativlos" gewesen. Die Solidarität eines Landesteils für den anderen ebenso. Zastrow räumte ein, dass bei der Vereinigung "nicht alles optimal gelaufen" sei, er sprach von "persönlichen Dramen" und vielen "zerplatzten Träumen". Allerdings habe sich erst nach der Wende offenbart , wie schlecht es um die DDR wirklich stand, sagte Zastrow. Auch sei 1990 ein westdeutsches System übernommen wurden, das in Teilen schon damals "reformbedürftig" gewesen sei.

Für den Umstand, dass so wenige Elemente aus der DDR ins vereinte Deutschland übernommen wurde, sieht der Liberale einen einfachen Grund: Der sozialistische Staat sei weder "wirtschaftlich, noch gesellschaftspolitisch, noch moralisch besser gewesen" als Westdeutschland. Auch Platzecks Kritik an der Übernahme der Hymne kann Zastrow nicht verstehen: Schließlich sei das Deutschlandlied bereits zu Zeiten der Weimarer Republik eingeführt worden, lange vor der Teilung.

Zastrow pries die Aufbauleistung in Ostdeutschland, er mache im Jahre 20 nach der Einheit tatsächlich "blühende Landschaften aus." Der Freidemokrat nannte die Menschen in den neuen Bundesländern "hungrig und flexibel", man habe ein moderneres Familienbild als im Westen und verfüge über eine Gründer-Generation, nicht über eine Erben-Generation.

"Respekt schafft man durch Leistung und nicht durch Jammern", sagte der Sachse Zastrow noch mit Blick auf den Brandenburger Platzeck. "Respekt einzufordern, wie der das tut, ist billig und arm."

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