Streit über Raketenabwehr:Ein unfreundliches Signal

Die Stationierung der amerikanischen Raketenabwehr in Europa hat nicht nur eine militärische, sondern auch eine symbolische Bedeutung. 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges sollen offenbar Bedingungen geschaffen werden, in denen der Kontinent erneut nicht ohne amerikanischen Schutz auskommt.

Sergej Iwanow

Unser Planet hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Dies hat eine Neuausrichtung der internationalen Beziehungen notwendig gemacht.

Sergej Iwanow

Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow

(Foto: Foto: Reuters)

Heute stehen wir vor der dringenden Herausforderung, ein umfassendes Sicherheitssystem zu schaffen. Ein System, das die Gefahren auf ein Minimum reduziert und die Interessen aller Länder und internationaler Organisationen berücksichtigt.

In der russischen Außenpolitik genießt Europa besondere Priorität. In Europa konzentrieren sich unsere wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Interessen. Eine erfolgreiche Entwicklung des Kontinents ist ohne eine enge Zusammenarbeit zwischen Russland und der Europäischen Union nicht möglich. Die EU ist einer unserer Schlüsselpartner nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern auch im humanitären Bereich sowie in der Bildung und der Wissenschaft.

Gemeinsame Antworten

Ein bedeutendes Potential birgt das Zusammenwirken Russlands und der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Um der Sicherheitspolitik eine neue Qualität zu verleihen, muss aber noch sehr, sehr viel getan werden. In dieser Hinsicht gibt es ein gutes Beispiel: die Kooperation Russlands und der Nato, die sich zu beiderseitigem Nutzen entwickelt. Im Rahmen des Nato-Russland-Rates suchen wir nach gemeinsamen Antworten auf neue Herausforderungen und Gefahren, die vor allem von terroristischen Gruppen ausgehen.

Doch bei aller positiver Dynamik in den Beziehungen zur Allianz kann sich Russland nicht damit abfinden, dass die Nato beim Aufbau eines neuen Sicherheitssystems sich wieder nach dem Prinzip der Blöcke ausrichtet. Hier geht es um die Pläne zur Transformation und Erweiterung der Allianz sowie um die Verlegung militärischer Infrastruktur näher an unsere Grenzen. Russland und die Nato-Mitgliedsstaaten führen einen intensiven Dialog.

Ich kann nicht sagen, dass wir in allem einer Meinung sind, aber zumindest hören die Partner einander zu. Zugleich beobachten wir aber eine Parallelentwicklung. Bestimmte Nato-Staaten verfolgen eine Politik, die nicht mit den Linien der Allianz abgestimmt ist und nicht den vereinbarten Prinzipien der Zusammenarbeit mit Russland entspricht. Insbesondere die Absicht der USA ist unverständlich, in osteuropäischen Staaten Raketenabwehr-Stützpunkte zu errichten.

Die Amerikaner versichern, dass diese Elemente der US-Raketenabwehr auch Verteidigungsaufgaben für die europäischen Verbündeten übernehmen werden.

Raketenangriffe schwer vorstellbar

Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, auf die es keine Antworten gibt. So ist nicht ganz klar, welche Gefahr für Europa durch einen Raketenabwehr-Stützpunkt in Polen abgewendet werden könnte. Ungeachtet dessen, dass sich die Raketentechnologie international zunehmend verbreitet, verfügt in einem absehbaren Zeitraum nur ein kleiner Kreis von Ländern über Langstreckenraketen, mit denen es möglich wäre, europäischen Staaten oder gar den USA zu schaden.

Ein entsprechendes Raketenpotenzial haben nur einige Länder der Nato sowie Russland und China. Durch das heutige Verhältnis zwischen Europa, den USA und Russland sind gegenseitige Raketenangriffe nur schwer vorstellbar. Es gibt die These, die nordkoreanischen Raketentests hätten die Planung einer europäischen Komponente der Raketenabwehr stimuliert - doch diese These zerfällt bei einem Blick auf den Globus.

Die Stationierung der amerikanischen Raketenabwehr in Europa hat nicht nur eine militärische, sondern auch eine symbolische Bedeutung. 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges sollen offenbar Bedingungen geschaffen werden, in denen der Kontinent erneut nicht ohne amerikanischen Schutz und nur mit einer verstärkten Militärpräsenz der Amerikaner auskommt. Das Bestreben der Europäischen Union, eigene militärische Strukturen zu schaffen, dürfte folglich nur unter amerikanischer Aufsicht erfolgreich sein.

Gezwungen zu Gegenmaßnahmen

Die Errichtung eines Raketenabwehr-Abschnitts nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen (oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folgt). Es ist offensichtlich, dass die Verbreitung amerikanischer Raketenabwehr-Komponenten in Europa fortgesetzt wird.

Nicht ausgeschlossen ist auch der Export in andere Weltgegenden, etwa den asiatisch-pazifischen Raum. Das alles zwingt uns zu - asymmetrischen und billigeren - Gegenmaßnahmen. Natürlich muss auch die Struktur unserer Beziehung zur Allianz überdacht werden. Wir sind aber zum Dialog bereit.

Der Aufnahmeprozess neuer Mitglieder in die Allianz führt nicht nur zu einer Erweiterung ihrer Grenzen, sondern auch zur Vergrößerung ihres Interessengebiets. Aus seinem traditionellen Verantwortungsbereich ist das Nordatlantische Bündnis bereits herausgetreten. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die intensiven Gespräche, die auf einen Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato abzielen, weder die Sicherheit in der Region noch die Sicherheit Russlands erhöhen.

Ernsthafte Risiken

Das führt zu ernsthaften Risiken und Problemen. In unserer Einschätzung möglicher Folgen eines Nato-Beitritts Georgiens ziehen wir Parallelen zu den wenig ermutigenden Erfahrungen früherer Erweiterungswellen. Estland und Lettland können als Präzedenzfälle dienen.

Vor dem Beitritt dieser Länder versicherten uns unsere Nato-Partner, dass die Mitgliedschaft "die Demokratisierung dieser Länder beschleunigt" und die Normalisierung ihrer Beziehungen zu Russland fördert, indem sie ihnen die Angst vor dem mächtigen Nachbarn nimmt. Alles ist genau umgekehrt gekommen. Selbst die "Demokratisierung" in diesen baltischen Staaten hat einen verdrehten Charakter angenommen.

Durch Parolen und Taten wird dort das Ansehen der Soldaten der Roten Armee geschmäht, welche die Welt vor der "braunen Pest" gerettet haben. In absurder Weise werden faschistische und nationalistische Ideen propagiert, wird die russischsprachige und insbesondere die ethnisch-russische Bevölkerung diskriminiert. Die politische "Blindheit" der Allianz in dieser Frage ruft bei uns, gelinde gesagt, Unverständnis hervor.

Um es klar zu machen: Russland schätzt die bereits gemeinsam geleistete Arbeit sehr. Wir hoffen ehrlich, dass alle Probleme in nächster Zeit gelöst werden können. Möglich ist das aber nur durch einen Gesprächsprozess - und wenn den Ansichten und Sicherheitsinteressen aller Beteiligten Rechnung getragen wird.

Sergej Iwanow ist Verteidigungsminister Russlands.

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