Streit über Asylpolitik:Die Zerrissenen

Auch in der CDU sinkt das Vertrauen vieler Abgeordneter in die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin rapide. Von offener Rebellion will dennoch kaum jemand sprechen - alle warten auf den Tag X.

Von Stefan Braun

Die Kanzlerin könnte ganz zufrieden sein, jedenfalls mit der Fraktionssitzung. Die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag warf sich am Dienstag mit genauso viel Verve für sie ins politische Feuer wie Claudia Lücking-Michel aus Bonn und Jutta Eckenbach mit Wahlkreis in Essen. Ihnen folgten ein gutes Dutzend weitere Abgeordnete, die Angela Merkel ihr Vertrauen aussprachen. Und so hatten die Unterstützer der Kanzlerin ein klares Übergewicht in der dreistündigen Debatte zur Flüchtlingskrise.

Sie alle wiederholten, was zuvor der Abgeordnete Martin Patzelt per Mail geschrieben hatte: dass man in der "äußerst schwierigen Situation" keine Gegenbewegung initiieren dürfe. Patzelt hatte Formulierungen gewählt, wie sie Merkels Chefunterstützer, Fraktionschef Volker Kauder, nicht besser hätte treffen können. Seine Kernbotschaft: "Mein Vertrauen in die Klugheit und Weitsicht der Kanzlerin ist ungebrochen und über persönliche Unsicherheiten erhaben." Ein Satz, wie in Stein gemeißelt; eine Sitzung, die ein Sieg hätte sein können.

Deutschland Berlin Bundestag CDU Fraktion Bundeskanzlerin Angela Merkel CDU 26 01 2016

Sie habe immer nur dieselben Antworten parat, sagen Kollegen: Angela Merkel verliert weiter an Rückhalt.

(Foto: Christian Thiel/Imago)

Doch so glatt das für die Kanzlerin lief - so wenig gab diese Sitzung die wahre Stimmung wieder. Zwei Wochen vorher war es genau andersherum gelaufen. Und wie es in der nächsten Sitzungswoche sein wird, kann niemand voraussagen. Das liegt keineswegs nur an der CSU und ihrem rebellischen Parteichef. Es liegt auch nicht daran, dass die drei Unterstützerinnen nicht zu den einflussreichsten Kräften in der Fraktion gehören. Für die Kanzlerin beunruhigend ist die Tatsache, dass selbst eine Sitzung wie diese an ihrem Problem nichts mehr ändert. Auch in ihrer CDU hat sich massiver Zweifel am Kurs festgefressen.

Es seien zutiefst Bürgerliche, die die Partei nicht mehr verstehen, sagt ein Abgeordneter.

Dabei handelt es sich nicht mehr nur um jene paar Dutzend, die seit der Griechenlandkrise als echte Merkel-Gegner gelten. Es sind weit mehr als ein paar Außenseiter, die von der Kanzlerin eine vollkommen andere Grundbotschaft einfordern. Es sind wichtige Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitiker, die - sei es in Briefen, in Debatten oder hinter verschlossenen Türen - für scharfe Grenzkontrollen plädieren, für einen kleineren Schengen-Raum mit sicheren Außengrenzen und für das klare Signal auch an die Flüchtlinge im Nahen Osten, dass Deutschland niemals alle aufnehmen werde. "Wir brauchen ein Pendant zum superfreundlichen Merkel-Selfie im Sommer", sagt ein Innenexperte, der keineswegs als Rebell in die Geschichte eingehen möchte. "Sie will es nicht wahrhaben, aber sie muss persönlich ein Zeichen der Grenze setzen."

Bayern will Geld

Nach der Androhung einer Verfassungsklage setzt die CSU den Bund jetzt auch finanziell unter Druck. Bayern fordere bei den Flüchtlingskosten eine "sachgerechte Anpassung", sagte Finanzminister Markus Söder am Mittwoch. Als Betrag nannte er zwei Milliarden Euro für den Freistaat, 500 Millionen Euro davon sollen an die Kommunen fließen. Bayern erwarte dieses Jahr Ausgaben von 3,3 Milliarden Euro, von denen der Bund nur 570 Millionen trage - 17 Prozent also, obwohl Berlin zu "100 Prozent" für die Flüchtlingspolitik verantwortlich sei: "Das ist eine echt unfaire Partnerschaft", sagte Söder. Das Ganze sei ein "gigantisches finanzielles Abenteuer". Bereits diesen Donnerstag könnte das Thema in der Ministerpräsidentenkonferenz zur Sprache kommen. Wolfgang Wittl

Das freilich lehnt Merkel bis heute ab. Und so wächst und wächst fast beim Zuschauen die Zahl derer, die sagen, dass sie die Kanzlerin nicht mehr verstehen könnten. Dabei handelt es sich nicht nur um jene, die zu wissen glauben, was richtig wäre. Noch wichtiger, so berichten es erfahrene Parlamentarier, sei die schnell wachsende Gruppe derer, die einfach nur immer unsicherer seien. Man begegnet dieser Tage in Berlin vielen Unionsabgeordneten, die so zerrissen sind, wie sie es nie für möglich gehalten hätten. Sie berichten, wie sie täglich dutzendfach mit dem Frust der Parteimitglieder und Anhänger konfrontiert würden. Dabei handele es sich, das betonen sie unermüdlich, nicht um Rechtsradikale oder Fremdenfeinde. "Es sind zutiefst bürgerliche Leute, die uns nicht mehr verstehen wollen", berichtet ein Berliner Abgeordneter mit villenträchtigem Wahlkreis. "Die Angst wächst, und das Vertrauen schwindet", fasst es ein anderer zusammen, der seit Jahrzehnten dabei ist. Doch trotz zahlloser Berichte dieser Art könne man nicht erkennen, dass das bei Merkel irgendwas bewegen, beeinflussen, verändern würde. Nach wie vor treffe man in Berlin auf eine Kanzlerin, die stets nur die immer gleiche Antwort parat habe: EU! Türkei! Fluchtursachen bekämpfen. "Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll", erzählt ein Ex-Minister, "aber man hat allmählich das Gefühl, in Berlin gegen eine Wand zu laufen. Der Glaube an eine Lösung mit der EU, mit der Türkei, mit Griechenland? Dieser Glaube schwindet, und zwar rapide."

Von einer offenen Rebellion spricht dennoch kaum jemand. Eine "ganz harte Spaltung" aber konstatieren viele Fraktionsmitglieder. Und die wird befeuert durch harsche, immer garstigere Feindbilder untereinander. Während die sogenannten Merkelianer den Kritikern Illoyalität, verletzte Eitelkeit und Zorn über entgangene Jobs unterstellen, halten die Kritiker den Unterstützern der Kanzlerin vor, sie hätten nur noch dieses "Wir-dürfen-nicht-streiten-Argument" auf Lager. Das helfe in der Sache überhaupt nicht mehr weiter.

So zerstritten und verunsichert viele sind, bei einem teilen alle, nur nicht die Zyniker, die gleiche Hoffnung: dass am 18. Februar eine neue Zeit beginnen könnte. An dem Tag trifft sich die EU zum Gipfel. Und danach will die Kanzlerin eine "Zwischenbilanz" verkünden. Für viele in der Union soll das der Tag X werden. Mancher allerdings hatte diese Hoffnung schon einmal. Genauer gesagt am 3. November. Damals hatte sich die Kanzlerin mit den Landesgruppenchefs ihrer Fraktion getroffen. Und sie hatte sehr entschlossen versprochen, sich noch neun Wochen Zeit zu geben. Danach werde sie neu überlegen. Die Frist ist folgenlos verstrichen.

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