Streit nach Schlichtung:SPD droht Dauerzoff um Sarrazin

Sozialdemokraten streiten über Thilo Sarrazins Verbleib in der Partei, als hätte es keine Schlichtung gegeben. Gegner sind über die Entscheidung verärgert und verlangen von Generalsekretärin Andrea Nahles eine Erklärung - nur Sarrazin selbst ist restlos zufrieden, lobt den "Sieg der Vernunft".

Nico Fried, Berlin

Die Vorsitzende der Berliner SPD-Schiedskommission schätzt ein Zitat von Johann Wolfgang Goethe. Es stammt aus dem west-östlichen Diwan und findet sich auf der Facebook-Seite von Sybille Uken im Internet: "Getretner Quark wird breit, nicht stark."

Sarrazin darf in SPD bleiben

Thilo Sarrazin darf in der SPD bleiben - zum Ärger mancher Genossen.

(Foto: dpa)

Möglicherweise war das auch Ukens Motto für die Verhandlung über den Ausschlussantrag mehrerer SPD-Gliederungen gegen Thilo Sarrazin. Mit dem am Gründonnerstag von ihr geförderten Kompromiss hat Uken jedenfalls dazu beigetragen, dass sich das Verfahren gegen den umstrittenen ehemaligen Bundesbank-Vorstand nicht weiter hinzieht und von Instanz zu Instanz getragen wird.

Die Verfahrensbeteiligten hat Uken eigentlich bis zum Dienstag zum Schweigen verdonnert. "Damit wollen wir verhindern, dass das Ergebnis möglicherweise zerredet und die Debatte noch weitergeführt wird", sagte Uken am Gründonnerstag. Doch schon zeichnet sich ab, dass die Diskussion anhalten wird.

Gabriel nimmt Nahles in Schutz

Zum einen regt sich Unmut in der SPD. Zu überraschend kam das Ergebnis für viele Sozialdemokraten, nachdem die Parteiführung zuvor klipp und klar auf einen Ausschluss Sarrazins gedrängt hatte. Zum anderen meldete sich Sarrazin selbst schon am Ostermontag wieder zu Wort. Aus seiner Sicht sei das Ergebnis "ein Sieg der Vernunft".

Die Sarrazin-Gegner richten ihre Kritik nun vorrangig auf Generalsekretärin Andrea Nahles. Sie war für die Bundespartei die Bevollmächtigte und stimmte am Ende der fünfstündigen Verhandlung für den Kompromiss, der Sarrazin den Verbleib in der SPD ermöglichte. Nicht wenige in der Partei dürften so denken wie die stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, Dilek Kolat. Sie forderte über Ostern von Nahles eine "nachvollziehbare Erklärung" und begründete das damit, dass sich nichts an der Sachlage geändert habe, die zur Einleitung des Parteiordnungsverfahrens geführt habe.

SPD-Chef Sigmar Gabriel wollte das Ergebnis der Verhandlung vor der Schiedskommission nicht bewerten. Gleichwohl stützte er seine Generalsekretärin: "Frau Nahles hat für ihr Handeln natürlich meine Rückendeckung", sagte Gabriel der Süddeutschen Zeitung.

Trotzdem wird sich Nahles wohl auch gegenüber der Bundes-Partei noch erklären müssen. Juso-Bundeschef Sascha Vogt erinnerte bereits am Samstag daran, dass im vergangenen November der gesamte SPD-Parteivorstand den Ausschluss Sarrazins beschlossen habe. "Es kann nicht sein, dass dieser Antrag ohne eine Beratung weder in Vorstand noch im Präsidium zurückgenommen wird", sagte er der Zeitung Die Welt.

Empörung in Berlin

Gerade in Berlin, dem Heimatlandesverband Sarrazins, gibt es offenbar viel Kritik. Die Berliner SPD sowie der Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf waren neben der Bundes-SPD und einem Frankfurter Kreisverband Antragsteller gegen Sarrazin. Nun hat der Landesvorstand für Dienstagabend zu einer Sondersitzung eingeladen. Die Deutsche Presseagentur zitiert aus dem Einladungsschreiben, das Ergebnis sei sicherlich auch eine große Überraschung für all jene, die den Ausschlussantrag unterstützt oder wie der Landesvorstand beschlossen hätten. Es habe aber Gründe für diese Entscheidung gegeben.

"Positiver Beitrag zu den Wahlchancen der SPD"

Wahrscheinlich ist, dass Sarrazins Zufriedenheit mit dem Ergebnis die Kritiker eher noch mehr verärgert. Der frühere Berliner Finanzsenator zeigte sich überzeugt, dass der Kompromiss der Berliner SPD bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September helfen werde. "Die Einigung ist, so glaube ich, ein positiver Beitrag zu den Wahlchancen der SPD", sagte Sarrazin der Berliner Morgenpost.

Einige Bürger hätten ihm bereits signalisiert, dass sie jetzt nach seinem Verbleib in der Partei die SPD auch wieder wählen könnten. Allerdings lägen ihm keine Informationen vor, dass Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der auch stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, gerade wegen der Wahl auf ein schnelles Ende des Verfahrens gedrängt habe.

Sarrazin und die Kläger hatten am Donnerstag eine Erklärung akzeptiert, die von der Vorsitzenden der Schiedskommission aufgesetzt wurde. Sarrazin sagt darin, er habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit den Thesen in seinem Buch Deutschland schafft sich ab sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Darüber hinaus habe er in seinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollten. Alle Kinder seien als Menschen gleichviel wert. Er habe in seinem Buch auch keine "selektive Bevölkerungspolitik" verlangt, betonte Sarrazin.

Der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy drohte Sarrazin für den Fall erneuter Provokationen mit einem neuen Ausschlussverfahren. "Sollte er sich erneut biologistisch äußern, wäre sein Ausschluss aus der SPD unumgänglich", sagte Edathy dem Handelsblatt.

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