Streit mit der Türkei:Alarm bei der Nato

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Machtprobe in Istanbul: Türkische Demonstranten bei einer Kundgebung vor dem niederländischen Konsulat: Die schweren Verstimmungen zwischen den zwei Ländern beunruhigen gleich zwei Organisationen: die Nato und die Europäische Union. (Foto: Emrah Gurel/dpa)

Der diplomatische Konflikt über Auftrittsverbote für türkische Minister hat die Allianz erreicht - Ankara ist ja Mitglied. Das Bündnis versucht die Lage zu entschärfen.

Von D. Brössler, T. Kirchner, A. Mühlauer und M. Szymanski, Brüssel/Istanbul

Nach dem Streit um verhinderte Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in EU-Ländern hat Recep Tayyip Erdoğan abermals Deutschland scharf angegriffen. Bei einem Fernsehauftritt am Montagabend hat er Kanzlerin Merkel vorgeworfen, Deutschland schütze Terroristen. "Frau Merkel, warum verstecken Sie Terroristen in Ihrem Land?", sagte er. Zudem kritisierte er, dass sich die Politik in Deutschland auf die Seite der Gegner eines Präsidialsystems, wie er es in der Türkei mit einem Verfassungsreferendum anstrebt, gestellt habe. Er forderte wahlberechtigte Auslandstürken in Europa auf, bei den anstehenden Wahlen jenen Parteien nicht die Stimme zu geben. "Wählt nicht die Türkei-Feinde", sagte Erdoğan. Die schwere diplomatische Krise zwischen der Türkei und den Niederlanden spitzte sich zu. Die türkische Regierung entzog niederländischen Diplomaten am Abend die Landeerlaubnis. Der Luftraum für Maschinen mit Diplomaten aus dem Land sei ab sofort gesperrt, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Seine Regierung wolle den niederländischen Botschafter nicht mehr einreisen lassen. Botschafter Kees Cornelis van Rij dürfe seinen Posten erst wieder antreten, wenn die Niederlande die Bedingungen Ankaras erfüllten. Erdoğan hatte zuvor erklärt, man werde die Niederlande "diplomatisch zur Rechenschaft" ziehen. Ankara hatte am Montag eine schriftliche Entschuldigung für die Auftrittsverbote für türkische Minister in den Niederlanden gefordert. In Verbalnoten protestierte Ankara gegen die Ausweisung der Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya, es nannte das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten unverhältnismäßig. Den Haag wiederum sprach eine Reisewarnung für seine Bürger in der Türkei aus. In der Türkei schlugen erst am Montag die Bilder des Wochenendes voll durch. Ein Großteil der Presse, auch die regierungskritische, druckte Fotos von Polizeihunden, die in den Niederlanden gegen Demonstranten eingesetzt worden waren. "Erbarmungslosigkeit", schrieb Hürriyet. Die Grausamkeit der niederländischen Polizei habe die ganze Welt verfolgen können. Die Regierungspresse ging noch weiter: "Rassistische Hunde!" Ankaras EU-Minister Ömer Çelik sieht Europa angesichts des Erstarkens rechter und rechtspopulistischer Kräfte in einer Krise. Die EU solle nicht nur zur Mäßigung aufrufen, sondern dieses Problem auch lösen, sagte er. Der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sprach sich Çelik dafür aus, Teile des Flüchtlingsabkommens mit der EU zu überprüfen.

Die Nato ist alarmiert vom heftigen verbalen Schlagabtausch zwischen zwei Mitgliedern. Seit dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Sommer herrscht bei der Allianz zwar Sorge über die Lage in dem Mitgliedsland. Auf keinen Fall aber soll der strategisch wichtige Verbündete verprellt werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg telefonierte am Wochenende mit den Beteiligten auf beiden Seiten. "Ich rufe alle Verbündeten auf, ruhig, maßvoll und in gegenseitigem Respekt zu agieren", sagte Stoltenberg am Montag bei der Vorstellung seines Jahresberichts in Brüssel. Robuste Diskussionen gehörten zur Demokratie, doch sei nun das Gebot, Spannungen abzubauen und zu deeskalieren.

"Die Präsenz von Nato-Soldaten ist gut für die Türkei, aber auch gut für die Allianz."

Der Generalsekretär wandte sich gegen in Deutschland diskutierte Forderungen, Bundeswehr-Soldaten aus der Türkei abzuziehen und etwa nach Jordanien zu verlegen. "Die Präsenz von Nato-Soldaten ist gut für die Türkei, aber auch gut für die Allianz", betonte er. Die Präsenz sei "ein wichtiger Teil des Beitrags der Nato zum Kampf der globalen Koalition gegen den IS".

Auch die EU-Kommission forderte die Türkei auf, "überzogene Aussagen und Handlungen" zu unterlassen. Diese drohten, "die Lage weiter zu verschlimmern", erklärten EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn und die Außenbeauftragte Federica Mogherini. Es sei wichtig, eine weitere Eskalation zu vermeiden und Wege zu finden, die Situation zu beruhigen. Eine Rolle der EU-Kommission bei der Entscheidung über die Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder sahen sie nicht. Dies liege in der Kompetenz der Mitgliedstaaten.

Auf die Frage, wie lange die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei noch aufrechterhalten würden, antwortete der Chefsprecher der EU-Kommission: "Das ist keine Frage für den Pressesaal, sondern für die europäischen Institutionen." Erdoğans Nazi-Vergleiche bezeichnete er als "Sprache, die wir vergessen wollen".

Unterdessen hat die EU damit begonnen, die Auszahlung der im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vorgesehenen Unterstützung für die Türkei zurückzufahren. Laut der Brüsseler Behörde wurden vereinbarte Reformen nicht schnell genug umgesetzt. EU-Kommissar Hahn hatte deutlich gemacht, dass es rechtlich derzeit nicht möglich sei, die sogenannten Vorbeitrittshilfen einfach ganz einzufrieren. Dazu müssten die 2005 gestarteten EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell gestoppt werden. Somit bleibt der Gesamtbetrag der finanziellen Hilfen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2020 bislang unangetastet.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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