Streit in der Koalition:Gefangen in der Transitzone

Over 6,000 Migrants Crossing Into Bavaria Daily

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze im niederbayerischen Ering

(Foto: Getty Images)
  • Die Gemeinden an der niederbayerisch-österreichischen Grenze sind wegen Tausender ankommender Flüchtlinge massiv überfordert.
  • In der CDU bröckelt der Rückhalt für Kanzlerin Merkel, erstmals seit Langem fallen die Umfragewerte der Union.
  • Während in der Union der Ruf nach Transitzonen lauter wird, lehnt die SPD diese zunächst ab. Jedoch gibt es auch in der SPD Abweichler.

Von Stefan Braun, Christoph Hickmann und Robert Roßmann, Berlin

Es sind Szenen wie die aus Niederbayern, die der Kanzlerin das Leben gerade so schwer machen. Am Montag kamen allein im Raum Passau 8000 Flüchtlinge an, am Dienstag wurde eine ähnliche Zahl erwartet. Durchgefrorene Männer, Frauen und Kinder, erschöpft von einer wochenlangen Flucht, die auf einmal an der Grenze standen. Die bayerischen Kommunen und ihre Helfer leisten in diesen Wochen Großartiges - aber so schnell so viele Flüchtlinge aufzunehmen überfordert selbst sie. Die Gemeinden an der niederbayerisch-österreichischen Grenze haben die Kontrolle verloren. Und viele sehen die Ursache nicht nur in den Kriegen dieser Welt und einer versagenden EU, sondern auch in der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.

Seit Merkels Entscheidung von Anfang September, die Flüchtlinge vom Budapester Bahnhof nicht an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen, fallen die Umfragewerte der Union wie seit Langem nicht mehr. Statt 41 bis 42 Prozent ermitteln die Auguren nur noch 35 Prozent. Die erfolgsverwöhnte CDU ist nervös geworden. Der Prozess sei an einigen Stellen bereits "selbstzerstörerisch", sagt ein Präsidiumsmitglied. Die lange unerschütterliche Siegeszuversicht sei verflogen - und Merkel nicht mehr unantastbar.

In der letzten Fraktionssitzung musste Merkel schwer für ihre Position kämpfen

Am Montagabend kam das Präsidium der CDU zusammen. Das Klima war angespannt, berichten Teilnehmer. Man würde inzwischen "offener und ehrlicher als noch vor einigen Wochen über die Flüchtlingsfrage" reden, sagt einer der CDU-Granden. Merkel hat sich in der Parteispitze jahrelang nicht mehr hart rechtfertigen müssen. Spätestens seit der Bundestagswahl 2013, bei der sie ihre Union fast zur absoluten Mehrheit geführt hat, konnte sie wie eine Monarchin herrschen. Doch das ist vorbei. In der letzten Fraktionssitzung musste sie schwer für ihre Position kämpfen, auf CDU-Regionalkonferenzen forderten einige Mitglieder bereits ihren Rücktritt.

So weit ist es noch lange nicht. Merkel hat immer noch Beliebtheitswerte, von denen Sigmar Gabriel und Horst Seehofer nur träumen können. Aber Merkel muss ihrer Partei etwas liefern, um nicht noch stärker in die Defensive zu geraten. Am kommenden Dienstag tagt wieder die Unionsfraktion. Wenn die Kanzlerin da eine Einigung über die von der CSU und vielen CDU-Innenpolitikern geforderten Transitzonen an den Grenzen mitbrächte, könnte sie manchen Unmut dämpfen. Innenminister Thomas de Maizière hatte am vergangenen Freitag bereits eine "Grundsatzeinigung" mit Justizminister Heiko Maas (SPD) verkündet. Allerdings vermied er dabei das Wort Transitzone, sprach von grenznahen schnellen Verfahren. Wie diese ausschauen könnten, ist aber offen.

Was will die SPD?

Die entscheidende Frage in diesen Tagen ist jedoch: Was will die SPD? Die Antwort ist auf den ersten Blick ziemlich simpel: keine Transitzonen. Doch diese Haltung war auch nicht immer in Stein gemeißelt. Jedenfalls gab es Anfang Oktober an einem Sonntagvormittag eine Telefonschalte der Parteispitze, in der Transitzonen durchaus als Option behandelt wurden, die man sich ansehen müsse. Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte gar öffentlich an, die Idee zu prüfen. In der Schaltkonferenz war es Parteivize Olaf Scholz, der darauf hinwies, dass es rechtliche Bedenken gebe - wobei er sinngemäß sagte, dass er dies auch nur in der Zeitung gelesen habe. Von Klarheit in dieser Frage war die SPD also weit entfernt.

Eine Woche später besprachen sich die entscheidenden Akteure am Rande des SPD-Perspektivkongresses in Mainz. Am Tag darauf ging Maas mit einer bewusst harten Formulierung an die Öffentlichkeit: "Die Einrichtung von Haftanstalten für Tausende von Flüchtlingen an der Grenze lehne ich ab", sagte er der SZ. Das ist seither die Linie der SPD, hinter ihr steht auch Parteichef Gabriel. Nachdem es Ende vergangener Woche Meldungen über eine allgemeine Einigung gegeben hatte, war es Gabriel selbst, der via Bild am Sonntag noch einmal klarmachte: nein. "Statt neue und komplizierte Verfahren aufzubauen, rate ich dazu, endlich mal Wartezonen und Abschiebung aus der Erstaufnahme umzusetzen", sagte er. Bis Dienstagabend gab es keinen Hinweis, dass sich an dieser harten Haltung etwas geändert hätte.

Viel wird vom Treffen der Parteichefs abhängen

Wohin soll das führen? Welches Ziel verfolgt Gabriel? Schließlich weiß er, unter welchem Druck Merkel steht. Was meint Gabriel genau, wenn er fordert, erst mal das Beschlossene umzusetzen? Viel wird vom Treffen der Parteichefs abhängen, das für Sonntag im Kanzleramt geplant ist. Inzwischen ist der Eindruck entstanden, dass es der SPD vor allem darum geht, nicht noch mal neue Einrichtungen zuzulassen. Zu groß scheint die Angst zu sein, dass damit durch die Hintertür doch käme, was man nicht haben möchte: umzäunte Zentren mit schnellen Verfahren.

Richtig an Gabriels Forderung ist, dass es längst Einrichtungen gibt, auf die man aufbauen könnte. Sie liegen nur allesamt nicht in der Nähe der Grenze. In Erding und Feldkirchen bei Straubing sind sogenannte Wartezonen, in denen die Flüchtlinge vor allem betreut und dann weiterverteilt werden.

In Bamberg und Manching gibt es seit einigen Wochen sogenannte Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen. Sie machen das, was Seehofer besonders fordert: Sie kümmern sich um die Flüchtlinge vom Balkan, die zumeist keine Bleibeperspektive haben. Hier werden die Verfahren beschleunigt, von hier sollen die abgelehnten Bewerber flott zurückgeführt werden. Allein: Beide liegen nicht an der Grenze. Und von einem Schnellverfahren wie in der Schweiz, wo Flüchtlinge in ähnlichen Einrichtungen maximal einige Tage bis zum Asylentscheid bleiben, kann in Bamberg und Manching keine Rede sein.

Trotzdem könnte dort eine Art Kompromiss möglich werden. So gibt es die Überlegung, die meisten staatlichen Leistungen für Balkan-Flüchtlinge an eine Registrierung und einen Aufenthalt in solchen Lagern zu koppeln. Dann bräuchte man keinen Zaun und könnte nicht mehr von Haftzentren sprechen. Dennoch wären die Flüchtlinge an diese Lager gebunden.

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