Streit in der Koalition:Die CSU verhält sich skrupellos

Beim Streit in der Union geht es nicht mehr um die Sache, sondern um Macht. Die CSU nimmt einen Sturz der Kanzlerin billigend in Kauf - und spielt Ausländerfeinden in die Hände.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Etwas Gutes hat die Eskalation im Streit zwischen CDU und CSU: Sie beseitigt jede Unklarheit darüber, was in diesen Tagen und Wochen eigentlich gespielt wird. Sie räumt endgültig mit dem Missverständnis auf, dass es bei dem Konflikt vor allem um die Frage geht, was Asylsuchenden widerfahren soll, die bereits anderswo registriert sind. Sie legt offen, dass das im Kern kein Kampf um die Flüchtlingspolitik mehr ist, sondern ein Kampf um die Macht - skrupellos geführt wie wenige in den vergangenen Jahren, gefährlich nicht nur für die Koalition, sondern auch für den gesellschaftlichen Frieden und für Europa sowieso.

Wäre der CSU daran gelegen, den Streit mit Angela Merkel um Zurückweisungen an der Grenze nicht noch weiter zu eskalieren, hätte sie an diesem Montag die Gelegenheit dazu. Die Parteiführung könnte der Kanzlerin die von ihr fast schon erbettelte Frist bis zum EU-Gipfel Ende Juni einräumen. In dieser Zeit würde Merkel versuchen, sich mit anderen europäischen Ländern über Zurückweisungen zu einigen. Falls die Christsozialen sich auch weiterhin weigern, der Kanzlerin diesen kleinen Finger zu reichen, zeigt das: Sie wollen keinen Kompromiss. Sie wollen die Konfrontation.

Besonders die Garde hinter Horst Seehofer will das. Gewiss, auch der Parteichef und Bundesinnenminister ist mit von der Partie. Aber er wirkt getrieben, vor allem vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Und der, den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl dicht vor Augen, möchte der AfD Wähler abjagen. Deswegen fährt er in der Flüchtlingspolitik einen so unnachgiebigen Kurs. Deswegen versucht er, die Kanzlerin zu demütigen. Deswegen nimmt er billigend genau das in Kauf, was die Rechtspopulisten sich als ihr eigentliches Ziel auf die Fahnen geschrieben haben: den Sturz Angela Merkels.

Horst Seehofer, der dann auch seinen Ministerposten los wäre, kann daran zwar kein Interesse haben. Die Kraft freilich, eigenständig gegen Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zu handeln, fehlt Seehofer mittlerweile. Und so nimmt er halt teil an diesem Feldzug, setzt sich zeitweilig sogar an dessen Spitze. Mag sein, der CSU-Vorstand erteilt Seehofer an diesem Montag zwar grünes Licht für die Zurückweisungen, aber der Innenminister wartet noch ein paar Tage, bevor er sie in die Tat umsetzt. Für Merkel wäre das, falls sie Seehofer trotzdem im Amt belässt, nicht mehr als ein Gnadenbrot. Mag sein, CDU und CSU wenden den Koalitionsbruch noch einmal ab. Mag sein, es findet sich in der Frage der Zurückweisungen eine Lösung, mit der auch der Koalitionspartner SPD irgendwie leben kann. Was aber bleibt: Die vergangenen Wochen haben gewaltigen Schaden angerichtet. Vor allem CSU-Politiker haben massiv Ängste vor zu vielen Flüchtlingen geschürt, haben mit Worten wie "Asyltourismus" oder "Systemversagen" Fremdenfeinden und Verächtern des Staates und seiner Institutionen in die Hände gespielt. Zwischen CDU und CSU, den Koalitionspartnern in schwierigen Zeiten, herrscht nun ein noch viel tieferes Misstrauen als bisher schon und hier und da auch Hass. In der CSU grassieren gegenseitige Geringschätzung und jagen sich die Intrigen. In der CDU haben jene Politiker Morgenluft gewittert, die mit Angela Merkels politischem Kurs nicht einverstanden sind und sie innerparteilich schwächen, wenn nicht gar weghaben wollen.

Die Kanzlerin mag irgendwie weiterregieren. Aber irgendwie reicht nicht mehr

Die Kanzlerin mag, falls der Putsch der Söders und Dobrindts gegen sie abgeblasen wird, irgendwie weiterregieren. Aber irgendwie reicht nicht mehr - nicht angesichts des politischen Wahnsinns im Weißen Haus, nicht angesichts einer EU unter massivem Druck von innen und von außen, nicht angesichts jenes Teils der Bevölkerung, der immer mehr mit der etablierten Politik hadert.

Hätte diese für die Regierung und die Stimmung im Land so belastende Zuspitzung eines Streits vermieden werden können? Sie hätte, wenn es einmal um Sach- und nicht immer nur um Machtfragen gegangen wäre. Dann hätten die Beteiligten sich über die Fakten gebeugt, sie hätten festgestellt und kommuniziert: Deutschland ist, was den Zuzug von Flüchtlingen angeht, längst nicht mehr in den Jahren 2015, 2016, oder auch 2017. Es beantragen zwar immer noch etliche Menschen hier Asyl, aber die Zahlen gehen ständig zurück; mehr noch, wenn sie sich weiter so entwickeln, wie in den ersten Monaten dieses Jahres, dann bleibt der Zuzug deutlich unter der von der CSU geforderten Obergrenze von 200 000 Menschen im Jahr.

Das, was die Regierung an Asylpaketen und Flüchtlingsdeals auf den Weg gebracht hat, bedeutet nicht nur, dass viele Menschen außen vor bleiben, die tatsächlich keine Asylgründe haben. Die Gesetzesverschärfungen treffen auch Flüchtlinge, die Anspruch auf Schutz hätten, aber keine Chance bekommen, ihn hier geltend zu machen. Wenn es um die Sache gegangen wäre, hätte man auch darüber sprechen können. Wenn.

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