Streiks:Wer jetzt den Schaden hat

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Das Bundesarbeitsgericht verurteilt die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und gibt damit einen wichtigen Warnschuss ab: Denn Schadenersatz wegen eines rechtswidrigen Streiks - so etwas gab es bisher nur im juristischen Lehrbuch.

Von Wolfgang Janisch

Wer je auf einem Flughafen oder Bahnhof hängengeblieben ist, weil eine kleine Gewerkschaft großes Chaos verursacht hat, der wird eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken können. Das Bundesarbeitsgericht hat die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) wegen eines rechtswidrigen Streiks im Frühjahr 2012 zu Schadensersatz verurteilt. Ob es am Ende die 5,1 Millionen Euro werden, die der Flughafenbetreiber Fraport gefordert hat, darf man zwar bezweifeln. Darüber muss nun das Landesarbeitsgericht befinden, falls nicht Fraport selbst (in Erwartung eines fortan konzilianteren Tarifpartners) den womöglich ruinösen Betrag reduziert. Aber ein Warnschuss ist das allemal, denn bisher gab es Schadensersatz für rechtswidrige Streiks nur im Lehrbuch.

Dass die obersten Arbeitsrichter mit einem Mal Ernst machen, läutet allerdings noch keine Zeitenwende ein. Das aufsehen-erregende Urteil ist, genau besehen, eher eng gefasst: Die GdF haftet, weil sie die Friedenspflicht aus dem noch nicht gekündigten Teil des Tarifvertrags missachtet hat. Das ist ein ziemlich dummer Fehler, so dass es nicht ganz fernlag, der Gewerkschaft jenes Maß an Verschulden anzulasten, das Voraussetzung eines Anspruchs ist. Das heißt aber auch, dass jeder Gewerkschaftsjurist künftig diesen Punkt sehr genau prüfen wird, bevor er einem Arbeitskampf seine Zustimmung gibt.

Dass den Gewerkschaften über solch grobes Ungeschick hinaus finanzielle Risiken drohten, wenn sie teure Streiks führen, lässt sich dem Urteil vorerst nicht entnehmen. Die Fluglinien, die ihre Maschinen auf dem Flugfeld des bestreikten Airports lassen müssen, gehen als lediglich "mittelbar" Betroffene leer aus; das hatte das Gericht schon letztes Jahr entschieden, und zwar zu Recht: Die Ansprüche wären so unabsehbar, dass sie das im Grundgesetz verankerte Streikrecht ersticken würden.

Auf die Arbeitsgerichte kommt hier noch sehr viel Arbeit zu

Vor allem aber schweigt das Urteil in seiner Kurzfassung - die schriftlichen Gründe stehen noch aus - zu einigen virulenten Fragen. Der moderne Arbeitskampf in den anfälligen Strukturen der Daseinsvorsorge ist davon geprägt, dass David praktisch immer der Stärkere ist. Ein paar Vorfeldlotsen können den Flugbetrieb und ein paar Zugführer die Bahn lahmlegen, mit geringstem Aufwand und gigantischen Auswirkungen. Hinzu kommt das Problem der Solidaritätsstreiks, ein wirkungsvoller Hebel, der den Aufwand unwesentlich erhöht, aber die Wirkungen potenziert. Und immer stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit: Wie viel Schaden darf eine Gewerkschaft verursachen, um ihre Forderungen durchzusetzen?

Ob das Gericht künftig auch bei grob unverhältnismäßigen Streiks Schadensersatz gewährt, wird man sehen. Wahrscheinlich ist das nicht, schon deshalb, weil das dafür notwendige Verschulden im Graubereich der Verhältnismäßigkeit nicht so leicht auszumachen ist wie beim Verstoß gegen die Friedenspflicht. Dennoch wird das Bundesarbeitsgericht klarere und vermutlich strengere Maßstäbe finden müssen, um der Maßlosigkeit mancher Spartengewerkschaften Grenzen aufzuzeigen. Denn dafür ist das Arbeitskampfrecht das richtige Instrument - das Tarifeinheitsgesetz, das nicht den Streik regeln, sondern die Kleingewerkschaften verdrängen will, war die falsche Antwort auf das Problem.

Um diese Aufgabe sind Arbeitsrichter nicht zu beneiden. Der Gesetzgeber lässt sie damit seit Jahrzehnten vollständig allein, aus Furcht vor den Verbänden. Arbeitskampfrecht ist deshalb Richterrecht. Es wird ein schwieriger Balanceakt, die Macht der schlagkräftigen Gewerkschafts-Winzlinge zu beschneiden, ohne ihr Grundrecht auszuhöhlen. Das Fraport-Urteil ist jedenfalls ein richtiges Signal.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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