Strategiewechsel im US-Wahlkampf:Romneys plötzliche Zuneigung für "Obamacare"

"Obamacare" diente den Republikanern bisher als Schimpfwort. Doch nun gibt sich Präsidentschaftskandidat Mitt Romney versöhnlich und will im Falle eines Wahlsieges sogar Teile der umstrittenen Gesundheitsreform von Barack Obama übernehmen. Der späte Sinneswandel macht den Herausforderer angreifbar.

Sebastian Gierke

Mitt Romney hatte in Tampa einige Probleme, den Saal in Wallung zu bringen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat ist kein brillanter Redner, viele Pointen bei seiner Rede auf dem Parteitag der Republikaner versandeten wegen seiner monotonen, leidenschaftslosen Vortragsweise.

Mitt Romney Obamacare US-Wahlkampf

Mitt Romney hat im Moment keinen guten Lauf: Umfragen zeigen, dass sein Gegner Barack Obama in wichtigen Bundesstaaten vorne liegt.

(Foto: REUTERS)

Doch die beiden Male, als er in seinem Auftritt am 30. August "Obamacare" in den Saal hinein rief, dieses Schimpfwort der Republikaner für die Gesundheitsreform des US-Präsidenten Barack Obama, als er zum Beispiel sagte "Wir müssen die in die Höhe schnellenden Kosten im Gesundheitswesen zügeln, in dem wir Obamacare außer Kraft setzten und ersetzen", da schossen die Delegierten von ihren Stühlen hoch, jubelten ausdauernd, fast grimmig.

Die ständige, unnachgiebige Kritik an Obamacare war bislang fester Bestandteil im Wahlkampf der Republikaner. Bei jeder Gelegenheit betonten Mitt Romney und sein Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan, welch Bürde für die Freiheit jedes einzelnen Amerikaners das Gesetz sei, das zudem nur den großen Pharmakonzernen wirklich nütze. Die Republikaner schrieben diesem Thema mit das höchste Mobilisierungspotenzial im Wahlkampf zu.

Der Herausforderer gibt sich versöhnlich

Doch jetzt hat Mitt Romney überraschend seinen Kurs geändert. Ein völlig anderer Ton war es, den der Republikaner am Wochenende in der NBC-Nachrichtensendung "Meet the Press" anschlug. Knapp zwei Monate vor der Wahl am 6. November klang Romney fast versöhnlich. Sogar Lob für die Demokraten hatte er übrig. Etwa sei die Rede von Bill Clinton, der Obamacare auf dem Parteitag in der vergangenen Woche ausführlich verteidigt hatte, "erhebend" ("elevated") gewesen. Und gleich zwei Mal pries er Obama für dessen Rolle bei der Tötung Osama bin Ladens.

Und dann erklärte Romney, dass ja auch nicht alles schlecht sei an Obamacare. Mancher Zuhörer traute seinen Ohren nicht. Romney ging bei einem seiner seltenen Interviews für den eher liberalen TV-Sender NBC auch ins Detail: Mindestens zwei Kernpunkte des von der Obama-Regierung vorgesehenen Umbaus des US-Gesundheitswesens wolle er beibehalten.

Zwar werde er Obamacare durch seinen eigenen Plan ersetzen, erklärte Romney. Um dann anzufügen: "Selbst in Massachusetts, als ich Gouverneur war, befasste sich unser Plan dort mit Vorerkrankungen und jungen Menschen." Er werde sicherstellen, dass diejenigen mit Vorerkrankungen Versicherungsschutz bekämen. Genau das ist ein Eckpfeiler von Obamacare.

Geänderte Parole

Romney selbst hatte als Gouverneur von Massachusetts eine Gesundheitsreform durchgesetzt, die der von Obama in vielen Punkten ähnelt. Davon wollte er allerdings bislang im Wahlkampf nichts mehr wissen. Obamacare müsse komplett rückgängig gemacht werden, lautete die Parole - bis jetzt.

Romneys neuer Tonfall überrascht auch deshalb, weil der Präsidentschaftsbewerber schon während seiner ersten Kandidatur 2008 gegen ein Image als Flip-Flopper zu kämpfen hat. Immer wieder wird ihm Opportunismus vorgeworfen, Romney lasse Prinzipientreue und Standhaftigkeit vermissen. Behaupten Kritiker aus den eigenen wie aus des Gegners Reihen.

Und auch sein aktueller Kurswechsel hat nichts mit einer neu entdeckten Sympathie für die Demokraten oder Obama zu tun, sondern ist vielmehr der Versuch, die Wähler der politischen Mitte zu erreichen - vor allem die Unentschlossenen, die Independents.

Strategiewechsel zielt auf Wechselwähler-Staaten

Romney hat im Moment keinen guten Lauf. Der Parteitag der Demokraten hat Obama Auftrieb gegeben, mehr als Romney aus dem Parteitag seiner Partei mitnehmen konnte. Landesweit liegt Obama jetzt in Umfragen wieder vorne. Und der Amtsinhaber führt in sieben von acht Battleground-Staaten. Nur in North Carolina liegt Romney vorne. In Ohio, einem der wichtigsten und umkämpftesten Staaten, konnte Obama seinen Vorsprung sogar auf fünf Prozent ausbauen.

Auch beim Spendenaufkommen hat Obama seinen Gegner erstmals seit drei Monaten wieder hinter sich gelassen. Der Amtsinhaber und die Demokraten verbuchten im August mit über 114 Millionen Dollar (89 Millionen Euro) deutlich mehr Wahlkampfspenden als in den Vormonaten, wie ein Mitarbeiter der Kampagne am Sonntag sagte. Romney konnte nach Angaben seines Wahlkampfteams im vergangenen Monat 111 Millionen Dollar (86,6 Millionen Euro) einwerben. Auch das ist immerhin sein bislang bestes Spendenergebnis.

All das hat Romney jetzt offenbar dazu veranlasst, an einigen Stellschrauben im Wahlkampf zu drehen, sich neu zu positionieren und so näher an die Mitte heranzurücken. Tatsächlich droht ihm von rechts keine Gefahr, die Stimmen hat er nicht nur aufgrund der Nominierung des konservativen Hardliners Ryan zum Vizepräsidentschaftskandidaten sicher. Die Wahl jedoch wird in der Mitte entschieden - und die Mitte arrangiert sich gerade mit Obamacare. Ideologisch geführte Machtkämpfe kommen da nicht gut an.

Angst um die Stimmen aus Florida

Zweieinhalb Jahre, nachdem Obama den Patient Protection and Affordable Care Act unterzeichnet hat, nutzen die Demokraten Obamacare offensiv, versuchen im Wahlkampf mit der Gesundheitsreform zu punkten. Eine aktuelle Studie spielt ihnen dabei in die Karten. Danach stehen künftige Rentner finanziell schlechter da, wenn die Vorstellungen Romneys zu Medicare umgesetzt würden.

Der Studie zufolge muss ein Durchschnittsverdiener, der 2023 in Rente geht, danach in seinem Ruhestand fast 60.000 Dollar (47.000 Euro) mehr für seine Gesundheitsversorgung ausgeben, sollten Romneys Vorstellungen zu Medicare umgesetzt werden. 2030 - das Jahr, in dem die heute 48-Jährigen in Rente gehen - seien es sogar 124.600 Dollar. Romney und Ryan wollen das mit Gutscheinen abmildern.

Vor allem im wichtigen Bundesstaat Florida, wo so viele ältere Menschen leben wie in keinem anderen US-Bundesstaat, werden die Demokraten die Studienergebnisse aggressiv ausschlachten. Die meisten Menschen dort haben zwar immer noch mehr Angst vor Obamas Plänen, als vor denen der Republikaner, das könnte sich mit der Studie allerdings ändern. Außerdem verfängt vor allem bei den entscheidenden Wählerschichten, die zum Teil bereits von der Gesundheitsreform profitieren, die republikanische Fundamentalopposition immer weniger.

Mitt Romney gibt sie deshalb auf. Die Demokraten werden ihn dafür, dass er auf sie zugeht, wieder als Flip-Flopper bezeichnen. Es ist Wahlkampf in den USA - und alle Mittel sind recht.

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