Straßenverkehr:Abgelenkt

Frau am Steuer schreibt eine SMS Handy im Auto *** Woman at Tax writes a SMS Handy in Car

Multitasking am Steuer – vielen Verkehrsexperten ist das nicht geheuer. Verboten ist das Halten von Handys auf dem Fahrersitz auch.

(Foto: Rolf Kremming/imago)

Verkehrsminister Scheuer startet eine Kampagne gegen den "Top-Killer im Straßenverkehr".

Von Ulrike Schuster, Berlin

Im bordeauxroten Loafer-Schuh tritt er aufs Gaspedal, der Tacho zeigt 50 Stundenkilometer, eine SMS piept, die Stimme im Funkgerät fordert "Antworten Sie: Ich bin gleich da". Dazu kommt es nicht. Noch während der Verkehrsminister nach dem Handy in der Mittelkonsole greift, schießen vor der Windschutzscheibe die Wasserfontänen hoch. Andreas Scheuer (CSU) reißt das Steuer rum, will ausweichen, er ist ohne Chance. Er brettert gegen die Fontänenwand - meterweit fegt es den Minister in seinem Elektro-BMW im Blindflug von der Fahrbahn.

Im echten Leben wäre das vielleicht ein Flug in den Tod gewesen. Heute aber ist der Verkehrsminister sicher, andere Menschen sind sicher vor ihm. Der Minister befindet sich auf dem Fahrsicherheitsgelände des ADAC Berlin-Brandenburg, im Training gegen den "Top-Killer im Straßenverkehr": das Handy. Klingt extrem, soll es auch, Scheuer sagt: "Wir wollen schockieren." 100 Euro Geldbuße und der Punkt in Flensburg "bringen einfach nichts", sagt Scheuer. Die Gefahr durchs Handy im Verkehr nimmt keiner so richtig ernst. Also heißt die neue "drastische Informationskampagne" seines Ministerium #tipptipptot. Und die geht so:

Im Video-Clip der Werbeagentur Scholz und Friends fragt eine Stimme: "Was gibt's schöneres als sicher einzuschlafen und sicher aufzuwachen." Zu sehen ist ein kleines Mädchen im Kindersitz. Die Kamera schwenkt auf den Fahrersitz. Zertrümmerte Scheibe, auf dem Sitz ein regloser Vater, der Notarzt fliegt nur noch das Mädchen im Helikopter ins Krankenhaus aus. Auf #Fingervomhandy-Postkarten gibt es Sprüche zu verschicken: "Lieber nicht zu erreichen, als nicht zu retten", "Funkstille heißt, ich liebe dich" oder "Bei dir heb ich nicht ab".

Auf dem ADAC-Testgelände stehen sie schon, die Plakate, flankieren den Weg des Ministers: "Marie (38), abgelenkt durch eine SMS", steht da. Marie ist im Display mit der kleinen Tochter zu sehen. Die Handyuhr zeigt 16:20 Uhr. Auf Plakat zwei ist Jens (26) zu sehen, auch er "abgelenkt durch eine SMS". Bei ihm passierte der Unfall um 18:24 Uhr, auf dem Bildschirmfoto schmust er mit seiner Freundin. Über Jens und Marie schweben große Kreuze. Es sind Todesanzeigen. Bald, zu Ferienbeginn, auf der Fahrt in den Urlaub werden diese Plakate auf 700 Flächen entlang der Autobahnen und Rastplätze kleben.

"Das Handythema ist ein Killerthema", sagt Scheuer. Schnell telefonieren, die Mail lesen, die SMS tippen; dabei gleichzeitig das Auto oder das Rad lenken oder die Straße überqueren - "die Mär vom Multitasking ist lebensgefährlich".

Wirklichkeit und Wissenschaft geben ihm Recht. Laut einer Studie der Allianz bekennt sich jeder zweite Pkw-Fahrer sein Mobiltelefon während der Fahrt zu nutzen, 39 Prozent bedienen unterwegs ihr Navigationsgerät, jeder vierte Smartphone-Nutzer liest am Steuer Textnachrichten und rund 15 Prozent texten gar selbst zurück; 36 Prozent gerieten durch all das mal in eine brenzlige Situation und 350 wurden durch Ablenkung 2015 getötet. Durch Alkohol starben bei Kollisionen weniger Menschen. Und eine Studie der Universität Virginia gibt dem Handy die Schuld an jedem dritten Verkehrsunfall. Für Scheuer alles "brutale Zahlen".

Brutal gut gefällt es ihm, die Testrunden zu drehen. Im echten Leben die Hände am Steuer zu lassen, falle ihm nicht schwer. Zuletzt war er in seinem Wahlkreis Passau unterwegs, da habe er das Handy einfach lautlos in die Tasche gesteckt. "Bin ich 30 Minuten nicht erreichbar, geht die Welt nicht unter", sagt der Minister. Er nehme sich nicht so wichtig, sagt er. Klingt gelassen. Vielleicht macht das die persönliche Bilanz. Gefragt nach seinen ersten 100 Tagen im Amt sagt er: schönes Amt, schönes Ministerium, viel zu investieren.

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