Straßburg:Türkische Journalisten erhalten recht

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der Inhaftierung von zwei Journalisten verurteilt. Die Grundrechte von Mehmet Hasan Altan und Şahin Alpay würden verletzt.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nicht, dass es jemand bezweifelt hätte, aber nun ist es amtlich. Die türkische Reaktion auf den Putschversuch vom Juli 2016 war mindestens teilweise unvereinbar mit rechtsstaatlichen Standards. Erstmals nach dem gescheiterten Umsturz hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei wegen mehrerer Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention verurteilt. Der Gerichtshof hat den beiden Journalisten Mehmet Hasan Altan und Şahin Alpay je 21 500 Euro Entschädigung zugesprochen, weil sie in den Monaten nach dem fehlgeschlagenen Putsch als angebliche Umstürzler zu Unrecht in Untersuchungshaft genommen waren.

Das kommt nicht sonderlich überraschend, nachdem Anfang Januar sogar das türkische Verfassungsgericht die Inhaftierung der beiden Journalisten gerügt hatte, weil es keinerlei Beweise für ihre angebliche Kooperation mit der Gülen-Bewegung gebe, die für den Putsch verantwortlich gemacht wird. Ein Untergericht hatte gleichwohl ihre Entlassung verhindert, erst vergangene Woche wurde Alpay aus dem Gefängnis entlassen, steht aber unter Hausarrest. Altan dagegen wurde inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt. Damit bleibt ungewiss, ob die beiden Männer nun auf freien Fuß kommen.

Bemerkenswert ist aber, wie unmissverständlich sich der Gerichtshof für die Verteidigung der Meinungsfreiheit starkgemacht hat. Altan leitete vor dem Coup eine politische Diskussionssendung im Fernsehen, Alpay schrieb für die Tageszeitung Zaman; diese beiden Publikationswege wurden im Juli 2016 kurzerhand geschlossen. Im Straßburger Prozess hatte sich die Türkei auf die Geltung des Ausnahmezustands berufen - der laut Menschenrechtskonvention in der Tat stärkere Einschränkungen erlaubt. Der Gerichtshof kommt gleichwohl zu dem Ergebnis, dass die freie Rede auch in Notzeiten gelten muss. Die Existenz eines "öffentlichen Notstands" dürfe nicht als Vorwand zur Einschränkung der politischen Debatte benutzt werden, die zum Kern einer demokratischen Gesellschaft gehöre. Auf Kritik dürfe nicht mit derart schwerwiegenden Vorwürfen wie dem einer Unterstützung einer Terrororganisation reagiert werden.

Es sind diese Sätze, die weit über die Causa Altan und Alpay hinauswirken. In Straßburg sind Beschwerden weiterer Journalisten anhängig, darunter jene von Deniz Yücel, die sich mit seiner Entlassung keineswegs erledigt hat. Meinungs- und Pressefreiheit können nicht mit der Ausrufung des Ausnahmezustands einfach beiseitegewischt werden: Das ist die Botschaft des Gerichtshofs. In Zeiten der Bedrohung muss der Staat die demokratische Ordnung verteidigen - er darf sie nicht durch Verfolgung seiner Kritiker untergraben. Das erste höchstrichterliche Wort zur Entwicklung der Türkei nach dem Putsch ist also ein selbstbewusstes Statement.

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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