Strafverteidiger:Ikone und Feindbild

Der Bremer Rechtsanwalt i R Heinrich Hannover im Garten seines Holzhauses am Rande von Worpswede be

Der Strafverteidiger Heinrich Hannover, erklärter Pazifist und Antifaschist, kämpfte vier Jahrzehnte lang für Kommunisten und Kriegsdienstverweigerer.

(Foto: Eckhard Stengel/Imago)

Er verteidigte Terroristen, Wehrdienstverweigerer - und den Rechtsstaat: Heinrich Hannover wird 90 Jahre alt.

Von Annette Ramelsberger

Er ist ein Mann, der in Drachenblut baden musste. Der zum Verbrecher gestempelt wurde, nur weil er Verbrecher verteidigte. Und oft waren seine Mandanten noch nicht mal Straftäter, sondern Wehrdienstverweigerer, Linke, Menschen, die sich gegen Polizeigewalt wehrten. Das reichte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, um die Verfolgung des Staates auf sich zu ziehen. Und später reichte es, zum Feindbild zu werden, wenn man nur in die Nähe von Terrorverdächtigen geriet, so wie Heinrich Hannover, diese Ikone deutscher Strafverteidigung. Hannover war das Fleisch gewordene Feindbild des Adenauer-Deutschlands: ein linker Anwalt, streitbar und unbeugsam.

Heinrich Hannover wird am Samstag 90 Jahre alt - und er sprüht vor Energie. Groß, wortgewaltig, klug. Einer, der noch immer schreibt - allerdings keine Prozessanträge, sondern Kinderbücher, früher für seine sechs Kinder, jetzt für die Enkel. Das bekannteste seiner 17 Kinderbücher ist sicher "Das Pferd Huppdiwupp".

In Hannovers Leben spiegelt sich die deutsche Geschichte. Er fing als junger Mann beim Haus- und Grundbesitzerverein in Bremen an, doch dann musste er 1954 als Pflichtverteidiger einen Kommunisten verteidigen und erlebte, wie sich Polizei und Staatsanwaltschaft gegen den Mann verschworen, der von einem Polizeibeamten schwer verletzt worden war. Der Kommunist wurde verurteilt, nicht der Polizist. Das prägte Hannover.

Der junge Anwalt erlebte eine Justiz, die bis in die Siebzigerjahre hinein von Alt-Nazis durchsetzt war. Erlebte, wie man ihn tagelang von seinen Mandanten fernhielt, wie seine berühmteste Mandantin, Ulrike Meinhof, jedesmal durchsucht wurde, wenn er sie besucht hatte. Gegen ihre menschenunwürdigen Haftbedingungen rannte er vor Gericht an. Sie und ihre Taten konnte er nicht verteidigen, "weil sie sich nicht überzeugen ließ, dass man die Gesellschaftsordnung nicht mit individuellem Terror verändern kann", sagt er. Hannover legte das Mandat nieder. Später verteidigte er die RAF-Aussteigerin Astrid Proll, den letzten Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, oder auch den späteren Innenminister Otto Schily, als der noch jung und wild war.

Er hat das Bad im Drachenblut überlebt, aber nicht vergessen, wie er und seine Kollegen schikaniert wurden. Wie er mit Ehrengerichtsverfahren überzogen und von Staatsanwälten als "untaugliches Subjekt" beschimpft wurde. Bei seinen körperlichen Durchsuchungen fing er aus Protest an zu singen. Das war nicht verboten, verkürzte aber die Prozedur.

Hannover hat seine Kanzlei in Bremen 1995 aufgegeben. Seine alte Robe hängt noch dort, ein wenig abgetragen, aber voller Patina. Ein Stück deutscher Rechtsgeschichte.

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