Strafrecht:Warum Mord nicht gleich Mord ist

Muss die Tötung eines Menschen automatisch mit lebenslanger Haft bestraft werden? Nein, sagt eine Expertenkommission im Auftrag des Justizministeriums. Zu Recht: Der Mordparagraf, 1941 von den Nazis verfasst, gehört reformiert.

Von Wolfgang Janisch

Die Reform der Tötungsdelikte war der Auftrag an die Expertengruppe, nun hat sie ihren Abschlussbericht vorgelegt. Es ist ein umfassender Bericht geworden, voller guter Ansätze für die überfällige Neufassung des NS-kontaminierten Mordparagrafen. Es ist aber auch ein zauderndes Werk, das vor einer grundlegenden Reform zurückschreckt - zumindest, wenn man den Blick auf die Mehrheitsvoten der Fachleute richtet.

Dabei weist der Bericht in einem zentralen Punkt in die richtige Richtung. Der Automatismus, wonach jeder Mord zwingend zu lebenslanger Haft führt, soll abgeschafft werden. Denn der Mordparagraf krankt seit jeher an seiner symbolischen Überforderung. Weil er das höchste Gut schützt, das unsere Rechtsordnung kennt, das Leben, ist er mit der höchsten Strafdrohung ausgestattet. Und beim Lebensschutz, so glaubte der Gesetzgeber einst signalisieren zu müssen, darf es kein Wackeln geben. Wer das Leben eines anderen zerstört, hat sein eigenes Leben in Freiheit verwirkt - das Strafgesetzbuch kannte als Antwort bisher nur die lebenslange Haft.

Wer mordet, kann dies auch aus Verzweiflung oder Mitgefühl tun

Diese rigide Symbolik ging an der Wirklichkeit vorbei. Wer mordet, kann dies auf bestialische Weise tun oder aus menschenverachtenden Motiven - aber auch aus Verzweiflung und Ausweglosigkeit, mitunter sogar aus Mitgefühl mit einem Todkranken. Ein Strafrecht, das die Schuld des Täters zum Anker der Strafe gemacht hat, muss dies abbilden. Mord ist eben nicht gleich Mord - die Gerichte haben sich den Paragrafen ohnehin längst zurechtgebogen. Höchste Zeit, dies nun auch ins Gesetz zu schreiben.

Überfällig ist es zudem, die alte Nazi-Terminologie ("Mörder ist") zu streichen, die den Mord gleichsam zur Identität des Menschen macht, der ihn begangen hat. Symbolik, gewiss, sie ist trotzdem wichtig in einer Zeit, in der es wieder üblich geworden ist, von "Terroristen" oder "Kinderschändern" zu sprechen - als wäre das Verbrechen ihr einziges Wesensmerkmal. Allerdings schrecken die Reformer davor zurück, den Mordparagrafen endlich von einigen seiner düster schillernden Begriffe zu befreien.

"Für vorsätzliche Tötungen gibt es selten gute Gründe"

Anders als die meisten Menschen glauben, ist nicht bereits jede vorsätzliche Tötung ein Mord, sondern nur eine besonders verwerfliche. Mord aus Habgier etwa: Ist Habgier letztlich nichts als die dunkle Seite des sonst allseits gutgeheißenen Gewinnstrebens? Oder die "niedrigen Beweggründe": Sie sind eine moralische Kategorie, die sich mit einem rationalen Strafrecht schlecht verträgt. Ihm erscheine die Selbstgewissheit unheimlich, "mit der wir dabei über selbstdefinierte Niedrigkeit menschlicher Motive urteilen", schrieb der BGH-Richter Thomas Fischer. Und fügt hinzu: "Für vorsätzliche Tötungen gibt es selten gute Gründe."

Dennoch: Der Bericht enthält alles, was der Gesetzgeber für eine gelungene Reform benötigt. Nur sollte der Gesetzgeber auch auf Ansätze zurückgreifen, die keine Mehrheit gefunden haben. "Menschenverachtende" Motive als Mordmerkmal zu definieren, wäre so ein Vorschlag.

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