Stimmrecht in den USA:Wie neue Gesetze Obama-Anhänger von der Wahl ausschließen

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Ein Waffenschein gilt, ein Studentenausweis nicht: Auf Druck der Republikaner müssen sich Wähler in mehreren amerikanischen Bundesstaaten jetzt mit speziellen Dokumenten ausweisen, um ihre Stimme abzugeben. Das benachteiligt vor allem Minderheiten, junge Menschen und Senioren. Die diskriminierenden Gesetze werden das Ergebnis der Präsidentschaftswahl beeinflussen.

Friederike Hunke

Da ist die Rentnerin Viviette Applewhite, der die Handtasche gestohlen wurde. Da ist der 83-jährige José Zuninga, der zu gebrechlich ist, um Bus zu fahren. Und da ist der Afroamerikaner Anthony Sharp, 19 Jahre alt, der kein Einkommen hat, um eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde zu bezahlen. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie können bei der US-Präsidentschaftswahl im November nicht wählen.

2008 standen die Menschen Schlange vor den Wahlbüros, um für Obama zu stimmen. Für viele von ihnen wird das Wählen jetzt sehr viel schwerer. (Foto: REUTERS)

Grund sind neue Identifikationsgesetze in ihren Heimatstaaten Pennsylvania, Texas und Wisconsin. Seit kurzem muss dort jeder potenzielle Wähler einen von der Regierung akzeptierten Lichtbildausweis vorzeigen, um auf dem Stimmzettel sein Kreuz setzen zu können. Damit gehören sie zu einer Reihe von Bundesstaaten, die in den vergangenen Jahren Barrieren fürs Wählen aufgestellt haben.

Mittlerweile gibt es in 19 Staaten Gesetze, die es für Millionen Wahlberechtigte schwer bis unmöglich machen, ihre Stimme abzugeben. Die Bürgerrechtlerin Judith Browne-Dianis sagte damals dem Magazin Rolling Stone, was in den USA passiere, sei "der größte Rückschritt für das Stimmrecht in diesem Land seit einem Jahrhundert".

Obama-Wähler werden benachteiligt

Die Regelungen benachteiligen besonders Afroamerikaner, Hispanics, junge Menschen und Geringverdiener. Gerade diese Wählergruppen waren 2008 von zentraler Bedeutung für Barack Obamas Wahlsieg. Es verwundert deshalb nicht, dass fast alle der diskriminierenden Gesetze in Staaten erlassen wurden, in denen die Republikaner die Mehrheit haben. Die Staaten, die diesem Trend folgen, werden bei der US-Präsidentschaftswahl im November 171 Wahlmänner stellen - 63 Prozent von den 270, die gebraucht werden, um die Wahl zu gewinnen.

Die Gesetze sollen Wahlbetrug verhindern, argumentieren Befürworter. Sie stellten sicher, dass ein registrierter Wähler tatsächlich derjenige ist, der er zu sein behauptet. Doch die meisten Staaten forderten bereits vorher irgendeine Art der Identifikation.

Lange Zeit reichte für US-Bürger die Geburtsurkunde, ein Studentenausweis oder eine Stromrechnung, um sich auszuweisen. In immer mehr Staaten ändert sich das nun. Das Problem daran: Einer von zehn Amerikanern besitzt keinen normalen Lichtbildausweis.

Gesetze sind politisch motiviert

Kritiker sehen deshalb eine politische Motivation hinter den Gesetzen. Der republikanische Abgeordnete Mike Turzai befeuerte kürzlich diese Argumente. Er sagte Ende Juni bei einer internen Veranstaltung seiner Partei, das neue Identifikationsgesetz werde Mitt Romney dabei helfen, die Wahl in Pennsylvania zu gewinnen. Die Entrüstung bei den US-Demokraten war groß. Sie beschwerten sich, dass die Republikaner "völlig offensichtlich" diejenigen von der Wahl abhalten, die eher für ihre Partei stimmen würden als für die Konservativen.

Eine viel beachtete Studie vom Brennan Center of Justice bestätigte kürzlich, dass proportional mehr Reiche einen Pass oder einen Führerschein besitzen, sodass eine strenge Ausweispflicht Geringverdiener und Studenten benachteiligt. Demnach müssen über zehn Millionen Wahlberechtigte mehr als zehn Meilen (etwa 16 km) zum nächsten Bürgerbüro fahren, um einen Wähler-Ausweis zu erhalten. Dabei haben sie oft keinen Zugang zu öffentlichen Transportmitteln - ein großes Problem für Senioren, Behinderte oder Menschen ohne Auto.

Viele Bürgerbüros haben zudem nur eingeschränkte Öffnungszeiten. Einen besonders skurrilen Fall beschreibt die Studie des Brennan Centers: Das Büro in Sauk City in Wisconsin öffnet nur an jedem fünften Mittwoch im Monat - 2012 haben aber nur vier Monate überhaupt fünfmal einen Mittwoch. Das mag eine Ausnahme sein, aber in Staaten wie Alabama oder Georgia befinden sich viele Büros mit kurzen Öffnungszeiten ausgerechnet in den ländlichen Gegenden, also dort, wo besonders viele Schwarze und Arme leben.

Wahlkampfversprechen von Obama
:Versprochen - gebrochen

"Washington ist so kaputt wie vor vier Jahren", das hat Barack Obama eingeräumt. Der US-Präsident wollte versöhnen - und scheiterte. Er wollte den Wandel, mehr Klimaschutz, Guantanamo schließen. Doch am Ende seiner ersten Amtszeit herrscht vor allem große Enttäuschung.

Friederike Hunke

Das Brennan Center of Justice bemängelte außerdem, dass durch die neuen Gesetze viele Amerikaner fürs Wählen zahlen müssten. Um einen Wähler-Ausweis zu bekommen, müssen Bürger demnach oft Geburts- und Heiratsurkunden vorlegen, die zwischen acht und 25 US-Dollar kosten. Viele Betroffene seien arm und könnten sich das nicht leisten, so die Studie. Die Autoren kommen zu dem Schluss, Wähler-Identifikationsgesetze bedeuteten "eine ernste Belastung für ein zentrales Recht, das für jeden amerikanischen Bürger verfügbar sein sollte".

US-Justizminister Eric Holder bezeichnete die Identifikationsgesetze als "Kopfsteuer", die Geringverdiener und Minderheiten systematisch benachteilige. (Foto: AFP)

US-Justizminister Eric Holder, selbst Afroamerikaner, bezeichnete die Identifikationsgesetze sogar als "Kopfsteuer". Damit hatten die Südstaaten kurz nach Abschaffung der Sklaverei versucht, Schwarze vom Wählen abzuhalten. Damals musste jeder Bürger Geld zahlen, um seine Stimme abzugeben. Die Armen konnten sich das oft nicht leisten und verzichteten auf ihr Wahlrecht. Holder zufolge besitzen nur acht Prozent der Weißen in Texas nicht den nötigen Ausweis, um nach dem neuen Gesetz wählen zu können, der Prozentsatz unter den Schwarzen betrage dagegen das Dreifache.

Die Regierung Obamas blockierte deshalb das 2011 von den Republikanern in Texas beschlossene Wähler-Identifikationsgesetz. Daraufhin verklagte der Staat die US-Regierung vor einem Bundesgericht in Washington - eine Entscheidung wird noch im Sommer erwartet.

Im ganzen Land schritten Gerichte, Wähler und das US-Justizministerium ein, um die Gesetze zu blockieren oder zumindest abzumildern. Die Argumente der Befürworter überzeugen auch viele Republikaner nicht: Stewart Greenleaf, Senator in Pennsylvania, hält das neue Gesetz für unnötig, weil Einzelpersonen sehr selten bei einer Wahl täuschten. Zwischen 2002 und 2007 wurden von 300 Millionen Wählern nur 86 wegen Wahlbetrugs verurteilt.

Ex-Häftlinge dürfen nicht wählen

Nicht nur die neuen Identifikationsgesetze werden heftig kritisiert. Bestehende Regelungen entrechten bereits eine ganze Gruppe von US-Bürgern. Einer Studie zufolge dürfen sechs Millionen Menschen im November nicht wählen, weil sie wegen einer Straftat verurteilt wurden. Die meisten von ihnen sitzen bereits nicht mehr im Gefängnis, trotzdem erlauben ihnen nur zwei Bundesstaaten, uneingeschränkt an Wahlen teilzunehmen. Zum Vergleich: In Deutschland kann ein Gericht Straftätern nur bei bestimmten politischen Vergehen das Wahlrecht für maximal fünf Jahre entziehen, auch Gefängnisinsassen dürfen hier wählen.

13 Prozent der Schwarzen haben aufgrund dieser Regelung in den USA ihr Wahlrecht bereits verloren, weil sie schon einmal verurteilt wurden. Das sind sieben Mal mehr als der landesweite Durchschnitt. In den wichtigen Swing States Florida und Virginia, in denen weder Präsident Obama noch sein Herausforderer Mitt Romney eine eindeutige Mehrheit haben, dürfen mehr als 20 Prozent der Afroamerikaner deshalb nicht mehr wählen.

Viviette Applewhite aus Pennsylvania ist überzeugt, dass die Gesetze politisch motiviert sind. "Sie [die Republikaner] versuchen, schwarze Menschen vom Wählen abzuhalten, sodass Obama nicht wiedergewählt wird", sagte Applewhite der New York Times.

Dass sich Wähler in Texas zwar mit einem Waffenschein ausweisen können, nicht aber mit einem Studentenausweis, spricht für diese These. Der republikanische Kandidat John McCain hatte 2008 einen Vorsprung von 25 Prozentpunkten bei den Waffenbesitzern, unter Studenten führte Obama.

Im November könnte es also passieren, dass Tausende Bürger ohne die richtigen Dokumente vor den Wahlbüros Schlange stehen. Dann werden sie, wie gewohnt, in der Vorzeigedemokratie USA ihr Wahlrecht einfordern - und abgewiesen werden. Witold Walczak von der American Civil Liberties Union in Pennsylvania sieht darin die größte Gefahr. Der New York Times sagte er: "Bis zum Wahltag werden wir nicht wissen, wie groß das Problem ist, und dann ist es zu spät."

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