Stimmen aus Istanbul:"Jetzt wird es doppelt schlecht"

Terror in Istanbul

Schwer bewaffnete Polizisten gehören in Istanbul zum Stadtbild - nicht erst seit dem Anschlag in Sultanahmet. Doch absolute Sicherheit kann es für Claudia Bülbül ohnehin nicht geben.

(Foto: dpa)

Hotelier Onur Alpozan sorgt sich um das Geschäft, nicht um sich selbst. Claudia Bülbül lernte in Istanbul den Umgang mit der Endlichkeit. Und Emre Yildiz hat vor etwas anderem mehr Angst als vor Bomben.

Protokolle von Deniz Aykanat

Onur Alpozan, 42, Hotelbesitzer: "Es hätte auch meine Gäste treffen können"

Ich war zum Zeitpunkt des Anschlags noch zu Hause und wollte mich gerade auf den Weg nach Sultanahmet machen. Ich besitze dort mehrere Hostels und Hotels. Der Manager eines meiner Hostels rief mich an, um mir zu sagen, dass ich gleich daheim bleiben kann. Alle Zufahrtsstraßen in das Viertel waren blockiert, überall Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr. Meine Hotels sind nur zwei Gehminuten vom Hippodrom entfernt, wo die Bombe hochging. Unseren Gästen ist gottseidank nichts passiert. Um diese Zeit haben sie in der Regel schon gefrühstückt und machen sich zu den Sehenswürdigkeiten auf, die ja gleich um die Ecke sind. Es hätte also auch sie treffen können.

Der Koch eines meiner Restaurants war auf dem Weg zur Arbeit im Viertel Beyoglu, also auf der anderen Seite des Goldenen Horns. Er stand an der Tram-Haltestelle Sultanahmet. Die ist schon ein ganzes Stück entfernt vom Anschlagsort. Die Wucht der Explosion war aber so heftig, dass er und die anderen Wartenden zu Boden fielen. Er war danach vorübergehend taub.

Ich bin zuerst nicht nach Sultanahmet gefahren, weil es immer diese Gerüchte hier gibt: Wenn eine Bombe hochgeht, könnten auch noch eine zweite und dritte folgen. Normalerweise fahre ich jeden Tag mit dem Mofa an dem Ort des aktuellen Anschlags vorbei. So erreiche ich meine Hotels leichter, die alle um die Hagia Sophia und die Blaue Moschee liegen. Die Bombe ist quasi mittendrin hochgegangen.

Aber heute bin ich auch schon wieder in Sultanahmet. Meine Frau ist auch mitgekommen, sie ist Deutsche. Natürlich ist das seltsam - der Attentäter wollte womöglich explizit Menschen wie meine Frau treffen. Aber das hält uns trotzdem nicht davon ab, unseren Alltag jetzt wieder wie gewohnt zu leben. Es kann jeden überall treffen. Ich kann mich doch nicht zu Hause einschließen. Wenn es dich finden will, findet es dich. Das sage ich mir immer.

Meine Frau ist im Gegensatz zu mir nicht mit Anschlägen und Krieg aufgewachsen. Aber auch sie gewöhnt sich daran. Sie lebt nun viele Jahre in diesem Land. Die Nachrichten sind fast täglich voll davon. Es ist schon seltsam: Meine Frau will, dass ich endlich zu Winterreifen wechsle, weil es jetzt ein paar Mal geschneit hat. Ständig erinnert sie mich daran - das ist wohl typisch deutsch. Sie will zur Sicherheit Winterreifen, aber fährt trotzdem mit mir nach Sultanahmet.

Es ist nicht normal, und doch werden solche Anschläge zur Normalität hier. Menschen zu töten ist natürlich nicht normal. Wenn man sich mal hinsetzt und darüber nachdenkt, dann versteht man: Das ist alles völlig verrückt. Aber für gewöhnlich sitzt man eben nicht da und denkt nach.

Für mich als Unternehmer ist die Situation gravierend. Der Sommer war schon schlecht, der schlechteste seit langem. Jetzt wird es doppelt schlecht werden. Meine Hotels sind im Moment zur Hälfte ausgelastet. Die Gäste, die schon da sind, bleiben relativ cool. Es gab keinen einzigen, der jetzt plötzlich unbedingt abreisen wollte. Aber allein in den 24 Stunden seit dem Anschlag haben schon fünf Gäste ihre Buchungen zurückgenommen. Und das wird vermutlich so weitergehen.

Wir haben in der Türkei schon immer Probleme mit dem Terrorismus. Aber seit den Anschlägen in Paris entwickelt sich auch bei den Europäern ein Bewusstsein dafür.

Ich kann nicht beeinflussen, ob die Leute weiterhin in diese Stadt kommen oder nicht. Aber aus allen bösen Dingen können wir etwas lernen. Für mich heißt das: Die Köpfe nicht hängen lassen, zusammen stehen. Weiterleben und weiterkämpfen für den Frieden.

Claudia Bülbül, 31, Wissenschaftlerin: "Es gibt hier kein Grundrecht auf Sicherheit"

Ich wohne in Hörnähe zu Sultanahmet, aber mir ist zunächst nichts aufgefallen. Unser Viertel ist sehr laut, da knallt es auch öfter mal. Ich habe von meiner besten Freundin in Indien von dem Anschlag erfahren. Sie hat es in den Nachrichten gehört und mich sofort angerufen. Ich habe dann gleich Freunde von mir kontaktiert, von denen ich wusste, dass sie heute nach Sultanahmet wollten. Glücklicherweise hatten sie ihre Pläne schon geändert und waren nicht in der Nähe des Hippodroms.

Anschließend habe ich meine Mutter, Freunde und andere Verwandte informiert. Das ist mir schon in Fleisch und Blut übergegangen. Hier passiert ja oft irgendetwas. Wenn man, wie ich, nun schon seit vielen Jahren im Ausland lebt, dann ändert sich das Verhältnis zur Sicherheit. Ich habe in Istanbul gelernt, dass es so etwas wie ein Grundrecht auf Sicherheit hier nicht gibt. Das liegt auch an der Erdbebengefahr hier. Jeder weiß, dass das große Beben kommen wird. Wir wissen nur nicht, wann. Das prägt einen. Ich setze mich, seit ich in Istanbul lebe, anders mit der Endlichkeit des Lebens auseinander.

Aus diesen Gründen gehen die Menschen hier auch mit der ständigen Terrorgefahr anders um als in anderen Städten. Die Istanbuler, die Türken haben meiner Meinung nach mehr Fähigkeit zur Resilienz, also eine höhere psychologische Widerstandsfähigkeit.

Ganz abgehärtet bin aber auch ich nicht. Ich habe schon ein ambivalentes Gefühl dieser Unsicherheit gegenüber. Das liegt auch daran, dass ich im Sommer Mutter geworden bin. Wenn ich mit meinem kleinen Sohn unterwegs bin, ist die Vorstellung für mich, dass etwas passiert, viel schlimmer. Aber ich versuche, den Moment zu genießen. Der Moment wird wichtiger, wenn man in einer Stadt wie Istanbul wohnt. Ich will mich auf das Positive konzentrieren. Ich nenne diesen Zwiespalt mal: hoffnungsvollen Realismus.

Für mich war es nie eine Option, kein Kind zu bekommen, nur weil ich in der Türkei wohne. Klar, in anderen Städten der Welt ist es bestimmt sicherer. Aber ich richte meinen Lebensplan nicht nach statistischen Wahrscheinlichkeiten aus. Aufmerksam bin ich schon.

Ich laufe oft durch Sultanahmet, wenn ich von der Arbeit komme. Ich wähle die Wege aber so, dass ich nicht durch Menschenmengen hindurch muss. Das tue ich aber ohnehin, weil es unpraktisch ist und sonst ewig dauert, von A nach B zu kommen. Ob ich durch Aufmerksamkeit einen Attentäter mit Sprengstoffweste bemerken würde? Vermutlich nicht.

Ich habe jetzt auch nicht mehr Angst, weil gerade deutsche Touristen angegriffen wurden. Morgen könnte es schon wieder Franzosen treffen. Und ich trauere auch nicht mehr über Deutsche als über Schulkinder in Pakistan, die von den Taliban getötet werden. Ich habe schon in vielen Ländern gelebt, ich sehe mich als globale Bürgerin. Mein Bruder arbeitet in Pakistan, meine beste Freundin lebt in Indien. Wenn Menschen bei Anschlägen sterben, dann ist das immer vor meiner Haustür, ich habe da eine Art globale Empathie. Nicht nur die Terrorgefahr ist mittlerweile global, auch die Freundschaften. Diese Empathie will ich auch meinem Sohn mitgeben.

Emre Yildiz*, 33, Anwalt: "Geschockt war ich nicht"

Ich war gerade in einem Meeting im Istanbuler Geschäftsviertel Levent, also weit weg vom Anschlagsort. Danach wollte ich kurz Facebook checken und las dort von der Bombe. Viel war es nicht, denn die Regierung hatte ja wieder einmal eine Nachrichtensperre verhängt. Ich habe sofort einige Freunde angerufen, um sicher zu gehen, dass es allen gut geht. Aber geschockt? Nein, das war ich nicht.

Ich habe erwartet, dass so etwas passiert. Sicher ist es ein Novum, dass es nun Touristen traf. Aber wir spüren in der Türkei schon die ganze Zeit, wie sich die Anspannung steigert. Die Anschläge von Suruc und Ankara haben sich auf unser Leben ausgewirkt, und der Anschlag in Istanbul wird noch mehr Veränderung bringen.

Einen Tag vor Weihnachten gab es einen Anschlag auf den zweitgrößten Flughafen in Istanbul, Sabiha Gökcen. Eine Putzfrau starb bei der Explosion. In der türkischen Presse kam das fast gar nicht vor. Die Regierung behindert die Berichterstattung. Jetzt über den Anschlag in Sultanahmet spricht natürlich jeder. Weil man die Orte kennt. Nach der Bombe haben mich gleich einige ausländische Freunde angerufen. Sultanahmet wirkt sich psychologisch viel stärker aus. Die Menschen kennen die Moscheen und Plätze von ihren eigenen Besuchen. Mit dem Anschlag in Diyarbakir im Osten der Türkei zum Beispiel können die Menschen viel weniger anfangen.

Ich habe Angst, aber nicht die Art von Angst, die meinen Alltag beeinflusst. Ich werde trotzdem nach Taksim fahren, wenn ich ausgehen will. Obwohl auch diese Gegend gefährdet ist. Ich habe nicht so sehr Angst vor den Bomben, sondern davor, wie sie die Gesellschaft verändern werden. Wir gewöhnen uns an Gewalt. Die sozialen Spannungen zwischen säkularen und konservativen Menschen in der Türkei werden noch mehr zunehmen.

Niemand auf der Welt ist im Moment sicher. Bis vor ein paar Monaten war es noch verhältnismäßig ruhig in der Türkei. Der sogenannte Friedensprozess zwischen Kurden und Regierung war noch im Gange. Gewöhnt habe ich mich aber nicht daran. Es war eher eine Art Ruhe vor dem Sturm. Es wundert mich überhaupt nicht, wie das alles ausging. Bei den Gesprächen ging es der Regierung nie um einen Frieden. Deshalb ist der Bürgerkrieg im Osten der Türkei jetzt auch keine Überraschung für mich.

Für die Wirtschaft ist das alles nicht gut. Das Image der Türkei in der Welt kann aber sowieso nicht mehr schlechter werden. Die Reputation eines Landes wird nicht nur durch Bomben geschädigt, sondern vor allem durch die Art wie eine Regierung ihr Volk behandelt.

Ich habe trotzdem Hoffnung. Ich hoffe, dass die regierende AKP, die diese Situation verschuldet hat, irgendwann abgewählt wird. Und ich glaube auch daran.

*Name von der Redaktion geändert

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