Stillen:Ein Cafe und ein Prinzip

Ein Berliner Gastwirt vergrault eine junge Mutter. Man mag so jemanden blöd finden. Aber deswegen gleich ein neues Gesetz verlangen? Das ist typisch deutsch: bei jedem Alltagskonflikt gleich an Recht und Richter denken.

Von Johan Schloemann

Am Fuße der Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es einen Kaffeeröster, der seit Jahren als Mütterschreck bekannt ist. In seinem trendigen Laden soll man keinen Kinderwagen dabeihaben, sondern exquisiten Espresso in fast klösterlicher Ruhe zu sich nehmen. Jetzt wurde dort eine Mutter vergrault, die ebenfalls exquisiten Espresso trinken, aber auch ihr Baby stillen wollte. Die Frau ging nicht einfach kopfschüttelnd aus der Tür hinaus, sie startete eine Online-Kampagne. Sie fordert ein Bundesgesetz zum Schutz von Stillenden und wurde bisher mehr als 12 000-mal unterstützt.

Es ist eine schöne Errungenschaft der zurückliegenden Jahrzehnte, dass das Stillen von Säuglingen im öffentlichen Raum im Großen und Ganzen akzeptiert wird. In vielen anderen, auch westlichen Ländern, wo eine bigotte Prüderie herrscht, ist das noch keineswegs selbstverständlich. In Deutschland aber finden die meisten Mütter für die billigste und praktischste Form der Babynahrung ein Plätzchen, ohne dass sie den intimen Vorgang anderen aufdringlich vor die Nase hielten. Und die meisten Leute drumherum stoßen sich nicht daran, starren aber auch nicht noch extra hin. Irgendein Opa schaut vielleicht mal pikiert. Dafür zeigen aber auch ältere Frauen ihre Empathie und sagen mit leuchtenden Augen zur stillenden Mutter: Genießen Sie diese Zeit, sie geht so schnell vorüber!

Das Stillen an öffentlichen Orten ist gut und richtig, nicht bloß, weil es den Frauen, die mit ihren Kindern unterwegs sein wollen, einfach zusteht, sich nicht schamhaft verstecken zu müssen. Sondern auch, weil es einer Gesellschaft, die tagtäglich mit den hüpfenden Brüsten in der Werbung für ein Schlankheitsmittel traktiert wird, eine andere Botschaft zeigt: Körper sind nicht nur Schönheitshüllen. Und kleine Kinder sind nicht nur süß und putzig, sie haben auch Bedürfnisse, die ihren Eltern viel Zeit, Zuwendung und Anstrengung abverlangen.

Deutschland ist ganz sicher noch weit davon entfernt, kinderfreundlich genug zu sein. Und es gibt hier immer noch diesen kleingeistigen Spott über "Latte-Macchiato-Mütter". Aber das Land ist auch lernfähig, und die Toleranz gegenüber dem öffentlichen Stillen ist doch eigentlich recht groß. Wenn es dann aber doch immer wieder mal zu Konflikten kommt - wie jetzt in Berlin -, dann wird man in Deutschland leider gerne schnell prinzipiell.

Ein Gastwirt vergrault eine junge Mutter. Aber deswegen gleich ein Gesetz verlangen?

Dann muss gleich ein neues Gesetz her. Und die Chefin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagt, die Abweisung der Stillenden sei selbst in einem privat betriebenen Café "ganz klar eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts". Müssen sich jetzt also Parlamente und hohe Gerichte mit der Stillproblematik beschäftigen? Muss Familienministerin Schwesig, selbst noch im Mutterschutz, umgehend eingreifen?

Nein. Die Verrechtlichung von sämtlichen sozialen Interaktionen, von allem, was unter Menschen auszuhandeln ist, vergiftet nur das Zusammenleben. Der Besuch eines ganz bestimmten Cafés sollte nicht in den Kampf für ein Menschenrecht verwandelt werden. Man kann den einen Kaffeeröster blöd finden; aber was für ein schaler Triumph wäre es, seinem Kind ebendort demonstrativ Milch zu geben, nur um die Geltung eines entsprechenden Gesetzes vorzuführen.

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