Steuergerechtigkeit:Hohe Abgaben belasten Arbeitnehmer

Eine internationale Studie zeigt: Nur in Belgien müssen Durchschnittsverdiener noch mehr zahlen als in Deutschland. Das entfacht eine neue Debatte über Steuersenkungen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Arbeitnehmer in Deutschland müssen deutlich mehr an Steuern und Abgaben zahlen als in vergleichbaren Industriestaaten. Ein durchschnittlicher Alleinverdiener ohne Kinder muss hierzulande nahezu die Hälfte seines Bruttolohns an Staat und Sozialversicherungen abführen. Nur in Belgien ist die Last noch höher. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisation der Industriestaaten OECD in ihrer aktuellen Studie zur Besteuerung von Einkommen, die sie am Dienstag präsentierte.

Auch bei verheirateten Alleinverdienern, Doppelverdienern und Familien mit Kindern liegt die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland deutlich über dem Durchschnitt der Industriestaaten. Die Ursache dafür liege "vor allem an den vergleichsweise hohen Sozialabgaben, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden", begründete die OECD ihre Ergebnisse. Die Beiträge zu den Sozialversicherungen machten in Deutschland mehr als 17 Prozent des Bruttolohns aus, sie sind seit 2013 für Arbeitnehmer weiter gestiegen.

Damit entwickelt sich Deutschland gegen den Trend. Denn insgesamt ist die Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben in den 35 vergleichbaren Industriestaaten leicht gesunken. OECD-Experte Pascal Saint-Amans sagte, dies sei "vor allem das Resultat von Reformanstrengungen in einigen wenigen Ländern". Er verwies darauf, dass Steuersenkungen speziell im Bereich kleinerer und mittlerer Einkommen Arbeitsanreize schaffen und dadurch Wirtschaftswachstum befördern könnten.

Die Studie der OECD gibt der laufenden deutschen Debatte um Steuersenkungen nach der Bundestagswahl einen neuen Schub. Im unionsgeführten Bundesfinanzministerium hieß es, man müsse darauf achten, dass Arbeit in Deutschland nicht zu teuer werde und damit sowohl Arbeitnehmer als auch der Standort leiden würden. Minister Wolfgang Schäuble lässt derzeit verschiedene Konzepte mit Steuer-Nachlässen für Bürger und Unternehmen durchrechnen. Er hat Entlastungen im Umfang von 15 Milliarden Euro jährlich für die kommende Legislaturperiode in Aussicht gestellt. Auch die SPD prüft derzeit mehrere Konzepte, um Familien und Geringverdiener finanziell zu entlasten.

Der Bund der Steuerzahler forderte die Parteien zum Handeln auf. "Wir brauchen keine Ankündigungen, wir erwarten Taten", sagte Präsident Reiner Holznagel. Bürger und Betriebe müssten über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die Einkommensteuer entlastet werden.

Entlastungen fordert auch die Friedrich-Naumann-Stiftung, die am Dienstag eine ähnliche Studie in Berlin vorstellte. Danach greift bereits ab einem Jahreseinkommen von 50 000 Euro die maximale Steuer- und Abgabenquote von knapp 45 Prozent. In dieser Quote sind neben Steuer und Sozialabgaben auch andere vom Staat verursachte Ausgaben wie die Förderung der Öko-Energien eingeschlossen. Die Stiftung will vor allem die mittleren Einkommen entlasten. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warb für "mutige Strukturreformen". Sollten die Sozialbeiträge weiter steigen, seien Beschäftigung und Wachstum "stark gefährdet".

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