Steuerfall Alice Schwarzer:Die Last der späten Reue

Alice Schwarzer

Skandal oder Bagatelle? Die Medien tun sich schwer mit dem Steuerfall Alice Schwarzer

(Foto: dpa)

Geld ist dem Staat wichtiger als Gerechtigkeit, deshalb gibt es die strafbefreiende Selbstbezichtigung. Alice Schwarzer hat sich angezeigt, Steuern nachgezahlt und muss nicht mit einer Strafe rechnen. Dennoch sorgt ihr Fall für Aufsehen. Skandal oder Bagatelle?

Von Hans Leyendecker

Vor vierzig Jahren, im Januar 1974, schrieb Alice Schwarzer, die damals als politische Korrespondentin in Paris arbeitete, ihren ersten Beitrag für den Spiegel. Sie rezensierte einen Text von Rolf Hochhuth - und das Ergebnis der Lektüre fiel erwartungsgemäß aus: Der Autor habe nichts begriffen, nichts verstanden; weder inhaltlich, noch durch formale Brillanz könne er überzeugen. Hochhuth, klagte die damals 31 Jahre alte Journalistin, sei halt "so berühmt, dass das, was er schreibt, gedruckt und in hohen Auflagen verbreitet wird".

Es gibt Leute, die sagen, genau diese Analyse treffe auf Frau Schwarzer, 71, zu.

Die Bestsellerautorin, Verlegerin, Feministin, Karrierefrau hat zu vielen Dingen fast alles gesagt. Moral hat sie immer wieder gepredigt: "Der Motor meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit", schrieb sie früh. "Alles andere wäre für mich ein verpasstes Leben".

Gerecht ist es nicht, wenn einer 30 Jahre lang Steuern hinterzieht und derart die Gemeinschaft betrügt. Die Meldung des Spiegel, Schwarzer habe Selbstanzeige erstattet und beim Finanzamt einen sechsstelligen Betrag nachzahlen müssen, löste denn auch ein lautes Echo aus. "Alice Schwarzer ist eine Täterin, die ihre Eigeninteressen maximiert hat", urteilte beispielsweise die linke taz, die schon manchen Strauß mit Schwarzer ausgetragen hat.

Drei Fragen drängen sich auf. Erstens: Darf man das Steuergeheimnis brechen, wenn die Angelegenheit zwischen Finanzbehörde und Steuerbürger längst geregelt ist? Zweitens: Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen dann für eine solche Veröffentlichung vorliegen? Und drittens: Was ist das Steuergeheimnis überhaupt noch wert?

Nach eigenen Angaben hat Alice Schwarzer 2013 für die letzten zehn Jahre, die steuertechnisch noch nicht verjährt sind, rund 200.000 Euro Steuern plus Säumniszuschläge nachgezahlt. Das lässt auf ein größeres Vermögen in einem Schweizer Versteck schließen.

Grenzfälle im Journalismus

Normalerweise erfährt von einem solchen Vorgang kein Fremder, und das ist auch vom Gesetzgeber so gewollt. Das Steuergeheimnis, erklärte Rudolf Mellinghoff, der Präsident des Bundesfinanzhofs, vor einiger Zeit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sei "eine notwendige Bedingung dafür, dass der Staat vom Bürger die umfassende Mitwirkung und Offenbarung aller wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse verlangen darf". Konsequent ist da nur die Ansicht von Christian Schertz, dem Anwalt von Schwarzer. Er wertet die Veröffentlichung als "eine unerträgliche Verletzung des Steuergeheimnisses und der Persönlichkeitsrechte" seiner Mandantin.

Es gibt Grenzfälle im Journalismus - und der Fall Schwarzer scheint offenbar zu dieser Kategorie zu gehören. Auch den Blättern Bild und Focus war der Sachverhalt in Sachen Schwarzer bekannt. Es gab sogar schon bei einem Medium ein Skript des Vorgangs, der in der Republik kursierte. Beide Blätter haben den Steuerfall Schwarzer nicht veröffentlicht. Dass der Spiegel es tat, muss nicht gegen ihn sprechen.

Der Umgang mit Steuerhinterziehern ist in den vergangenen Jahren deutlich ruppiger geworden. Auch in den Medien. Die Namen von Hinterziehern wie dem ehemaligen Springreiter Paul Schockemöhle, der einen Schatz in Liechtenstein versteckt hatte, tauchten mal in den Neunzigerjahren auf, doch ein solches Bohei wie heute wurde damals nicht gemacht.

Zumwinkel, Hoeneß und die anderen

Von Medien gepfählt hingegen wurde viele Jahre später der frühere Postchef Klaus Zumwinkel, dessen Name auf einer Steuer-CD stand. Die Hausdurchsuchung bei Zumwinkels in Köln lief morgens live im Fernsehen. Der Steuerhinterzieher wurde an den Pranger gestellt. Die Gesellschaft hatte sich längst ein Urteil über ihn gebildet, bevor er von einem Gericht verurteilt wurde. Die CDs haben Geschichte gemacht, Steuerfesten wurden radiert, aber am Wegesrand tauchten immer wieder Namen von Hinterziehern auf, die normalerweise hoffen durften, still mit dem Fiskus die Sache regeln zu können. Der Täter Steuerbetrüger wurde von der Gesellschaft spät entdeckt. Früher nannte man solche Leute Steuersünder.

Der Steuerfall des Uli Hoeneß, dem im März in München der Prozess wegen Steuerhinterziehung gemacht wird, spaltet die Republik. Viele im Süden, die Fans von Bayern München vor allem, finden, die Sache sei eher eine Bagatelle, die hochgespielt würde. Die im Norden hingegen finden die Berichterstattung zu weich. "Was dem einen ein Skandal, ist dem anderen vielleicht eine ephemere Bagatelle, dem Dritten eine durchaus korrekte Handlungsweise und dem Vierten womöglich gar schon der beifallheischende Nachweis besonderer Befähigungen", befand der Soziologe Ronald Hitzler vor etlichen Jahren in einem Aufsatz mit dem Titel "Skandal ist Ansichtssache".

Verglichen mit dem Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ist der Fall Schwarzer nur eine Bagatelle. Dennoch verbindet die beiden Fälle der Prominenten-Status. Die Steuernachzahlung der Alice Schwarzer interessiert, weil sie prominent ist. Es scheint in der Gesellschaft einen Prominenten-Malus zu geben.

Schwarzers eher fatale Stellungnahme

Wenn sich Schwarzer in der Vergangenheit öffentlich immer wieder als eine ehrliche Steuerzahlerin präsentiert hätte, wäre der Fall klar gewesen. Dann wäre die Berichterstattung notwendig, um sie der Unwahrhaftigkeit zu überführen. Zu Steuerfragen hat sie sich allerdings, bis auf Feinheiten wie Ehegattensplitting, nicht geäußert. Ihr Fall ist deshalb ein Fall, weil sie prominent ist.

Nach Bekanntwerden der Veröffentlichung ihres Steuerfalls hat Schwarzer eine inhaltlich eher fatale Stellungnahme verfasst, die sie zum Opfer einer großen, allgemeinen Verschwörung macht. Die Ichbezogenheit dieses Textes und ihre Lust, hinter allem ein Komplott zu vermuten, irritieren schon sehr. Aber rechtfertigt diese Antwort im Nachhinein den Bruch des Steuergeheimnisses?

Über Hochhuths Werk hat Alice Schwarzer übrigens damals geschrieben, der Autor habe "offensichtlich in Eile" antworten wollen, bevor er gefragt worden sei.

Das scheint kein geschlechtsspezifisches Problem zu sein.

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