Steinmeier in Russland:Zu Gast bei fremden Freunden

Als erster westlicher Politiker besucht Frank-Walter Steinmeier Russlands Präsidenten Medwedjew - eine neue Beziehung zu einem alten Bekannten.

Daniel Brössler, Moskau

Es gibt Worte, die sind so wolkig, dass sie aufsteigen können wie eine Seifenblase. Und es gibt Räume, in denen sie dann zerplatzen. "Modernisierungspartnerschaft" ist so ein Wort. Und der Konferenzsaal des Hotels Atrium Palace in Jekaterinburg östlich des Ural ist so ein Raum.

Steinmeier in Russland: "Frank, es ist eine große Freude, dich zu sehen", sagte  Russlands Präsidenten Medwedjew. Das ist der Ton, auf den Steinmeier (links) gehofft hat.

"Frank, es ist eine große Freude, dich zu sehen", sagte Russlands Präsidenten Medwedjew. Das ist der Ton, auf den Steinmeier (links) gehofft hat.

(Foto: Foto: dpa)

Hierher hat Frank-Walter Steinmeier die Wortschöpfung mitgebracht aus seinem Ministerium in Berlin, wo die Russland-Fachleute ein griffiges Motto zu finden hatten, für etwas, was eigentlich bisher nicht recht zu greifen ist. Es geht um die neue oder eben doch nicht so neue Zeit in Moskau und wie Deutschland mit ihr umgehen soll.

Herausgekommen ist die "Modernisierungspartnerschaft". Da ist alles drin. Dass Russland sich modernisieren soll und will und dass Deutschland gerne helfend zur Seite steht. Da geht es um Politik, aber natürlich auch ums Geschäft, was ja nicht zwingend anrüchig ist.

Der deutsche Außenminister hat sich also eingefunden im Konferenzraum des Hotels Atrium Palace, wo gleich ein Wirtschaftsforum beginnen soll, das der Zusammenarbeit mit der Ural-Region gewidmet ist. 60 Prozent des russischen Erdöls werden hier gefördert und 90 Prozent des Gases.

Empfangen wird der deutsche Gast zunächst zum Gespräch im kleinen Kreis von einem Mann namens Pjotr Michajlowitsch Latyschew. Er ist Bevollmächtigter des russischen Präsidenten im Ural-Gebiet, ein mächtiger Mann. Er preist die wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland. Latyschew spricht leise, langsam und ohne erkennbare Regung.

In seinem Roman "Momo" hat Kinderbuchautor Michael Ende einst graue Herren beschrieben, die den Menschen die Zeit stehlen. Im schmucklosen Konferenzraum des Atrium Palace fühlt man sich an jene Gesellen erinnert. Für Seifenblasen jedenfalls ist es kein guter Platz.

Die "politischen Kampagnen" der vergangenen Monate, sagt der Bevollmächtigte tonlos, seien in seinem Gebiet gut organisiert verlaufen. Er meint damit die Parlamentswahl, in der die Partei "Einiges Russland" mit ihrem Spitzenkandidaten Wladimir Putin einen klaren Sieg errungen hat und die Präsidentenwahl, in der Dmitrij Medwedjew zum Nachfolger Putins als Präsident bestimmt wurde. "Der Kurs Putins wurde von unseren Menschen sehr aktiv unterstützt", unterrichtet Latyschew den Minister. Es ist interessant, dass er vom Kurs Putin spricht, denn sein Chef heißt seit wenigen Tagen Medwedjew. Putin ist gewechselt ins deutlich machtlosere Amt des Ministerpräsidenten. Zu ergründen, wer nun wirklich was zu sagen hat ist Ziel der Reise.

Halt gibt die Tischkante

Einen "wichtigen Besuch in einer wichtigen Zeit" nennt das der Außenminister, was sicher nur am Rande damit zu tun hat, dass zeitgleich ja auch die Kanzlerin auf Reisen ist - in Lateinamerika, ebenfalls einer wichtigen Region.

Die Konkurrenz in der Berliner Außenpolitik zählt zu den Umständen, die etwas schneller zu erkennen sind als die neuen Konturen der Moskauer Machtverteilung. "Ich habe mit Freude gelesen, dass Präsident Medwedjew die Verbesserung des Rechtssystems und mehr Rechtsstaatlichkeit ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt hat", sagt Steinmeier in einer Rede vor Jekaterinburger Studenten.

So oder ähnlich wiederholt er das vor wechselndem Publikum. Er wolle den neuen Präsidenten beim Wort nehmen, versichert Steinmeier, der im Ruf eines Russland-Verstehers steht und von öffentlicher Kritik an Moskau wenig hält. Nun spricht er über Demokratie und Modernisierung und kann darauf verweisen, dass Medwedjew das doch auch tut. So ist das Wort von der "Modernisierungspartnerschaft" entstanden. Zu hoch, das lässt Steinmeier allerdings anklingen, sollten die Erwartungen aber nicht geschraubt werden.

Kontinuität jedenfalls ist eine Vokabel, die in Russland deutlich häufiger fällt als Veränderung. Das ist auch so beim Treffen mit dem eben erst im Amt bestätigten Außenminister Sergej Lawrow in einer Regierungsvilla in Jekaterinburg. "Die vollständige Kontinuität wird gewährleistet", sagt Lawrow.

Zu Gast bei fremden Freunden

Durch die neue Ämterverteilung an der Spitze ändere sich nichts, versichert er und belegt rasch, dass sich nicht viel geändert hat. Wie unzählbare Male zuvor beschwört Lawrow die Güte der deutsch-russischen Beziehungen. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal räumt er ein: "Das heißt nicht, dass es keine Meinungsunterschiede gibt." In gewohnter Schärfe doziert Lawrow dann über die Fehler des Westens im Umgang mit dem Kosovo und mit Iran. "Warum sprechen Sie Englisch?", blafft er einen deutschen Reporter an, der von Lawrows exzellenter Kenntnis dieser Sprache weiß, "ist das die Globalisierung?"

Wie anders ist wenige Stunden später die Stimmung in Moskau. Der Weg führt direkt in den Kreml, ins Herz der Macht. Jedenfalls war er das bisher, bis zum Auszug des Wladimir Putin ins weit schlichtere Weiße Haus, wo die Regierung sitzt. Erwartet wird der deutsche Außenminister im lindgrün gehaltenen Katharinensaal.

Raum und Zeremoniell sind Steinmeier schon von seinen Begegnungen mit dem einstigen Hausherrn vertraut. Ungewohnt ist nur, dass ihm nun Dmitrij Medwedjew auf halbem Weg entgegentritt. Der Händedruck fällt herzlich aus; man kennt sich. Als Kanzleramtschef oblag es Steinmeier, die häufigen Treffen seines Chefs Gerhard Schröder mit Wladimir Putin zu koordinieren. Dessen rechte Hand hieß damals Dmitrij Medwedjew. Nun ist Steinmeier der erste westliche Politiker, der Medwedjew in seiner neuen Funktion trifft.

Ganz selbstverständlich wirkt es noch nicht, als Medwedjew an dem weißen, ovalen Tisch im Saal Platz nimmt. Der neue Präsident ist von bescheidenem Wuchs, was auch im Sitzen nicht zu kaschieren ist. Dass er sich nicht mit beiden Händen an der Tischkante festhalten sollte, ist ein zusätzliches Detail, das die Medienberater in den nächsten Tagen wohl noch mit dem neuen Kremlchef durchgehen werden. Sein Nuscheln ist ein anderes.

Putin will in der Außenpolitik nicht reinfunken

Zur Begrüßung spricht Medwedjew über die exzellenten deutsch-russischen Beziehungen, lobt das jährliche Handelsvolumen von 56 Milliarden Euro und bekundet seine Freude, Deutschland als erstes europäisches Land im Juni einen Besuch abzustatten. So weit wenig Neues. Dann aber ruft er: "Frank, es ist eine große Freude, dich zu sehen." Das ist der Ton, auf den Steinmeier gehofft hat.

"Herr Präsident", hebt er deutlich an, "wenige Tage nach ihrem Amtsantritt überbringe ich Ihnen die Glückwünsche der Bundesregierung." Er wünsche "Energie, Schaffenskraft und Fortune, wie man sie für ein solches Amt braucht". Steinmeier spricht konzentriert, schließlich geht es um eine neue Beziehung zu einem alten Bekannten. Es gebe nun viele gemeinsame Aufgaben, sagt Steinmeier, die man anpacken müsse.

Eine Vielzahl von Themen haben Sie bereits in Ihren Reden vor der Amtsübernahme angesprochen", fährt er fort, womit er sein Versprechen hält, Medwedjew beim Wort nehmen zu wollen. Ein paar Mal während des 90-minütigen Gesprächs fällt vermutlich noch die Vokabel "Modernisierungspartnerschaft", aber da sind die Reporter schon nicht mehr im Raum. Man habe sich auf eine Partnerschaft "im Sinne einer Modernisierungspartnerschaft" verständigt, wird jedenfalls später stolz verkündet.

"Ein Termin beim Präsidenten, das muss der französische Außenminister erst einmal nachmachen", raunzt später einer aus der Delegation. Stimmt schon, aber war da nicht noch was? Einen Termin bei Wladimir Putin hat sich Steinmeier auch gewünscht, aber der neue Ministerpräsident ziert sich - zumindest eine offizielle Begegnung soll es wahrscheinlich nicht geben. Die Außenpolitik sei ja nun Sache des Präsidenten, heißt es, da wolle Putin nicht reinfunken. Da wäre ein abgesagter Termin, finden Steinmeiers Begleiter, doch ein richtig gutes Zeichen.

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