Steinmeier in Kundus:Die Fähigkeit zu trauern

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Außenminister Steinmeier in schwieriger Mission: Nach dem tödlichen Anschlag hat er das deutsche ISAF-Kontingent in Afghanistan besucht. Er erlebte dabei Soldaten, die auch stolz sind auf ihren gefährlichen Einsatz..

Nico Fried

Irgendwie verursacht dieser Auftritt ein Gefühl der Beklommenheit. Überschwänglich würdigt Hamid Karsai seinen Gast, der aus einem Land komme, das schon lange freundschaftlich an der Seite Afghanistans stehe. Und seit fünf Jahren leiste Deutschland nun schon mit seiner Präsenz ganz besondere Arbeit.

Der Tod von drei Soldaten der Bundeswehr am vergangenen Samstag, sagt der Präsident mit einem merkwürdigen Pathos, sei ,,ein Beweis für das entschlossene Engagement im Kampf gegen den Terrorismus''.

Es klingt, als erhebe erst das Sterben die Helfer aus dem Ausland in eine Art höheren Status. Aber vielleicht ist es auch nur die Routine eines hilflosen Präsidenten, der allein an diesem Dienstag Besucher aus drei Staaten empfängt, die aus Afghanistan bereits tote Soldaten nach Hause fliegen lassen mussten. Am Morgen war der niederländische Kronprinz da. Und nach dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier kommt noch der kanadische Premierminister.

Steinmeier fehlt diese Abgeklärtheit. Es ist erst wenige Stunden her, da stand er in Kundus vor dem Container, in dem die drei getöteten Deutschen aufgebahrt sind. Rechts und links zwei Soldaten zur Ehrenwache. Einen Strauß Blumen hat Steinmeier niedergelegt, dem Gebet eines Militärpfarrers gelauscht und sich ins Kondolenzbuch eingetragen.

Jetzt steht der Minister neben dem Präsidenten in Kabul und sagt, er hätte sich gewünscht, unter freundlicheren Umständen zu kommen. Zwei Politiker sind hier zu beobachten, die Welten trennen, was die Erfahrung mit Krieg und Tod betrifft.

Kundus am frühen Morgen. Steinmeiers Reise nach Afghanistan und Pakistan war schon längere Zeit geplant. Die Bundesregierung will ihre G-8-Präsidentschaft für einen neuen Impuls nutzen, um das schwierige Verhältnis zwischen den Regierungen beider Länder zu verbessern, in deren Grenzregion die Taliban und andere Gruppen sich fast ungestört bewegen. Doch der Anschlag auf dem Markt in Kundus hat vieles verändert. Die Diskussion in Deutschland, die Einschätzung der Sicherheitslage im Norden Afghanistans - und natürlich die Reiseroute des Außenministers. Nach einem solchen Ereignis müsse man sich den Soldaten stellen, findet Steinmeier.

Jede Menge Gerüchte

,,Bedrückt und angespannt'' sei die Stimmung, sagt ein Soldat in Kundus. Es gilt die höchste Sicherheitsstufe. Drei Selbstmordattentäter sollen noch in der Region unterwegs sein. Angeblich soll auch geplant sein, auf einer der Straßen ins Lager einen ferngesteuerten Sprengsatz zu vergraben. Zwar patrouilliert die Bundeswehr wieder in Kundus, einstweilen aber nur in gepanzerten Fahrzeugen, immer zwei zusammen, nicht mehr zu Fuß, wie es bis Samstag der Normalfall war. Auch die wenigen hundert Meter bis zum Lager der Isaf-Truppen legen die Besucher in gesicherten Wagen zurück.

Im Lager hängen die Flaggen der Nationen, die Kräfte für die Internationale Schutztruppe Isaf stellen, auf halbmast. Steinmeier trifft sich mit 20 Soldaten: zehn aus der Wehrverwaltung, zehn aus der Schutztruppe - die beiden Einheiten, die vom Anschlag betroffen waren. Vor allem den Respekt und den Rückhalt für ihre Arbeit will der Minister den Soldaten aussprechen.

Er berichtet auch von den Reaktionen in Deutschland. Insgesamt werde von allen Parteien eine sehr besonnene Debatte geführt, sagt Steinmeier - mit einer Ausnahme, auf die er jedoch nicht ernsthaft eingehen wolle. Seine Gesprächspartner verstehen auch so, wen er meint. Der Satz von Oskar Lafontaine, die Bundeswehr sei in Afghanistan mittelbar an terroristischen Aktivitäten beteiligt, hat hier längst die Runde gemacht. Man ärgert sich nicht einmal wirklich, man schüttelt nur den Kopf.

Von einer ruhigen, gefassten Atmosphäre berichten Teilnehmer des Gespräches. Die Medien sind nicht dabei. Das hat auch damit zu tun, dass sich viele in Kundus sehr geärgert haben über die Berichterstattung in Deutschland. Über die Fernsehbilder eines schwerverletzten Soldaten, der blutüberströmt am Boden liegt. Über eine Nachrichtensendung für Kinder, die am Samstagmorgen offenbar schon von dem Anschlag berichtet hat, als die Angehörigen noch nicht informiert waren. Die Soldaten fürchten, auch ihre Kinder könnten das gesehen haben. Und sie konnten nicht nach Hause telefonieren, um ihre Familien zu beruhigen, weil nach einem solchen Ereignis die Handy-Netze heruntergefahren werden.

Verstört war man auch über Spekulationen, ein afghanisches TV-Team habe von dem geplanten Attentat erfahren und sei deshalb sofort mit der Kamera dort gewesen. Selbst die Polizei habe Hinweise gehabt. Es wäre der Albtraum der Soldaten, weil sie sich von manchen Einheimischen verraten und verkauft fühlen müssten. Doch die Recherchen der Bundeswehr haben das Gerücht nicht erhärtet.

Steinmeier hat mit Fragen gerechnet, vielleicht auch mit Forderungen. Dem dürfe man nicht ausweichen, hatte er gesagt. Doch es geschieht etwas anderes. Er muss keine Überzeugungsarbeit leisten, nicht an den Durchhaltewillen appellieren. Stattdessen sagt ein Soldat: ,,Wir dürfen jetzt nicht aufgeben, sonst war das Opfer umsonst.'' Und auch andernorts im Lager Kundus ist zu hören, wie aufgeschlossen die Afghanen den Deutschen begegneten. ,,Wenn man da draußen ist und den Rückhalt der Bevölkerung spürt'', sagt einer, ,,dann weiß man, warum man hier ist.''

Auch Steinmeier nutzt jede Gelegenheit, neben dem Mitgefühl für die Toten auch die positiven Seiten des Einsatzes herauszustellen. ,,Es fehlen einem die richtigen Worte für die, die hier Kameraden und Freunde verloren haben'', sagt er nach dem Besuch. Aber er habe auch erlebt, wie selbstbewusst die Soldaten zu dem stünden, was sie geschaffen hätten. Dass Kinder, unter ihnen viele Mädchen, zur Schule gehen könnten. Dass Felder wieder bewässert würden.

Im Bemühen, die Sinnfrage nicht zu drängend werden zu lassen, trifft sich Steinmeier auch wieder mit Karsai. Und dieser sagt, 40000 Kinder verdankten ihr Leben dem Wiederaufbau des Gesundheitssystems. Dafür wolle er den Deutschen nur ein Wort sagen: ,,Danke.''

© SZ vom 22.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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