Steinbrück liest Heidegger:Die Liebe, so reich ...

Er hätte nicht gedacht, dass Männer so schwülstig schreiben können, bekennt Finanzminister Steinbrück. Und so liest er vor Publikum Heideggers Briefe an die geliebte Hannah Arendt.

Thorsten Denkler, Berlin

Der Bundesfinanzminister spricht gerne. Er liebt das Wort. Gefürchtet sind seine geschliffenen Sätze, zuweilen scharf wie das Schwert des Damokles. An diesem Abend aber spricht Peer Steinbrück die Gedanken eines anderen - die Gedanken eines großen Denkers. Einzig zu Papier gebracht, um einer einzigen Leserin zu imponieren: Es sind die Briefe des in Liebe aufgelösten Martin Heidegger an Hannah Arendt.

Steinbrück liest Heidegger: Der Finanzminster liest gerne. Auch vor.

Der Finanzminster liest gerne. Auch vor.

(Foto: Foto: Dirk Enters)

Er der Lehrer, 35 Jahre alt. Sie die junge Schülerin, gerade 18. Eine Begegnung in Marburg, im Sprechzimmer des Professors im Jahre 1925. Und da war es um den Gelehrten geschehen.

Verheiratet, war er damals schon, mit Elfride. Er hatte Kinder. Es war also eine unmögliche Liebe, und der Briefwechsel zeugt davon. Auch die Tatsache, dass fast ausschließlich die Briefe von Heidegger an sie erhalten sind. Die Briefe von Hannah Arendt hat Heidegger größtenteils vernichtet. Heimlichtuerei eines Fremdgängers.

Bankettsaal des ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR: Wo einst Erich Honecker für seine Staatsgäste eindecken ließ, ist heute das Audimax der privaten "School of Governance". Junge Menschen lernen hier das Handwerk des Regierens und Verwaltens.

Der Saal ist gut gefüllt. Die beiden Rezitatoren betreten das Podest. Rechts ein Mikro, links ein Mikro, dazwischen ein rot-grünes Blumenbukett. Über ihren Köpfen ein sozialistisches Kachel-Fries aus Meißener Porzellan. Motiv: Arbeiter und Bauern in Freizeitsituationen.

Heidegger kommt schnell zur Sache: Im ersten Brief liest Steinbrück noch die Anrede: "Liebes Fräulein Arendt". Im zweiten Brief wenige Tage später datiert ist sie schon die "Liebe Hannah", der er gleich im ersten Satz die für damalige Zeit höchst intime Frage stellt: "Warum ist die Liebe über alle Ausmaße anderer menschlicher Möglichkeiten reich und den Betroffenen eine süße Last?"

Steinbrück hat das mit dem Briefelesen schon einmal gemacht, Anfang Februar in den Bonner Kammerspielen. Zusammen mit Karin Hempel-Soos, die auch in Berlin Hannahs Part übernimmt. Steinbrück, der Hanseat, lebt in Bonn. Und dort, in der ehemaligen Bundeshauptstadt, leitet Hempel-Soos das Haus der Sprache und Literatur. Er der Politiker und Kassenwart, sie eine Größe im Bonner Kulturbetrieb. Sie mögen sich - auf eine spezielle Art. "Sie ist die erfolgreichste und mir allerliebste Nervensäge der westlichen Hemisphäre", hat Steinbrück kurz nach seinem ersten Auftritt an ihrer Seite über sie gesagt.

Diesmal hätte Steinbrück lieber die Arendt gelesen, gesteht er. Zum einen ist der Heidegger-Part aus genannten Gründen um einiges umfangreicher. Zum anderen ist Heidegger wirklich schwere Kost. Einmal verhaspelt sich der Minister in den von Genitiven durchsetzten Schachtelsätzen derart, dass er keucht. So, als habe er den Kampf mit einem Drachen aufgenommen.

Den letzten Punkt erreicht, fragt er zweifelnd das Publikum und ein wenig wohl auch sich selbst: "Hmm. Alles klar jetzt?" Irgendwie nicht. Keine Schande: "Das ist der Grund, weshalb Hannah erst zwei Jahre später antwortet", ergänzt Hempel-Soos.

Die Frau aus dem Bonner Kulturbetrieb musste Steinbrück zum Heidegger erst überreden. "Bequatscht" habe sie ihn, sagt er. Das hat wohl seinen Grund auch darin, dass Heideggers Briefe kein besonders sympathisches Bild von einem männlichen Verehrer zeichnen. Mal wies er klar an, mit welcher Straßenbahn sie zu fahren habe, damit sie sich treffen konnten. Dann wieder gab er die Uhrzeiten vor, wann und unter welchen Umständen sie wo zu läuten habe.

Vielleicht hat Hempel-Soos in ihrem Freund Peer auch nur den Prototyp des Männlichen gesehen. Das Streben nach Macht und Geld, vereint in der Person des Finanzministers. Ein reizvolle Idee, gerade ihn den Heidegger lesen zu lassen.

Mit dem Geld hatte es Heidegger zwar nicht so. Er galt aus ausgewiesener Analphabet im Umgang mit Zahlen. Doch Macht war sicher etwas, was ihn locken konnte. Sein Umgang mit Hannah legt das Nahe. Es wird schnell klar, welche Rolle sie in Heideggers Leben einnehmen soll: Quelle der Inspiration soll sie sein. "Zerrissenheit und Verzweiflung vermag nie so etwas zu zeitigen wie Deine dienende Liebe in meiner Arbeit."

"Leider", sagt Hempel-Soos, "haben Politiker nicht die Zeit, sich so viele Gedanken über dienende Mädchen zu machen." Steinbrück gibt entrüstet zurück: "Du willst ja nur mein mädchenhaftes Wesen in Frage stellen."

Der SPD-Politiker, der bald zum stellvertretenden Parteivorsitzenden aufsteigt, mag den Heidegger nicht. "Nie kam ich mir als Mann schäbiger vor als in dieser Situation", sagte er nach dem ersten Auftritt in Bonn. Aber der ehemalige Ministerpräsident kokettiert gerne, in diesem Fall mit dem jeder political correctness enthobenen Verhalten Heideggers seiner Frau Elfride und seiner geliebten Hannah gegenüber. Ganz abgesehen davon, dass sich der Philosoph Zeit seines Lebens dem Vorwurf ausgesetzt sah, ein Nazi gewesen zu sein. Aber das spielt an diesem Abend keine größere Rolle.

Er macht das gut, das Vorlesen. Wäre er nicht schon Bundesfinanzminister, Steinbrück könnte sein Geld damit verdienen. Der nordisch-kühle Klang seiner Stimme, die nasale Note. Und die Fähigkeit, die Pausen an den richtigen Stellen zu setzen. Den Satz gemächlich aufzubauen und die Schlusspointe unvermittelt wie das Beil des Henkers hinunter sausen zu lassen. Er beherrscht das. Alles gelernt auf den Marktplätzen Nordrhein-Westfalens.

Und es gibt ja auch schöne Sätze, fließend-philosophische Schmeichelsätze. "Ganz aus der Mitte Deiner Existenz bist Du mir nah und für immer in meinem Leben wirkende Kraft geworden." Und noch einer: "Wie oft führ ich gerne mit dem fünffingrigen Kamm durch Dein Wuschelhaar, vollends wenn Dein liebes Bild mir mitten ins Herz blickt." Oder: "Hannah, schreib mir noch einige Wort. Ich kann Dich so nicht ziehen lassen."

Man möchte solche Sätze öfter aus dem Mund eines Finanzministers hören. Klingt auch besser als: "Gibt's nicht, ist kein Geld für da."

Steinbrück wird den Wunsch nicht erfüllen: "Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass ein Mann solche schwülstigen Briefe schreiben könnte. Ich jedenfalls habe, meine Frau wird das hoffentlich bestätigen, so etwas nie zu Papier gebracht."

Soviel Klarstellung muss sein.

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