Steinbrück beim Wahlkampffinale in Frankfurt:Ein letztes Mal herumtigern

Peer Steinbrück beim Wahlkampf SPD in Hessen

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) auf dem Römerberg in Frankfurt

(Foto: dpa)

Es ist das, was Steinbrück am besten kann: keine längliche Rede, sondern Fragen aus dem Publikum. Klartext, Auge in Auge mit potenziellen Wählern. Auch bei der Abschlussveranstaltung auf dem Frankfurter Römerberg setzt der SPD-Kandidat auf diese Form des Straßenwahlkampfs. Zwar ist nicht alles taufrisch. Funktionieren tut es trotzdem.

Von Oliver Klasen, Frankfurt

Es ist einiges schiefgelaufen in diesem Wahlkampf, sonst würde die SPD in den letzten Umfragen vor der Bundestagswahl nicht bei 25 oder 26 Prozent und die Union bei 39 oder 40 Prozent stehen. Sonst würden nicht alle ernstzunehmenden Beobachter sagen, die Chance, dass Peer Steinbrück an diesem Sonntag tatsächlich zum Kanzler gewählt wird, ist ziemlich gering. Was man den Sozialdemokraten aber sicher nicht vorwerfen kann, ist, dass sie bei der Auswahl der Bühne für den Straßenwahlkampf die Qualitäten ihres Kandidaten nicht voll ausgespielt hätten.

Auch in Frankfurt auf dem Römerberg, wo die SPD am Samstag nochmal groß auffährt, gibt es diese runde Arena, wie ein Zirkuszelt, nur ohne Planen drumherum, Steinbrück in der Mitte auf einem Podest, inmitten des Publikums. Auge in Auge mit Bürgern und potenziellen Wählern. "Townhall Meeting" nennen die Amerikaner sowas. Es ist die Form des Wahlkampfes, die Steinbrück am meisten liegt. Keine längliche Rede halten, sondern Fragen aus dem Publikum beantworten. Klartext reden, erklären, den Kümmerer geben. Das kann er, das ist genau sein Ding, wie auch vor zwei Wochen in der ARD-Wahlarena zu sehen war.

Frankfurt meint es gut mit Steinbrück. Nicht nur, weil der vorher trübe Himmel aufreißt während seines Auftrittes und 7000 Leute gekommen sind, wie die Moderatorin sagt, sondern vor allem, weil die Fragen sehr sehr kuschelig sind für den SPD-Kanzlerkandidaten. "Wann kann der Mindestlohn in Kraft treten?" "Werden Sie sich für den Erhalt des Euro einsetzen?" "Nennen Sie drei Gründe, warum ein Mittelständler Sie wählen soll." Das ist schon die schwierigste Frage.

Steinbrück kann so prima seine Wahlkampfbotschaften unterbringen, kann erklären, dass er ja "nur die obersten fünf Prozent stärker heranziehen" wolle mit seinen Steuerplänen, kann Witze machen über Rainer Brüderle, den nuschelnd polternden FDP-Spitzenmann und dessen "Propagandamaschine", die die Bürger glauben machen wolle, Rot-Grün wäre der "Untergang des Abendlandes".

Graubrot-Politik, garniert mit Anekdoten

Wer schon ein paar von Steinbrücks Auftritten gesehen hat, findet Versatzstücke, die öfter kommen bei ihm. Die bunten Schachteln zum Beispiel, "die Angela Merkel ins Schaufenster gestellt hat und in denen nichts drin ist". Die angebliche "Liebesheirat von Schwarz-Gelb, bei der aber der Scheidungsrichter ständig an der Seitenauslinie entlanggelaufen ist".

Rhetorisch ist es trotzdem gut, was der SPD-Kandidat bietet. Selbst als er, nachdem die letzte Frage auf seinem Zettel durchgestrichen ist, doch noch zu einer kleinen Rede ansetzt. Steinbrück schafft es, auch trockene Graubrot-Politik mit Anekdoten, persönlichen Erfahrungen und flapsigen selbstironischen Anmerkungen zu garnieren.

Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der endlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten hat, in eine neue Wohnung zieht und dann erfährt, dass er nicht nur 30 Prozent mehr zahlen muss als der alte Mieter, sondern auch noch den Makler und zu allem Überfluss ist das neue Domizil dann auch noch zehn Prozent kleiner als im Mietvertrag angegeben. "Wenn Sie all das nicht wollen, müssen Sie SPD wählen", sagt Steinbrück.

Er lobt die damalige SPD-Ministerin Ulla Schmidt, "die manchmal anstrengend ist, genau wie ich", für die Pflegepolitik in der großen Koalition. Er übersetzt politisches Fachvokabular in die Sprache der einfachen, hart arbeitenden Leute, die die SPD ja vor allem erreichen will.

"Souveränität, also Eigenständigkeit", sagt Steinbrück. Und er kann sich dann sogar einen historischen Exkurs leisten, in die Anfangstage der europäischen Integration, weil die 1957 gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht zu verwechseln sei mit der genauso abgekürzten Samstagabend-Show "Einer wird gewinnen" von Hans-Joachim Kulenkampff, die Älteren werden sich erinnern.

Hamburger Schnodder hilft gegen Pathos

Das Ganze wird auch deshalb nicht bemüht oder peinlich, weil Steinbrücks hamburgisch-schnoddriger Tonfall allzuviel Pathos abmildert, der entstehen könnte, wenn er zum Beispiel die Geschichte eines Putzmannes erzählt, der in der Zentrale der Nasa einst zu US-Präsident Kennedy gesagt haben soll: "Ich bin behilflich, einen Mann zum Mond zu bringen."

Es ist einiges schiefgelaufen also, insgesamt für die SPD, aber dieses Finale hier ist geglückt. Steinbrück ist entspannt, fühlt sich wohl, auch nach einer Stunde "Herumtigern" in der Mitte. Seine Vorstellung hat dem Publikum gefallen.

Jetzt ist es an der Zeit, um alles nochmal zusammenzufassen: "In etwas mehr als 28 Stunden können Sie die los sein", sagt Steinbrück. Er meint die schwarz-gelben Regierungen in Hessen und in Berlin. Weil die Chance vor allem auf Zweiteres nicht optimal ist, kommen dann nochmal ein paar Sticheleien gegen die Kanzlerin, "die gerne Kreisverkehr fährt, um nirgendwo anzuecken".

Auch das verbindet Steinbrück mit einer Geschichte, diesmal erzählt vom Anfang des Jahres verstorbenen, ehemaligen SPD-Fraktionschef Peter Struck. Der sei immer gerne mit Angela Merkel im Flugzeug mitgeflogen, weil sie als Physikerin genau verstanden habe wie so ein Flugzeug fliegt, er habe großes Vertrauen in das Flugzeug gehabt, sei manchmal sogar eingeschlafen, nur eines habe ihn beunruhigt: "Ich weiß nie, wo ich mit ihr lande", sagte Struck.

Im Hintergrund ist knapp über den Dächern am Römerberg jetzt ein Flugzeug zu sehen, das in geringer Höhe zu einer Linkskurve ansetzt. Der Unterschied zwischen dem Flugzeug und der SPD am Sonntag ist: Wo das Flugzeug landet, ist klar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: