Stealth politics:Tarnkappe Fußball

Angela Merkel sitzt als Kanzlerin in München auf der Ehrentribüne, Gerhard Schröder und sein Fußballfreund Otto Schily auf den einfacheren Plätzen. Das heißt aber nicht, dass mit dem Momentum Fußball nicht dennoch Politik gemacht würde in Deutschland.

Christoph Schwennicke

Der Machtwechsel in Deutschland hat stattgefunden. Von gewissem Restinteresse mag noch die Frage sein, ob die privaten Krankenversicherungen in das Fondsmodell der großen Koalition aufgenommen werden oder nicht.

Merkel mit Ball

Die Kanzlerin zu Gast beim Eröffnungsspiel.

(Foto: Foto: ddp)

Wirklich erheblich aber sind von nun an für die nächsten Wochen Sätze wie jener des Bundestrainers Jürgen Klinsmann, der über Ballacks Beine den schönen Satz sagte: "Seine Wade ist noch nicht da, wo sie hin muss." Da horcht Deutschland auf und vergisst bis auf weiteres Milliardenlöcher im Gesundheitswesen und die Aufstockerproblematik von Hartz IV.

Für die Politik ist diese Auszeit von der großen Aufmerksamkeit immer eine willkommene Abwechslung. Schon lange bevor in München das Eröffnungsspiel angestoßen wurde, spielte die Fußball-WM in Deutschland in den strategische Überlegungen der Regierung Gerhard Schröders eine Rolle. Wenn es dann ein schönes Fest gibt, die Stimmung ausgelassen ist und das Wetter gut, womöglich Deutschland noch passabel abschneidet, dann hätte man womöglich doch noch eine letzte Chance auf einen dritten Wahlsieg.

Es kam bekanntlich alles anders. Angela Merkel saß als Kanzlerin in München auf der Ehrentribüne, Gerhard Schröder und sein Fußballfreund Otto Schily auf den einfacheren Plätzen. Das heißt aber nicht, dass mit dem Momentum Fußball nicht dennoch Politik gemacht würde in Deutschland. Man ist leicht versucht, aus der gering ausgeprägten Neigung Merkels zur Inszenierung abzuleiten, dass sie mit derlei Firlefanz nichts am Hut hätte.

Im Schutzraum des Fußball

Diesem Eindruck sollte man nicht erliegen. Die Nichtinszenierung ist in diesem Fall die Inszenierung, und die Fußball-WM in Deutschland wird still und leise als Tarnkappe für die entscheidende Phase der Regentschaft von Schwarz-Rot genutzt. Unternehmenssteuerreform, Föderalismusreform und Gesundheitsreform harren der finalen Entscheidung vor der Sommerpause, die am 8. Juli beginnt. Ob nun Zufall oder nicht: Das Fußball-Endspiel ist jedenfalls am 9. Juli.

Grundsätzlich wäre gegen diese Art von stealth politics, gegen Politik mit der Tarnkappe, nichts einzuwenden. Einmal dem Radar der Öffentlichkeit zu entgehen und einigermaßen in Ruhe Lösungen zu erarbeiten, muss den Lösungen nicht schaden. Aber was bisher an Konturen zu erkennen ist von den Gesellenstücken dieser großen Koalition lässt nicht den Schluss zu, dass das Große im Schutzraum des Fußball erarbeitet würde. Im Gegenteil.

Tarnkappe Fußball

Beispiel Gesundheitsreform: Hier ist man nun nach Wochen schon beruhigt, wieder dort zu sein, wo man längst war. Als eigenmächtig und wichtigtuerisch CDU-Fraktionschef Volker Kauder das Modell eines Gesundheitsfonds in einem Interview ausplauderte, war man hinterher vor allem darum bemüht, die weit verstreut liegenden Teile dieses Einschlags wieder einzusammeln - um nun wieder genau dort zu stehen, wo man vor Woche schon stand.

Beispiel Föderalismus: Mit großer Geste stellte sich SPD-Fraktionschef Peter Struck (völlig zu Recht) in mehreren Punkten gegen die geplante Föderalismusreform. Es kam zu einer großen Anhörung im Bundestag, die freilich politisch völlig verpuffte. Jetzt ist man wieder beinahe da, wo man schon vor Wochen war, mit dem Unterschied, dass der Bund weiter Hochschulen finanzieren darf, Schulen jedoch nicht.

Glückwunsch, große Reformer. Die wirkliche Föderalismusreform, die die Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen im großen Stil neu regeln soll, wird es unter diesen Bedingungen nie geben. Dazu passt auch, dass Verkehrsminister Tiefensee den Solidarpakt II erneut bis zum Jahre 2019 unter Bestandschutz stellte. Ohne aber auch die Ost-Alimentation mit auf den Tisch zu legen, ist eine Neuordnung der Finanzen in Deutschland gar nicht möglich.

Nach Klinsmann-Methode

Das Reformtempo in Deutschland hat mit der großen Koalition nicht zugenommen. Es wird in der offiziellen großen Koalition genauso sachfremd geschachert und parteipolitisch taktiert wie in der informellen all die Jahre zuvor: Ziel von Kanzlerin Merkels Reformpolitik ist leider nie in erster Linie eine Verbesserung in der Sache. Oberstes Ziel ist immer, die empfindliche Balance der großen Koalition nicht zu erschüttern. Anders gesagt: Angela Merkel nutzt ihre Macht nicht, um zu gestalten. Sie nutzt ihre Macht vor allem, um sie zu halten.

Im deutschen Fußball scheint man von der unansehnlichen, unkreativen Spielweise, die ihn jahrzehntelang lähmte, gerade wegzukommen. In der Politik aber wird der Ball weiter quälend quergespielt, so als hätte man alle Zeit der Welt. Hat man aber nicht. Den Rest dieses Jahres und 2007 ist die große Koalition einigermaßen handlungsfähig. Dann geht das Zeitfenster zu.

In dieser Zeit - einmal sei der Vergleich noch erlaubt - muss Merkel nach der Klinsmann-Methode die steilen Pässe nach vorne spielen. Sie hat erst jüngst wieder ihre These vorgetragen, wonach die Vorgängerregierung immer das Maul aufgerissen und dann Enttäuschungen erzeugt hat. Kann sein. Das heißt aber nicht, dass auch enttäuschen kann, wer den Mund vorher nicht so voll genommen hat.

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