Stau zum Ferienbeginn:Zäh fließende Vernunft

Draufbleiben oder runter von der Autobahn? Das ist für Millionen Deutsche zum Beginn der Sommerferien die entscheidende Frage. Und die Forschung hat darauf eine Antwort.

Von Jochen Temsch

Wer jetzt in den Urlaub fährt, braucht so einiges, Sonnencreme und ein gutes Buch zum Beispiel, aber nichts so dringend wie starke Nerven. An diesem Wochenende drohen die schlimmsten Staus des Jahres.

Mit dem Beginn der Sommerferien in Bayern und Baden-Württemberg hat nun ganz Deutschland frei. Die Automobilklubs sagen für nahezu alle Hauptreiserouten Überlastungen und somit beste Chancen für die Urlauber voraus, ihre Freizeit im Verkehr zu verplempern. Im Schnitt stehen die Deutschen jährlich 38 Stunden lang in Staus, die sich zu 1,1 Millionen Kilometern summieren - was in etwa dreimal der Entfernung zum Mond entspricht. Aktuell sieht es besonders übel um die Drehkreuze Berlin, München und Stuttgart aus. Dazu kommen Baustellen auf sämtlichen Autobahnen. Eine wichtige Straße zur Sonne des Südens wird am Samstag gleich ganz dichtgemacht: Italien- und Kroatienurlauber dürfen die Karawanken-Autobahn A 11 ab dem Knoten Villach in Kärnten von acht bis 18 Uhr nicht befahren. Grund ist ein Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Slowenien. Zu dessen Sicherheit bleibt der Karawankentunnel geschlossen. Da muss man schon ein Philosoph, Spezialgebiet Stoizismus, sein, um sich mit dem Gedanken zu trösten, man könnte von den Ameisen lernen, wie man so ein Gewusel von A nach B besser hinbekommt.

Doch auch der urlaubende Mensch hat spezielle Strategien entwickelt, Staus zu vermeiden. Dazu gehören das Losfahren unter der Woche (hilft, aber nur, wenn man nicht zum Bettenwechsel an einem Samstag ankommen muss), der Start mitten in der Nacht (hilft zumindest dem Fahrer, dem niemand reinredet, weil alle anderen im Auto schlafen) und die bei jeder in Sicht kommenden Autobahnausfahrt neu mit dem Beifahrer auszudiskutierende Entscheidung: rausfahren oder nicht. Für Stauforscher ist die Sache klar: Draufbleiben ist meistens die bessere Lösung.

Laut dem Verkehrsexperten Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit in einem Autobahnstau immerhin noch zehn Kilometer pro Stunde - auf einer überlasteten zweispurigen Landstraße voller Ampeln und Ortsdurchfahrten ist dies kaum zu schaffen. Zumal die Ausweichstrecken auf weniger Verkehr ausgelegt sind und schnell verstopfen. Da die meisten Autofahrer Navigationsgeräte benutzen, bekommen alle die gleichen Umfahrungstipps - und kleben auf den Juckelpisten erst recht Stoßstange an Stoßstange.

Die meisten Staus entstehen nicht durch Baustellen, sondern durch zu viel Verkehr. Beim Bremsen kommt es zu einer Art Domino-Effekt, der weiter hinten in der Kolonne zum Stillstand führt. Ein gelassener, gleichmäßiger Fahrstil ohne abrupte Spurwechsel würde dies verhindern. Aber Autofahrer sind irrationale Wesen. Wann immer sie eine Möglichkeit sehen, besser voranzukommen, geben sie Gas. Deshalb hat auch die Entscheidung zwischen Draufbleiben oder Rausfahren eine psychologische Komponente: Manche Fahrer haben einfach das Gefühl, draußen schneller voranzukommen, auch wenn es trügt.

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