Statistik:Zahlenglaube

Einmal im Jahr befragt der Staat ein Prozent der Bevölkerung - Widerstand zwecklos, zu antworten ist gesetzliche Pflicht. Dabei fördern die Befragungen teilweise skurrile Ergebnisse zutage, etwa bei der Frage nach dem höchsten Bildungsabschluss.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Einmal im Jahr will es der Staat genau von seinen Bürgern wissen. Wie viele Stunden haben Sie in der letzten Woche gearbeitet? Lebt Ihre Mutter in diesem Haushalt? Wie hoch war Ihr Nettoeinkommen im vergangenen Monat? 182 Fragen umfasst der Fragebogen des Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung in Europa. Beantworten müssen ihn jedes Jahr ein Prozent aller deutschen Haushalte. Per Gesetz sind sie zur Auskunft verpflichtet.

Betrachtet man allerdings, was beim großen Ausfragen herauskommt, stellt sich mitunter die Frage, wie nah an der Wirklichkeit diese statistischen Wahrheiten sind. Frage 137 lautete 2016 beispielsweise: Welchen höchsten Abschluss haben Sie? Kürzlich veröffentlichte das Statistische Bundesamt das Ergebnis, dann auch die Süddeutsche Zeitung. In der Pressemitteilung hieß es, der Vergleich von Personen im Alter von 25 bis unter 35 Jahren zeige: Menschen mit Migrationshintergrund hätten häufiger keinen Schulabschluss und auch keine Ausbildung als Personen ohne Migrationshintergrund. Und dann: "Andererseits erreichen beide Gruppen das Abitur (37 %) und auch akademische Abschlüsse (27 %) im gleichen Umfang."

Nanu? Wenn im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte dreißig inzwischen ebenso viele Menschen mit wie ohne Migrationshintergrund Abitur hätten, wäre dies eine bildungspolitische Sensation! Nachfrage beim Statistischen Bundesamt. Ein Fachmann räumt ein: Eine gewisse Verfälschung des Ergebnisses könne dadurch entstehen, dass Zuwanderer, die nicht das deutsche Bildungssystem durchlaufen haben, ihren Schulabschluss einem gleichwertigen deutschen Abschluss zuordnen müssten. Zur Auswahl stehen sieben Abschlüsse. Wer das nicht versteht (bislang gibt es den kompletten Frageboten nur auf Deutsch) oder keine Ahnung hat, welchem Abschluss das eigene irakische oder eritreische Schuldiplom entspricht, kreuzt im Zweifel das letzte Kästchen an: Abitur. Man müsse auf die Ehrlichkeit der Angabe vertrauen, heißt es.

Schaut man sich dieselbe Statistik ohne die Zuwanderer an, ergibt sich ein anderes Bild: Mit Migrationshintergrund machen 41 Prozent Abitur, ohne 51 Prozent. Wie schon 2010 trennen die beiden Gruppen immer noch zehn Prozentpunkte - weniger gerecht, aber näher an der Wirklichkeit.

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