Stammzelldebatte:Frische Zellen für den Fortschritt

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Experten fordern den Import jüngeren Materials, da nur so medizinische Erfolge möglich seien.

Christina Berndt

Politiker haben mitunter eine Weitsicht, die selbst Forscher erblassen lässt. Die Wissenschaft brauche keine embryonalen Stammzellen mehr, jubeln Kritiker ebendieser Forschung, sobald in verwandten Bereichen Erfolge gefeiert werden. Auf embryonale Stammzellen könne die Forschung "gut und gerne verzichten", sagte etwa CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner im November und schloss dies aus den Erfolgen japanischer Wissenschaftler.

Diese hatten aus Hautzellen von Erwachsenen mit gentechnischen Kniffen Zellen gemacht, die offenbar ebenso wandlungsfähig sind wie Stammzellen aus Embryonen. Dies wäre moralisch unbedenklich, weil Erwachsene dafür nur etwas Haut hergeben müssten. Womöglich lassen sich diese Zellen eines Tages nutzen, um Krankheiten zu heilen, bei denen Gewebe zugrunde geht - Herzinfarkt, Parkinson und Diabetes etwa.

"Wer aber den Schluss zieht, dass Forscher von nun an auf die embryonalen Stammzellen verzichten könnten, begeht einen schweren Denkfehler", sagt Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Biomedizin in Münster. Der in den USA forschende Deutsche Rudolf Jänisch ärgert sich über "die Ignoranz dieser Leute". Die Politik missbrauche Forschungsergebnisse für ihre Zwecke. Wissenschaftler, die Zelltherapien für Kranke entwickeln wollen, könnten derzeit einfach nicht auf embryonale Stammzellen verzichten, so Jänisch: "Man muss aus ihnen lernen und mit ihnen vergleichen."

"Die alten Zellen haben ja auch manche Vorteile"

Aber müssen es unbedingt Zellen sein, die frischer sind, als es das deutsche Stammzellgesetz erlaubt? Sogar die erfolgreichen Japaner hätten uralte embryonale Stammzellen für ihre Vergleiche verwendet, stellt der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe fest. "Welche Zellen nötig sind, kommt extrem darauf an, womit man sich beschäftigt", erklärt Miodrag Stojkovic.

Er ist Deutscher und forscht im ebenso katholischen wie in Sachen Stammzellenforschung liberalen Spanien. Zur Beantwortung mancher grundlegender Fragen genügten die Zelllinien, die vor dem Stichtag entstanden sind - etwa der Frage, welche Gene für die beeindruckende Wandlungsfähigkeit der Stammzellen nötig sind. "Die alten Zellen haben ja auch manche Vorteile", sagt Stojkovic. So wissen Forscher am meisten über sie und können dies in ihren Experimenten berücksichtigen.

Dass sich mit den alten Zellen grundsätzlich etwas anfangen lässt, zeigt auch ein kleines Jubiläum: Pünktlich zum Auftakt der neuerlichen Debatte hat das Robert-Koch-Institut deutschen Forschern die 25. Genehmigung für den Import embryonaler Stammzellen erteilt. 25 Vorhaben in sechs Jahren: Das sind für eine Nation mit Forschergeist nicht gerade viele, findet Schöler. Dem stimmt auch Stojkovic zu: "Momentan kommen ein paar interessante Stammzellarbeiten aus Deutschland", sagt er. "Aber wirklich fortschrittliche Forschung ist kaum dabei."

In den USA dagegen, wo allein der Bundesstaat Kalifornien drei Milliarden Dollar für die Forschung mit embryonalen Stammzellen bereitgestellt hat, boomt der Forschungszweig, den viele Experten für das zukunftsträchtigste Gebiet in der Medizin halten.

Mit den alten Zellen lasse sich eben nur sehr begrenzt arbeiten, meint Hans Schöler: "Sie werden mit der Zeit immer schlechter", warnt er. "Je häufiger sie sich in der Kulturschale teilen, desto mehr genetische Mutationen haben sie - und diese Zellen haben sich seit ihrer Herstellung unglaublich oft verdoppelt." Noch dazu behielten die Hersteller verständlicherweise die am wenigsten veränderten Zellen für sich, während sie die Mutanten verschickten. Die deutschen Forscher müssten also mit dem Ausschuss arbeiten.

Spätestens wenn es um die Entwicklung von Therapien geht, haben die alten Zellen nach Ansicht der Fachleute ihr Verfallsdatum überschritten. "Dazu taugen sie überhaupt nicht mehr", betont Stojkovic. Solche Zellen seien damals nämlich mithilfe tierischer Stoffe gezüchtet worden und hätten diese beim Wachsen eingebaut. Menschen darf man damit also keinesfalls behandeln.

Gleichwohl gehen die alten Zellen aus dem 25. Antrag ausgerechnet an die Arbeitsgruppe von Hans Schöler. Freuen mag er sich über die Genehmigung nicht so recht: "Eigentlich warten wir dringend auf die Verschiebung des Stichtags und auf neuere Zellen", sagt er.

© SZ vom 11.02.2008/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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