Städte:Marxloh ist nicht überall

Im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist immer wieder von "No Go Areas" die Rede. Gemessen an den Zuständen in den USA aber auch Großbritan-nien, sollten sich die Politiker hier besser zurückhalten.

Von Joachim Käppner

Ein amerikanischer Reiseführer schrieb in einer Anwandlung von Galgenhumor einmal über die übel beleumdete South Side von Chicago: "Frauen und unbewaffnete Männer sollten nicht zu weit nach Süden gehen." Straßenzüge, ja ganze Stadtviertel, in die sich normale Bürger gar nicht mehr wagen, gehören seit Jahrzehnten zum Alltag der USA. Sie sind Thema ungezählter Thriller ("Die Farben der Gewalt") und aufwühlender Sozialreportagen wie jener des Journalisten David Simon, der ein Jahr lang auf den "Killing Streets" von Baltimore recherchierte.

No-go-Areas sind ein politischer Kampfbegriff

Von Chicago, wo die Mordrate 2016 wieder massiv stieg, sind deutsche Zustände unendlich weit entfernt, glücklicherweise. Der CDU-Opposition in Nordrhein-Westfalen ist es dennoch gelungen, den regierenden Sozialdemokraten mit dem Thema der "No-go-Areas" zuzusetzen, die sich angeblich einem Geschwür gleich in vielen Städten des alten Industrielandes ausbreiten. Gemessen an den USA oder mehr noch den Drogenmetropolen Lateinamerikas, gemessen an etlichen Banlieues Frankreichs und inner cities des nördlichen Englands ist diese Behauptung überspannt. Die deutsche Gesellschaft besaß bislang genug Integrationskräfte, um einen Zerfall der Stadtgesellschaften weitgehend zu vermeiden; deswegen ist No-go-Area hier eher ein politischer Kampfbegriff. Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt, "Angsträume" sind Ausnahmen und nicht die Regel. Selbst in Gegenden von üblem Ruf wie der Dortmunder Nordstadt gibt es eine rege junge Kulturszene und viel Bürgersinn, und auch das Land selbst unternimmt vieles gegen den Niedergang solcher Quartiere. Marxloh ist nicht überall, auch nicht in Nordrhein-Westfalen.

Das soll jedoch keineswegs heißen, dass sich in Gegenden wie eben dem bundesweit berüchtigte Duisburg-Marxloh, wo die überforderte Polizei die Politik um Hilfe anflehte, nicht höchst bedenkliche Zustände ausgebreitet haben: soziale Verwahrlosung, Kriminalität, wachsendes Bedrohungsgefühl ihrer Bewohner.

Die Opposition in NRW redet die Lage schlechter als sie ist, die SPD-Regierung macht es umgekehrt. Beides ist der Sache wenig dienlich, denn die Aufgabenliste ist konkret und lang. Weder eine Landesregierung noch eine Stadt allein kann sie bewältigen. Die Polizei bräuchte mehr Personal, schwache Großstädte benötigen mehr Hilfe von Bund und Land, auch von der EU. Diese Städte haben das Problem sozial abgleitender Viertel oft gar nicht verursacht, können es aber aus eigener Kraft nicht lösen: organisierte Kriminelle locken arme Menschen aus EU-Beitrittsländern Osteuropas dorthin und beuten sie aus. Auch ist der Zustand inakzeptabel, dass kriminelle nahöstliche Clans unter Missbrauch des Asylrechts einen Stadtteil tyrannisieren, dass offene Drogenszenen entstehen und dass normale Familien, darunter viele türkische, lieber das Weite suchen.

Nein, es gibt in Deutschland noch keine No-go-Area wie in den USA. Aber es ist an der hohen Zeit, dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kommt.

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