Staatsmänner:Eine Lebensleistung

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Schimon Peres war ein Ausnahmepolitiker, wie ihn weder Israel noch andere Staaten heute kennen. Warum das so ist? Das kurzatmige, taktische Geschäft lässt keinen Platz mehr für Visionen.

Von Stefan Kornelius

Schimon Peres war ohne Zweifel ein großer Mann. Es ist nicht vielen Menschen vergönnt, schon zu Lebzeiten zum Inventar der Weltgeschichte gezählt zu werden, aber Peres war einer von ihnen. Sicher: Viele Politiker aus der Führungsspitze eines Staates werden qua Amt zur historischen Figur - und sei es nur für die Landesgeschichte. Peres aber trug den Ehrentitel Staatsmann schon seit vielen Jahren, was den Respekt vor seiner politischen Leistung, seiner Ausdauer und vor allem seiner Vision und der Strahlkraft seines Charakters ausdrücken sollte.

Staatsmann, und auch dies: Staatsfrau, wird man nicht per Wahlmehrheit oder Ordensverleihung. Solche Führungspersönlichkeiten leben von der Ausnahmearbeit, die sie für ein Land oder noch mehr für eine Idee geleistet haben. Am wichtigsten ist jedoch, dass diese Arbeit eine weitgehend universelle, positive Anerkennung findet. Ein Menschenschlächter oder Despot wird nie als Staatsmann bezeichnet werden. Ein Charaktergigant wie Nelson Mandela oder auch ein Konrad Adenauer im Nachkriegs-Deutschland und -Europa schon.

Warum gibt es kaum noch Ausnahmefiguren wie Peres?

Es ist zwecklos, eine Definition zu suchen, mit deren Hilfe sich politische Größe messen lässt. Die Anordnung der Lebensbausteine und die Wahrnehmung einer Leistung gehorchen auch dem Zufall. Staatsmänner machen Geschichte, sie sind aber auch das Produkt von Geschichte. In Umkehrung von Goethe gilt deshalb: Man weiß es, wenn man es sieht. Bei Peres entfaltete sich die Aura erst nach vielen Jahrzehnten im Dienst der Öffentlichkeit, eine Zeit, in der er Kriege befohlen, Land besetzt, aber auch Frieden verhandelt hat.

Bemerkenswert ist, dass es vor allem die Gründergeneration Israels war, die Staatsfrauen und -männer dieser Kategorie hervorgebracht hat - und dass dieser Politikerschlag heute besonders in Israel fehlt. Warum das so ist? Große Figuren der Politik haben ein großes Thema, eine faszinierende politische Vision, die ansteckt und begeistert. Für die Gründergeneration Israels war es der eigene Staat, der im Schatten der Schoah viel mehr als nur Heimat sein musste. Einige dieser Gründer wie Peres und Jitzchak Rabin waren weitsichtig genug, um später einen Ausgleich für das mit dem Staatsaufbau begangene Unrecht an den Palästinensern zu suchen und die ewige Spirale aus Härte und Hass zu durchbrechen.

Wer in Jerusalem vor dem Damaskustor steht, der weiß, warum gerade dieser Flecken Erde mit all seiner politischen, religiösen und historischen Aufladung außergewöhnliche Persönlichkeiten braucht, deren Charisma eine Gesellschaft trägt. Umso bemerkenswerter ist es, dass nicht nur die israelische Politik diesen Typus heute nicht mehr hervorbringt. Obwohl es nicht an Krisen mangelt, stirbt der Staatsmann aus. Die Zeiten verlangen stattdessen nach Taktikern im Tagesgeschäft, geschickten Jongleuren im Stimmungsspiel. Das Tempo der Politik verschleißt das Personal. Was ein Schimon Peres in mehr als 70 Jahren eines öffentlichen Lebens aufbauen konnte, wird so schnell keiner leisten.

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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