Air Berlin:Staatshilfen sind für jeden Politiker verführerisch

Air Berlin

Air Berlin meldete Insolvenz an.

(Foto: Getty Images)

Und auch Air Berlin dürfte es nicht schaden, dass bald Wahl ist. Einen Sieg kann sich mit 150 Millionen Euro trotzdem keine Partei erkaufen.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Der Abend des 24. November 1999 gilt in Deutschlands jüngerer Geschichte manchen als Geburtsstunde der publikumswirksamen Staatsintervention. Beschäftigte des Baukonzerns Holzmann feierten Kanzler Schröder in Frankfurt medienwirksam mit "Gerhard, Gerhard!"-Rufen; seine SPD bejubelte ihn als großen Wirtschaftspolitiker, je linker die Genossinnen und Genossen waren, desto lauter. Die eindrucksvollen Fernsehbilder ließen sogar oppositionelle Kritiker verstummen. Eine wirtschaftspolitische Rettungsaktion mit solcher Breitenwirkung hatte es noch nie gegeben.

Die Holzmann-Rettung war ein Präzedenzfall für die politische Strahlkraft, aber auch für die ökonomische Wirksamkeit staatlichen Eingreifens: Der Baukonzern ging drei Jahre später trotzdem pleite, Holzmann steht historisch nicht auf Schröders Haben-Seite. Und auch danach haben sich staatliche Hilfen für angeschlagene Unternehmen zumindest nicht zu einer kontinuierlichen Erfolgsgeschichte entwickelt. Die politische Versuchung zur Intervention hat trotzdem überlebt. Nun gewährt die Regierung solche Hilfe auch der Fluggesellschaft Air Berlin. Darf die das? Oder ist das nur Wahlkampf?

Im großen Rahmen hat Deutschland beides erlebt: den ungebremsten Zusammenbruch ganzer Industrien, aber auch gigantische staatliche Rettungstaten. Die Spanne reicht vom schmerzhaften Strukturwandel im Ruhrgebiet bis zur umstrittenen Bankenrettung in der Finanzkrise; von den Hochöfen in Duisburg-Rheinhausen bis zum Turm der Commerzbank in Frankfurt.

Die Parteizugehörigkeit der handelnden Politiker war für ihr Verhalten zweitrangig: Der Sozialdemokrat Hans Koschnick konnte in Bremen das Werftensterben nicht aufhalten; der Kohl-Enkel Roland Koch in Hessen war ein großer Staatswirtschaftler, wenn es um Opel ging. Und der größte Interventionist überhaupt war vielleicht der CSUler Franz Josef Strauß, der mit einem Milliarden-Kredit für die DDR nicht nur einer Volkswirtschaft, sondern einem ganzen System Überbrückungshilfe zuteil werden ließ.

Entscheidung über Erhalt oder Verlust von Arbeitsplätzen

Gleichwohl sind gerade die Einzelfälle im kleinen Rahmen in jüngerer Zeit politisch oft besonders umstritten. Sie reichen seit Holzmann über Opel, Karstadt, Quelle und Schlecker bis zu Tengelmann und Air Berlin. Die Frage der Rettung eines Unternehmens - was in der Regel vor allem die Entscheidung über Erhalt oder Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet - ist schon jenseits der ökonomischen Sinnfrage für jeden Politiker verführerisch: Im oft starren prozessualen Gefüge des Regierungsalltags gibt es nicht oft die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die für einzelne Menschen unmittelbar so viel Wirkung und in den Medien so viel Wahrnehmung erzeugen.

Für jedes Unternehmen und seine Beschäftigten bedeutet es somit auch einen Lichtblick in der Not, wenn die Insolvenz in Zeiten des Wahlkampfs fällt. Das hat im Sommer 2009 Opel geholfen, und vorübergehend damals auch dem Versandhaus Quelle. Und es hat jetzt, fünf Wochen vor der Wahl 2017, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Air Berlin nicht geschadet. Mit der Versuchung zum staatlichen Eingriff geht deshalb häufig der Verdacht der politischen Profilierung mit Steuergeldern einher. Doch muss man das gar nicht so negativ sehen, wie es klingt.

Denn die Unmittelbarkeit, die dem politischen Handeln innewohnt, erfahren ja vor allem die persönlich Betroffenen. Der Eingriff der Politik in den Wettbewerb gehört zum politischen Wettbewerb. Genauso wie der Verzicht auf staatliche Hilfe. Außerdem erfordert das Abwägen zwischen Unterstützung und Unterlassung Mut und Argumente, was Politiker besser unterscheidbar macht, egal, was sie beschließen.

Im Übrigen ist die Werbewirksamkeit für Wahlen überschaubar, um nicht zu sagen: unkalkulierbar. Schröder wurde 2002, nur wenige Monate nach der endgültigen Holzmann-Pleite, trotzdem wieder Kanzler. Die großkoalitionären Retter von Opel fuhren hingegen 2009 sehr mäßige (Angela Merkels CDU) bis verheerende (Frank-Walter Steinmeiers SPD) Ergebnisse ein. Die FDP wiederum, die sich 2012 bei der Schlecker-Pleite entschieden hatte, dem, was sie für Ordnungspolitik hielt, durch die Verweigerung staatlicher Hilfe Geltung zu verschaffen - diese FDP flog ein Jahr später trotzdem aus dem Bundestag. Und Sigmar Gabriel, der die Rettung der Tengelmann-Arbeitsplätze als einen seiner größten Erfolge verbuchte, verzichtete mangels Erfolgsaussichten dennoch auf die Kanzlerkandidatur.

Insofern mag der wirtschaftliche Sinn der Bürgschaft für Air Berlin in Zweifel stehen. Nicht aber, dass sich mit diesen 150 Millionen Euro bestimmt niemand einen Wahlsieg kaufen kann.

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