Staatsbesuch in der Türkei:Bundespräsident Wulff wendet sich gegen die CSU

Bundespräsident Wulff nimmt die Türken in Schutz und stellt sich gegen CSU-Chef Seehofer. "Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch."

Schon vor seinem Abflug waren die Erwartungen groß an Christian Wulff. Politiker aus allen Parteien haben dem Bundespräsidenten zahlreiche Forderungen und gute Ratschläge mit auf den Weg gegeben.

Bundespräsident Wulff in der Türkei

Bundespräsident Christian Wulff (li.) Seite an Seite mit dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül. In einem Zeitungsinterview hatte sich Wulff gegen CSU-Chef Seehofer gestellt und türkische Zuwanderer in Schutz genommen.  

(Foto: dpa)

Wulffs Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Zum Auftakt seines Türkei-Besuchs gab Wulff der großen türkischen Boulevardzeitung Hürriyet ein Interview. In dem Gespräch setzte Wulff ein erstes Zeichen - und zerstreute die Hoffnungen manch konservativer Unionspolitiker, ihr Parteifreund im höchsten Staatsamt würde zurückrudern. Wulff ruderte nicht zurück, sondern legte nach und widersprach in deutlichen Worten den Thesen von CSU-Chef Horst Seehofer über die mangelnde Integrationsfähigkeit von Türken.

"Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil", sagte Wulff der Hürriyet. "Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch." Auf die Frage, ob Türken nicht integrierbar seien, sagte der Bundespräsident, es komme auf den einzelnen Menschen an. Der Staat müsse Angebote zur Integration machen, die der Einzelne dann aber auch annehmen müsse.

Die in Deutschland lebenden Türken rief Wulff dazu auf, die deutsche Sprache zu lernen und das Grundgesetz anzuerkennen.

"In streng religiösen Milieus" gebe es unter Zuwanderern in Deutschland "nicht akzeptable Abschottungen und Auffassungen, die mit unserer Rechtsordnung nicht vereinbar sind". Viele Probleme hätten ihre Lösung darin, dass die Türken Deutsch lernten, sagte Wulff. Nur so öffneten sich beispielsweise alle Türen des Bildungssystems.

"Surfen auf der Sarrazin-Welle"

Noch deutlicher als Wulff wurde die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer Kritik an Seehofer. "Der CSU-Chef will hier offenbar auf der Sarrazin-Welle surfen", sagte die FDP-Politikerin der Passauer Neuen Presse. Der bayerische Ministerpräsident suche "nach einem Thema zur persönlichen Profilierung".

Bundespraesident Wulff besucht die Tuerkei

Als erstes deutsches Staatsoberhaupt wird Wulff, der von seiner Frau Bettina begleitet wird, vor der türkischen Nationalversammlung eine Rede halten.

(Foto: dapd)

Während Wulff seine großen Auftritte in der Türkei noch vor sich hat, tobt in der Heimat weiter ein Streit um die Integration - besonders innerhalb der Regierungskoalition. So lehnt die Justizministerin strengere Sanktionen gegen integrationsunwillige Migranten ab. Es gebe bereits "wirksame Sanktionsmöglichkeiten von Kürzungen der Sozialleistungen bis hin zur Beendigung des Aufenthaltsstatus". Diese Instrumente müssten nur angewendet werden.

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, forderte in der Rheinischen Post dagegen schnellere und härtere Sanktionen gegen Integrationsverweigerer. "Wer Sozialleistungen in Anspruch nehmen will, muss sich integrieren", sagte Friedrich. Im Gegensatz zu anderen Ländern würden Integrationsverweigerer in Deutschland "in ein weiches Sozialnetz" fallen. Zudem lehnt Friedrich das von der FDP geforderte Punktesystem zur Steuerung der Zuwanderung ab.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sprach sich erneut für eine stärkere Zuwanderung ausländischer Fachkräfte aus. "Wir müssen ganz konkret werben, dass die Besten in unser Land kommen", sagte die CDU-Politikerin im ZDF.

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis da Widerspruch aus den eigenen Reihen kommt.

Wulff wird versuchen, sich von dem Streit in Deutschland nicht beeindrucken zu lassen. Zum offiziellen Auftakt seines viertägigen Staatsbesuchs wird er am heutigen Dienstag in Ankara mit dem türkischen Präsidenten Gül und mit Ministerpräsident Erdogan sprechen. Höhepunkt der Reise wird die Rede vor der türkischen Nationalversammlung: Noch kein deutsches Staatsoberhaupt durfte hier sprechen.

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