Spionageaffäre:Regierung will Bundestag NSA-Spähliste vorenthalten

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Angela Merkel bei einem Interview im Bundeskanzleramt wenige Tage vor Beginn des G-7-Gipfels in Schloss Elmau. (Foto: dpa)
  • Das Kanzleramt will die NSA-Liste mit Suchbegriffen nicht dem Bundestag übergeben. Stattdessen soll ein Ermittler eingesetzt werden, der später Bericht erstattet.
  • Das Kanzleramt möchte, dass die Regierung diese Person ernennt. Die SPD will, dass der Bundestag entscheidet. Führende Sozialdemokraten regen an, dass die Opposition einen eigenen zweiten Ermittler ernennen darf.
  • Fest steht: Die USA haben nicht einmal dem von der Regierung favorisierten Verfahren zugestimmt.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo , München

Das Bundeskanzleramt will die Selektorenliste der NSA nicht dem Deutschen Bundestag vorlegen. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR soll stattdessen eine Art Ermittlungsbeauftragter Einsicht in die Unterlagen erhalten und im Herbst dem NSA-Untersuchungsausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium Bericht erstatten. Bei der Liste handelt es sich um Suchbegriffe für Spionageziele der NSA in Europa; der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte bei der Ausspähung geholfen.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) unterbreitete diesen Vorschlag vertraulich Anfang der Woche wichtigen Vertretern von Union und SPD. Die SPD zögert noch. Es ist aber damit zu rechnen, dass sich die Bundesregierung noch in dieser Woche auf einen gemeinsamen Vorschlag verständigen wird.

Völkerrechtliche Vereinbarung über US-Geheimdienstmaterial

Das Kanzleramt strebt eine Lösung an, die vorsieht, dass das Parlament eine Art Ermittlungsbeauftragten vorschlägt, den aber die Regierung benennt. Es soll sich um eine Person handeln, die sowohl von der Regierung als auch vom Parlament akzeptiert wird. Die SPD besteht auf einer Ernennung durch das Parlament.

Nach einer völkerrechtlichen Vereinbarung darf Geheimdienstmaterial der Vereinigten Staaten nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung an Personen weitergeleitet werden, die nicht der Regierung angehören. Diese Zustimmung der USA aber hat es in den Gesprächen Altmaiers mit dem Stabschef des Weißen Hauses, Denis McDonough, über die NSA-Liste nicht gegeben.

Linke und Grüne erwägen Verfassungsklage

Auf Anfrage erklärte eine Regierungssprecherin in Berlin, das Konsultationsverfahren laufe noch. Führende Sozialdemokraten trugen in dem Gespräch mit Altmaier die Idee vor, die Opposition aus Linken und Grünen dürfe einen eigenen zweiten Ermittlungsbeauftragten ernennen. Über den Vorschlag wurde noch nicht entschieden. Die Regierung muss damit rechnen, dass Linke und Grüne vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage einreichen werden, damit das Parlament Einsicht in die Unterlagen bekommt.

Feststeht, dass die US-Regierung auch dem von der Bundesregierung jetzt favorisierten Verfahren mit dem Ermittlungsbeauftragten nicht zugestimmt hat. Das Kanzleramt will sich bei seiner Entscheidung auf einen Präzedenzfall berufen: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 setzte der damalige Präsident George W. Bush eine Untersuchungskommission ein, die auch streng geheime Unterlagen aus Deutschland einsehen durfte. Washington hatte damals die Deutschen nicht um Genehmigung gefragt, sondern die Entscheidung den Deutschen lediglich mitgeteilt. Das Auswärtige Amt verwies jetzt in einer völkerrechtlichen Expertise darauf, die US-Regierung habe 2004 die Position vertreten, dass die deutschen Geheimunterlagen einer Ermittlungskommission vorgelegt werden dürften, der auch US-Parlamentarier angehörten. Das Ministerium verwies darauf , dass sich damals auch das Bundesinnenministerium dieser Rechtsauffassung angeschlossen habe.

© SZ vom 10.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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