Spionage:Wie ein deutscher Geheimdienst die ganze Welt abhört

Illustration zur Datenspionage

In Frankfurt befindet sich der weltweit größte Internet-Knotenpunkt.

(Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Die Datenüberwachung durch den BND muss von der sogenannten G-10-Kommission des Bundestags genehmigt werden. Mehrere Mitglieder des Gremiums fühlen sich inzwischen aber hintergangen.
  • In Frankfurt befindet sich der weltweit größte Netz-Knotenpunkt. Dort fängt der Nachrichtendienst massenhaft E-Mails, Chatunterhaltungen und Gespräche ab. Ausländische Daten gelten dabei bislang nicht als schützenswert.
  • Nach heftiger Kritik will die Bundesregierung jetzt einen Gesetzesvorschlag in den Bundestag einbringen, der die Abhörung von Ausländern regelt.

Von Georg Mascolo, Berlin

Einmal im Monat tritt in einem abhörsicheren Saal im Keller des Bundestages ein geheim tagendes Gremium zusammen. Acht Mitglieder der sogenannten G-10-Kommission treffen sich mit Spitzenbeamten der deutschen Geheimdienste und genehmigen, ähnlich einem Gericht, Abhörmaßnahmen.

G-10 steht für den gleichnamigen Grundgesetzartikel Nummer 10, der das Fernmeldegeheimnis der Deutschen schützt. Ohne ein Ja der Kommission dürfen mutmaßliche Terroristen oder Waffenschieber nicht überwacht werden. An diesem Donnerstag findet die nächste Sitzung statt.

Traditionell gilt das Verhältnis zwischen Regierung, Geheimdiensten und der G-10-Kommission als gut. Heute muss man wohl sagen: Es galt als gut. Seit Monaten berichten Regierungsbeamte von einem zunehmend gestörten Verhältnis, von einer regelrechten Vertrauenskrise ist die Rede. So sehen es auch einige Mitglieder der Kommission, wie der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Hofmann. Hofmanns Kritik ist hart, er spricht von "Trickserei" und einem "Missbrauch der Kommission" durch die Bundesregierung. "Die BND-Rechtsexperten haben das Grundrecht auf Bewahrung des Fernmeldegeheimnisses regelrecht zerschossen. Will die G-10-Kommission ihren beachtlich guten Ruf nicht verlieren, sollte sie auf eine neue gesetzliche Grundlage in dieser Legislaturperiode dringen und für den Übergang eine grundgesetzkonforme Regelung mit dem Kanzleramt aushandeln."

"Die G-10-Kommission wird als trojanisches Pferd missbraucht", rügt ein Mitglied

Hofmann, einst Kriminaloberrat im Bundeskriminalamt, ist alles andere als ein Geheimdienstkritiker. Mit seiner Kritik steht er nicht allein, bereits im vergangenen Jahr berichtete die Zeit über wachsende Zweifel in der Kommission. Jetzt spitzt sich die Lage zu: "Die Stimmung ist deutlich angespannt," sagt Berthold Huber, der stellvertretende Vorsitzende.

Der Streit ist eine direkte Folge der Snowden-Enthüllungen, er führt tief hinein in die ebenso komplizierte wie umstrittene Praxis der Massenüberwachung. Milliarden Telefonate, Chats und Mails werden abgegriffen und durch die Computer der Geheimdienste geleitet, die sie nach brauchbaren Informationen durchsuchen.

Der frühere Chef der technischen Aufklärung des BND verglich diese Praxis vor dem NSA-Untersuchungsausschuss mit der Suche nach Gold, da müsse man auch Tonnen von Gestein bewegen, um auch nur ein Gramm Gold zu finden. "Es kommt nicht darauf an, wie mächtig ein durchsuchter Datenstrom ist, sondern wie zweckdienlich die erzielte Ausbeute ist."

Die Anzahl der Kritiker und Gegner dieser Methode wächst, verzichten will dennoch niemand darauf. BND-Präsident Gerhard Schindler sagte einmal in vertraulicher Runde, ohne Fernmeldeaufklärung "kann ich den Laden dichtmachen."

Die Daten von Ausländern gelten nicht als schützenswert

In der G-10-Kommission entzündet sich die Kritik vor allem an zwei Punkten: Wie alle anderen Länder hält auch Deutschland nur die Kommunikation seiner eigener Staatsbürger (und all jener, die in Deutschland leben) für schützenswert, ohne Genehmigung der Kommission darf nichts überwacht werden. Alle anderen aber sind vogelfrei. Im NSA-Untersuchungsausschuss sagte ein Zeuge des BND, solche Telekommunikations-Verkehre seien "zum Abschuss freigegeben."

Juristen wie der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, argumentierten bereits vor Monaten, diese Praxis sei rechtswidrig. Der Schutz des Grundgesetzes müsse auch für Ausländer gelten, sonst sei der BND ja nicht anders als die NSA. Auf Aufforderung der Kommission legte die Regierung ein Kurzgutachten vor und verteidigte ihre Praxis: Spionage sei schließlich völkerrechtlich nicht verboten. Überzeugt hat sie damit offenbar nicht alle. Mitglieder der G-10-Kommission wie Hofmann und Huber bleiben bei ihrer Kritik. Und auch Hans de With, fast 15 Jahre lang Vorsitzender der Kommission, machte jüngst vor dem Untersuchungsausschuss Zweifel deutlich. Das BND-Vorgehen sei so "nicht mehr lange vertretbar. Man könnte und kann uns vorwerfen: Na, ihr betreibt ja auch Rasterfahndung im Ausland."

Mitglieder der Kommission fühlen sich von der Regierung betrogen

Der zweite Punkt ist noch heikler, Mitglieder der Kommission fühlen sich von der Regierung betrogen. Man sei über den wahren Zweck von Überwachungsmaßnahmen getäuscht worden. Deutschland ist eines der wichtigsten Transitländer weltweit für Kommunikation. Wegen der zentralen Lage fließen jeden Tag ungeheure Datenmengen aus Afrika, Asien, Amerika und Osteuropa über deutsche Leitungen. Es geht zu wie im Sommer auf den deutschen Autobahnen.

Der BND macht sich diese Lage zunutze und zapft Datenmengen ab, vor allem am weltgrößten Internet-Knoten DE-CIX in Frankfurt, bei dem 1200 Glasfaserkabel aus aller Welt zusammenlaufen. Ein Teil der sogenannten Verkehre wird, wie es der BND nennt, "gespiegelt", eine Kopie wird erstellt und nach brauchbaren Informationen durchsucht.

Erst durch Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR wurde im vergangenen Oktober bekannt, dass der BND einen Teil der an einem anderen Frankfurter Internet-Knoten abgezapften Daten im Rahmen der Operation "Eikonal" an die NSA weiterleitete. Die G-10-Kommission hatte den Zugriff auf die Kabel genehmigt, aber offenbar nie etwas von der heiklen Kooperation erfahren. Die Kommission glaubte zudem, dass es nur darum ginge, in den riesigen Datenbeständen nach deutschen Verdächtigen zu suchen.

Nun aber vermuten Kommissionsmitglieder, dass die Bundesregierung die Zustimmung missbrauchte, um die durch Deutschland verlaufende Transit-Kommunikation von Ausländern abzugreifen. In den BND-Akten findet sich die Formulierung "Türöffner." Die Bundesregierung jedoch bestreitet das, aber einigen im BND war das Risiko von Beginn an durchaus bewusst. In einem Vermerk warnte die zuständige Abteilung davor, was passieren könnte, wenn die Sache auffliegt: "Moratorium der G-10-Erfassung und parlamentarische Befassung mit unabsehbaren Folgen für FmA" (gemeint ist die Fernmeldeaufklärung, die Red.) des BND.

Deutschland muss nun eine gesetzliche Regelung für das Abhören von Ausländern schaffen

Diese unabsehbaren Folgen sind nun eingetreten. "Die G-10-Kommission wird als trojanisches Pferd missbraucht", behauptet Hofmann, das Ganze geschehe mit Wissen des Kanzleramts. Dort ist man über einen Vorschlag des stellvertretenden Vorsitzenden Huber alarmiert: Man solle dem BND Zugriffe auf Glasfaserkabel in Deutschland nur noch dann genehmigen, wenn der BND schriftlich zusichere, dass reine Transitverkehre von Ausländern dabei nicht abgegriffen werden. Kanzleramtsminister Peter Altmaier müsse die Garantie gegenzeichnen. Der BND würde eine seiner wichtigsten Informationsquellen verlieren. Weil DE-CIX nun ankündigt, vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen und die BND-Praxis überprüfen zu lassen, eskaliert die Lage weiter.

Lange hatte die Regierung gehofft, die nach Edward Snowden losgebrochene Diskussion aussitzen zu können. Innenminister Thomas de Maizière erregte sich vor Vertrauten einmal über die Vorstellung, dass man für das Abhören von kolumbianischen Drogenbaronen die gleichen Maßstäbe anlegen solle, wie für deutsche Grundrechtsträger. Inzwischen hat das Kanzleramt den Widerstand aufgeben, man arbeitet an einer Gesetzesnovelle, die noch vor dem Sommer vorliegen soll. Der Kampf ist verloren. Auch der Koalitionspartner SPD hat intern angekündigt, dass er die bisherige Praxis nicht mehr mittragen mag.

Deutschland steht nun vor der Aufgabe als einziges Land der Welt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für das Abhören von Ausländern zu schaffen. Bei vielen in der Regierung ist der Ärger darüber groß, denn man will die eigenen Praktiken nicht mit denen der NSA gleichsetzen lassen. Vor dem Untersuchungsausschuss empörte sich ein ehemaliger leitender BND-Mann, er wisse nicht, "warum man nur allzu gerne glaubt, der BND wäre ein übermächtiger Nachfolger der Staatssicherheit der DDR oder eine Vereinigung von Tausenden Kriminellen." Die Amerikaner, gleichsam ein "Google der Geheimdienste", würden riesige Mengen an Kommunikation abfangen und die Daten auf unbestimmte Zeit speichern. Wer weiß, wofür man sie einmal brauchen könne.

Das Kanzleramt will auf keinen Fall ein regelrechtes Spionage-Gesetz

Der BND - so sagt es die Bundesregierung - fängt auch viel ab, das Gros der Daten werde aber schon beim ersten Filtern sofort aussortiert. Vor dem Untersuchungsausschuss argumentierten BND-Experten, das Ganze geschehe in Echtzeit, wie bei einem Verdampfungsprozess - 99,9 Prozent der Kommunikation würden sofort vernichtet. Das dürfe man sich nicht als echten Eingriff in die Freiheit der Kommunikation vorstellen.

Das kann man auch anders sehen, aber das Kanzleramt möchte den Aufstand von Opposition, Juristen, G-10-Kommission und DE-CIX am liebsten mit einem schlichten Satz im BND-Gesetz erledigen. Die elektronische Aufklärung von Ausländern wird ausdrücklich erlaubt. In keinem Fall möchte man ein regelrechtes Spionagegesetz in dem sich finden würde, was und wer überwacht werden darf.

Die SPD will die G-10-Kommission aufrüsten

Eine einfache Klarstellung aber ist dem Koalitionspartner zu wenig. Sie will eine Aufrüstung der G-10-Kommission. Der BND soll zumindest im Nachhinein offenlegen, was und wen er abhört. Es wäre das Ende einer jahrzehntelangen Praxis, in der nur Regierung und Geheimdienst darüber entscheiden, in welchem Umfang sie Bürger- und Freiheitsrechte von Ausländern einschränken.

In der SPD kursiert die Idee, dass die Kommission ein umfangreiches Kontrollrecht erhält und jederzeit die Überwachungspraxis des BND überprüfen darf. Noch weitergehende Vorschläge präsentierte im Namen der Stiftung "Neue Verantwortung" der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning. Er will, dass die G-10-Kommission künftig jede Abhörmaßnahme weltweit genehmigen muss, ein Anwalt soll dabei auf die Wahrung der Grundrechte achten.

Dabei werden vermutlich weder Regierung noch Parlament mitmachen. Aber ebenso fraglich ist, ob die Bundesregierung mit ihrem Plan einer möglichst geräuschlosen und dürren Gesetzesänderung durchkommen wird. Gesucht wird die Antwort auf die durch die Snowden-Enthüllungen aufgeworfene Frage: Wie kann man sicherstellen, dass Geheimdienste in demokratischen Staaten ihre legitimen Aufgaben erfüllen, ohne dabei die Kommunikation von Millionen von Menschen zu verletzen. Hofmann setzt auf den Bundestag: "Das wird ein äußerst spannender Gesetzgebungsprozess, in dem sich zeigen kann, wie eigenständig und stark das Parlament ist."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: