Spionage-Affäre:Wenig Verständnis aus Washington

Den deutschen Zorn über die Spähaffäre haben die USA diesmal wahrgenommen. Doch auf Verständnis kann die Bundesregierung trotzdem nicht hoffen: Aus Washingtons Sicht ist Deutschland ein unzuverlässiger Partner - und selbst für das Debakel verantwortlich.

Von Nicolas Richter, Washington

Die Wahrheit hat sich Robert Gates immer für den Schluss aufgehoben. Ein Leben lang galt der frühere US-Verteidigungsminister als diplomatischer Mensch; wenn er aber Abschied nahm, ließ Gates seine Zeitgenossen schon mal wissen, was er wirklich von ihnen hielt.

Im Sommer vor drei Jahren, kurz vor seinem Rückzug aus dem Pentagon, hielt Gates eine Abschiedsrede in der Nato-Stadt Brüssel, es wurde eine Wutrede gegen seine Verbündeten. In Washington, sagte er, verliere man langsam die Bereitschaft und Geduld, das knappe Geld auszugeben für Länder, die sich ihre eigene Verteidigung nichts kosten lassen wollten. Diese Länder seien nicht willens, "ernsthafte und fähige Partner" zu sein, zürnte Gates.

Er meinte natürlich vor allem Deutschland: Damals bombardierte eine internationale Koalition gerade das Regime des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi; Berlin aber verweigerte sich, militärisch wie politisch. Als der UN-Sicherheitsrat über die Intervention abstimmte, enthielt sich die Bundesrepublik.

US-Geheimdienstkreise machen Deutschland für das Debakel verantwortlich

In diesen Tagen nun erschüttert bereits die zweite Spionageaffäre in kurzer Zeit das deutsch-amerikanische Verhältnis. Anders als sonst hat man den Berliner Zorn diesmal durchaus wahrgenommen in den USA. Wenn Kanzlerin Angela Merkel sich also Gehör schaffen wollte, indem sie den obersten US-Agenten nach Hause schickte, so ist ihr dies gelungen. Aber die Deutschen können nicht nur Verständnis erwarten. In Washingtons Geheimdienstkreisen macht man Deutschland selbst für das Debakel verantwortlich: Die Bundesrepublik bedürfe der US-Aufsicht, weil sie sich wiederholt als unzuverlässige, gar unberechenbare Verbündete erwiesen habe.

"Es gibt ein deutsches Wort, es heißt Bündnisfähigkeit. Aus der Sicht vieler hochrangiger Leute in der US-Regierung ist Deutschland nicht bündnisfähig", erklärte kürzlich etwa Mark Lowenthal, ein früherer Berater der US-Geheimdienste. Im Gespräch mit dem Sender PBS warf er Merkel vor, sie habe überreagiert, getrieben von der Stimmung zu Hause.

Lowenthal rechtfertigte die Spionage amerikanischer Dienste auch in der Sache: Deutschlands Verhalten verlange danach, dass sich CIA und NSA ein eigenes Bild der Lage machten. Lowenthal erwähnte insbesondere die Libyen-Krise vor drei Jahren: "Es gibt Themen, da haben wir keine Gewissheit über die deutsche Haltung, und da kann es erforderlich sein, dass man sich Informationen mit anderen Mitteln beschafft."

Es wäre "unverantwortlich", die Bundesregierung nicht auszuforschen

U.S. Secretary of State Kerry and German Foreign Minister Steinmeier try to decide which way to walk before a bilateral meeting in Vienna

Auf der Suche nach einer gemeinsamen Richtung: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (rechts) und sein US-Kollege John Kerry am Sonntag in Wien.

(Foto: Jim Bourg/Reuters)

Lowenthal vertritt die Meinung einer einflussreichen Gruppe aus Geheimdienstlern, republikanischen Politikern und rechten Medien. Aus deren Sicht ziehen sich die Deutschen immer gern zurück, wenn es irgendwo brenzlig wird und kungeln gleichzeitig mit zweifelhaften Regimes, wenn es ihren Interessen dient. "Die USA wären unverantwortlich, wenn sie die Bundesregierung nicht ausforschen würden", schrieb jüngst das konservative Wall Street Journal auf seiner Meinungsseite. Deutschland pflege engere wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Russland und Iran als die meisten westlichen Länder. "Die USA müssen diese Beziehungen verstehen, und das erfordert geheimdienstliche Aufklärung." Die Überschrift des Editorials lautete, mit einigem Sarkasmus versehen: "Unsere Freunde, die Deutschen."

Auch Mike Rogers, ein Republikaner und Vorsitzender des Ausschusses für Geheimdienste im Abgeordnetenhaus, kritisierte die Berliner Entscheidung, den dortigen CIA-Chef auf die Heimreise zu schicken. "Das ist keine sehr erwachsene Reaktion", sagte Rogers dem Sender CNN. Eine solche Brüskierung erwarte man von Russland, Iran oder Nordkorea, nicht aber von den Deutschen. Im Übrigen, merkte Rogers an, könne er mit einiger Gewissheit verraten, dass deutsche Dienste umgekehrt auch Amerikaner ausforschten.

Die Liste der Belege für die deutsche Unzuverlässigkeit ist lang

Im vergangenen Herbst hatte sich herausgestellt, dass die National Security Agency das Mobiltelefon von Kanzlerin Angela Merkel abhörte. Schon damals setzten konservative US-Experten der deutschen Empörung den Vorwurf entgegen, die Bundesrepublik sei nicht ganz so vertrauenswürdig, wie es sich die Deutschen vielleicht vormachten. Die Liste echter oder vermeintlicher Belege für diese These ist lang. Sie beginnt damit, dass der Stasi-Agent Günter Guillaume einst im Kanzleramt Willy Brandts spionierte: Wenn die Bundesregierung schon durch Leute aus dem Osten unterwandert sei, dann müssten sich die Amerikaner ja wohl erkundigen dürfen. Auch wird daran erinnert, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in den Achtzigerjahren als Agent des sowjetischen KGB von Dresden aus operiert habe.

Als neuere Beweise für die deutsche Unzuverlässigkeit fungieren: das sehr öffentliche Zerwürfnis zwischen Kanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush über den Irak-Krieg, Schröders Kontakte zu Putin und dem russischen Konzern Gazprom, die traditionellen Handelsbeziehungen deutscher Firmen zu Iran, die aus US-Sicht zu wenig kämpferische Rolle der Bundeswehr in Afghanistan, die Enthaltung im Libyen-Konflikt. Diese heterogene Mischung aus Vorgängen und Vorwürfen soll erklären, warum man bei den Deutschen ein bisschen näher hinsehen muss. Manche Verfechter dieser These mögen das wirklich glauben, andere dürften diese Argumente eher dafür nutzen, den US-Geheimdienstapparat zu schützen, der sich seit den Enthüllungen Edward Snowdens zur NSA ohnehin belagert fühlt.

Im Herbst 2013 wählte Rogers einen Vergleich, der US-Spionage gegen Feind wie Freund für alle Zeiten rechtfertigen sollte: Er erinnerte an die Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, als die USA ihre Freunde aus Rücksicht nicht belauscht hätten; daraufhin habe man den Aufstieg von Faschismus, Kommunismus und Imperialismus verschlafen. Die Lehre: "Wir müssen alle Informationen sammeln, die dem Interesse der USA dienen könnten." Sollte Merkel also auf die Idee kommen, in Polen einzumarschieren, würde es die CIA diesmal frühzeitig erfahren.

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