Spionage-Affäre:Erstaunliche Dreistigkeit der Amerikaner

File picture shows the main entrance of Germany's intelligence agency Bundesnachrichtendienst (BND) headquarters in Pullach

Sieben Jahre schon arbeitet Markus R. beim Bundesnachrichtendienst in Pullach. Es geht nicht so recht voran. Da hat er eine Idee.

(Foto: Alexandra Winkler/Reuters)

Da könnte einer für Russland spionieren, denken sie beim Verfassungsschutz und beim MAD. Und stoßen auf zwei Männer, die womöglich Geheimnisse an die USA verraten. Die Geschichte einer ganz und gar unwahrscheinlichen Begebenheit.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Bastian Obermayer und Tanjev Schultz

Dies ist die Geschichte einer ganz und gar unwahrscheinlichen Begebenheit. Und jedes neue Detail, das man recherchiert, lässt die größte deutsch-amerikanische Spionage-Affäre immer noch absurder erscheinen in all ihren Wendungen.

Alles begann mit einem doppelten Irrtum: Der Verdacht der deutschen Geheimdienste ging in eine völlig andere Richtung. Erst glaubten sie, einen russischen Spion gefunden zu haben, dann sogar einen zweiten. In Wahrheit arbeiteten beide wohl mit den US-Amerikanern zusammen - der eine mehr, der andere weniger. Nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hängen beide Fälle zusammen. Wahrscheinlich wäre man ihnen ohne den ersten Irrtum gar nicht auf die Fährte gekommen.

Der Amerikaner ist großzügig

Die unerhörte Geschichte dieses Irrtums, der zur Wahrheit führt, beginnt im Jahr 2010 mit einer Denunziation. Ein anonymer Tippgeber meldet sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Er beschuldigt Manfred Willinghaus, der in Wirklichkeit anders heißt, ein russischer Spion zu sein. Willinghaus hat eine Zeitlang im Auftrag des Auswärtigen Amtes gearbeitet, und wechselte dann zum Verteidigungsministerium. Im Bendlerblock hat er Zugang zu sensiblen Informationen. Wenn er wirklich für die Russen gearbeitet hätte - was er nicht tat, nach allem, was man heute weiß -, wäre das ein ernsthaftes Problem gewesen.

Klar ist also: Dieser Sache muss nachgegangen werden. Der Verfassungsschutz und später auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) heften sich an seine Spur. Russen finden sie allerdings nicht. Manfred Willinghaus war eine Zeitlang auf dem Balkan eingesetzt. Zu seinem Vorgesetzten von damals, einem Amerikaner, hat er ein freundschaftliches Verhältnis behalten. Sie telefonieren viel, schreiben Mails. Und immer wieder schickt Willinghaus auch Dokumente, die mit Kosovo zu tun haben, manchmal auch nur Presseausschnitte. Der Amerikaner ist ein großzügiger Mensch. Er zahlt gerne Reisen und Hotelaufenthalte, mindestens einen Trip in die Türkei.

Das muss nichts bedeuten: Der großzügige Amerikaner lädt auch andere ein. Die deutschen Dienste blicken noch immer nicht durch, die russische Theorie jedenfalls verwerfen sie nicht. Im Frühjahr 2014 fragen sie sicherheitshalber auch mal beim BND, was die Kollegen dort denn so wüssten über Willinghaus und die Russen.

Die Anfrage des Verfassungsschutzes landet in der Abteilung Einsatzgebiete Auslandsbeziehungen (EA) in Pullach. Sie landet dort auf dem Schreibtisch jenes Mannes, dessen Enttarnung vergangene Woche die Spionage-Affäre ausgelöst hat: Markus R. Hier laufen die Fälle zusammen.

Vielleicht zahlen die Russen ja mehr?

Zu diesem Zeitpunkt, so wird R. es später schildern, steckt er in einer Krise. Sieben Jahre schon macht er seinen Job beim BND, er kommt nicht voran, er verdient nicht besonders gut. Er ist angeblich sogar drauf und dran, alles hinzuwerfen. Dann hat er eine andere Idee: Er könnte ja selbst an die Russen herantreten. Dazu muss man wissen: Markus R. ist damals schon in Diensten der US-Amerikaner. Seit etwa zwei Jahren liefert er ihnen Material. Das aber hat sich nicht so wirklich bezahlt gemacht: 25 000 Euro hat er bekommen. Das ist nicht die Welt.

Vielleicht zahlen die Russen ja mehr? Markus R. legt sich einen neuen anonymen E-Mail-Account zu und schreibt am 28. Mai 2014 ans russische Generalkonsulat in München. Und weil er den Russen gleich mal zeigen will, dass er Zugang zu wertvollen Geheiminformationen hat, hängt er an die Mail die Anfrage des Verfassungsschutzes zu Manfred Willinghaus. Die war ja bei ihm, beim BND, gelandet.

Die Sache ist nur die: So wenig die deutschen Geheimdienste die angeblich befreundeten US-Geheimdienste im Visier haben, so sehr haben sie die russischen Dienste unter Beobachtung. Will sagen: Die Deutschen erfahren, dass die Russen dieses Papier haben. So kommt zu einem Spionagefall plötzlich ein zweiter. Immer diese Russen.

Die Staatsaffäre ist da

Beim BND bricht Hektik aus, der Maulwurf wird gesucht. In monatelangen Ermittlungen wird nachvollzogen, wer die Willinghaus-Papiere auf dem Tisch hatte. Am Schluss bleibt eigentlich nur Markus R. übrig als vermeintlicher Doppelagent in russischen Diensten. Die internen Ermittler finden heraus, dass R. am 19. Juli ein Treffen im Ausland vereinbart hat - mit seinem russischen Verbindungsmann, das zumindest denken die Deutschen. Das Risiko, dass er dabei brisantes Material übergibt, wollen weder der BND noch die Bundesanwälte eingehen. Sie beschließen, Markus R. festzunehmen.

Erst als er am 2. Juli im Verhörzimmer bei der Bundesanwaltschaft gesteht - die Vernehmung dauert von 11.20 Uhr bis kurz nach 20 Uhr - wird aus dem angeblichen russischen ein tatsächlicher US-Spion. Erst da wird aus einer handelsüblichen russisch-deutschen Geheimdienstangelegenheit eine höchst ungewöhnliche, geradezu unerhörte Sache: CIA wirbt deutschen BND-Mann an.

Die Staatsaffäre ist da. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums erfahren in einem abhörsicheren Raum im Keller des Reichstages am vergangenen Donnerstag zum ersten Mal die ganze Geschichte der beiden Spionagefälle, die seit Tagen die Republik bewegt. Die Bundesregierung ist aufgebracht, die Kanzlerin höchstselbst ist sauer.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt, dass man über "so viel Dummheit" nur weinen könne. In Berlin denken sie darüber nach, sich einen 360-Grad-Blick zuzulegen, künftig also auch die amerikanische Botschaft und die amerikanischen Generalkonsulate abzuhören. Ob das die Deutschen überhaupt schaffen? Die Kanzlerin hat ihre Zweifel. Am Ende muss sogar der CIA-Statthalter Deutschland verlassen.

Und im Zentrum dieser immer größer werdenden Geschichte steht Markus R., der wirklich keine große Nummer war in Pullach. Jetzt sitzt er in Karlsruhe in Untersuchungshaft, "völlig überrascht von der öffentlichen Reaktion", sagt sein Verteidiger, der Karlsruher Anwalt Klaus Schroth, 74. Der hat schon die wirklich großen Spione verteidigt, den DDR-Agenten Rainer Rupp zum Beispiel, Deckname Topas. In diese Kategorie gehört Markus R. wirklich nicht.

R. sei "schon auch hellwach"

Er ist aber auch nicht der seltsame Kauz, zu den ihn Geheimdienstkreise jetzt erklären wollen, wohl um die Angelegenheit kleiner zu reden. So ist beispielsweise von einer nicht näher definierten Behinderung des Mannes die Rede. Tatsächlich hat Markus R. einen Impfschaden erlitten, er zieht ein Bein nach, und manchmal spricht er wohl auch etwas schleppend. Aber er ist "schon auch hellwach", wie ein Bekannter es formuliert. Und er hat durchweg gute Beurteilungen für seine Arbeit bekommen. Er ist auch kein sozialer Sonderling, er hat eine Lebensgefährtin und Geschwister, denen er nahe steht.

Das Geständnis, das Markus R. später vor einer Ermittlungsrichterin beim Bundesgerichtshof wiederholt, geht so: Mitte 2012 wendet er sich per Mail - markus.googlemail.com - an die amerikanische Botschaft in Berlin und bietet sich als Lieferant von Nachrichten an. Er kommuniziert über ein Verschlüsselungs-Programm, das hinter einer Wetter-App versteckt ist. Klingt ganz schön raffiniert.

R. schreibt an die Botschaft

Ausgerechnet an die amerikanische Botschaft schreibt er also, das muss man so sagen. Seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden wird über die US-Botschaft in Berlin ja viel gerätselt. Große Flächen der Außenwände bestehen aus einem anderen Material als die Umgebung. Spezialisten vermuten, dass dort Abhörtechnik verborgen ist und dass auch von dort aus das Handy der Kanzlerin abgehört wurde. Sicher ist, dass die Botschaft ein Platz für viele Diplomaten und für ganz viele amerikanischen Agenten ist. Natürlich hat auch der Deutschland-Chef der CIA in der Botschaft ein Büro.

Markus R. schreibt an die Botschaft, weil er offenbar vermutet, dass von dort die Einsätze gesteuert werden - auch die vielen kleinen Spionierereien der Amerikaner in Deutschland. So muss das doch laufen, oder? Offenbar weiß der Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes damit mehr als die gesamte deutsche Spionageabwehr. Die wusste ja angeblich nicht, was die Amerikaner in Deutschland und von der Botschaft aus so alles treiben.

Aber tatsächlich: Kurz nach der Mail meldet sich bei ihm ein Mann, der sich "Craig" nennt. Er sagt nicht, für welchen der amerikanischen Geheimdienste er arbeitet, aber er ist sehr interessiert. Man trifft sich dreimal, jeweils in Österreich, jeweils sehr kurz. Markus R. bringt Material mit, das er "Craig" übergibt. Im Gegenzug gibt es Bargeld: zweimal 10 000 Euro, einmal 5000 Euro. Es wird weniger, das enttäuscht Markus R. Aber er hat angeblich nie bestimmte Summen verlangt und sich dann auch nicht beschwert.

"Craig" interessiert sich für jedes geheime Blatt Papier, auf dem der Name Amerika steht. Markus R. soll einfach selbst aussuchen, was er für wichtig hält. Erst beim letzten Treffen soll "Craig" nach Dokumenten gefragt haben, die es beim BND über die NSA gebe. Und tatsächlich bekam "Craig" immerhin eine Anweisung der BND-Leitung an alle Mitarbeiter, wegen des Untersuchungsausschusses des Bundestages keine Papiere mit NSA-Bezug zu vernichten.

Stück für Stück schmuggelt Markus R. die Papiere aus dem Dienst, scannt sie zu Hause ein, schwärzt die verräterischen sogenannten Tagebuchnummern und vernichtet die Originale. Papiere herauszuschaffen ist in Pullach nicht sonderlich schwer. Taschenkontrollen finden nur selten statt, Leibesvisitationen nie.

Ob es tatsächlich nur die nun oft genannten 218 Dokumente sind, die sich auf dem beschlagnahmten UBS-Stick befinden, ist bis heute unklar. Markus R. sagt, mehr habe er nicht herausgeschafft. Aber das muss nicht stimmen.

Was wird nun aus den beiden Fällen?

Markus R. beteuert, dass er sich es am Ende anders überlegt habe, dass er doch nicht für die Russen habe arbeiten wollen. Es sei ja schon etwas anderes, die Amerikaner zu beliefern - die seien ja Freunde. Für diese Version spricht, dass Markus R. nach seiner Mail ans russische Generalkonsulat tatsächlich nicht auf Kontaktversuche reagiert hat und den Mail-Account abmeldete. Tatsächlich haben sich auch nicht die Russen gemeldet, sondern der deutsche Verfassungsschutz, der den Maulwurf in eine Falle locken wollte.

Was wird nun aus den beiden Fällen? Markus R. wird angeklagt werden, dafür reichen die Beweise wohl allemal. Vermutlich wird ein Gutachter jetzt bewerten müssen, wie schwer der Verdacht gegen Markus R. wirklich wiegt. Und das Parlamentarische Kontrollgremium will die 218 Dokumente ebenfalls sehen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Das könnte womöglich interessant werden. Amerikanische Stellen streuen bereits den Verdacht, in den von Markus R. gelieferten Dokumenten fänden sich auch Belege dafür, dass der BND in Sachen Spionage in Richtung Amerika nicht ganz so harmlos sei, wie er tue.

Markus R. hat von seinem Anwalt derweil einen Fernseher bekommen, damit er auch in der Haft die Fußball-Weltmeisterschaft schauen kann. Am Freitag kurz vor zehn Uhr bekam R. erstmals Besuch von einem Sachverständigen, einem Psychiater, der ihn untersuchen sollte. Sein Anwalt hat die Einsetzung des Sachverständigen beantragt, die Bundesanwaltschaft war einverstanden. Markus R. wird vermutlich bald in ein Gefängnis in Bayern verlegt werden, der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht München stattfinden.

Sein Verbindungsmann "Craig" dagegen wird kaum aufzutreiben sein. Es gibt noch nicht einmal klare Beweise dafür, dass er den US-Amerikanern zuzurechnen ist - noch hat man ja nur Markus R. und sein Geständnis. Obschon wirklich dafür alles spricht, dass die Amerikaner ihn tatsächlich eingespannt haben, so sieht es auch die Bundesregierung. Allein schon, weil ein offizielles oder informelles Dementi bis heute aussteht.

War es naiv zu glauben, die CIA würde hier nicht spionieren?

Bei Manfred Willinghaus, dem Mann aus dem Verteidigungsministerium, ist die Beweislage ungleich uneindeutiger. Seine Wohnung und das Büro im Bendlerblock wurden durchsucht, weil die jahrelange Observation durch den Verfassungsschutz keine harten Beweise erbrachte. Manchmal findet sich bei solchen Durchsuchungen belastendes Material - oder der Verdächtige gesteht.

Letzteres zumindest geschah nicht, Willinghaus gab sich offenbar regelrecht empört in seiner Vernehmung. Mit seinem ehemaligen Vorgesetzten verbinde ihn lediglich eine Freundschaft, das habe mit Spionage nicht das Geringste zu tun. Derzeit werden noch sein Computer, sein Handy und ein paar beschlagnahmte Unterlagen ausgewertet. Aber für eine Anklage müsste man zum einen seinem amerikanischen Freund nachweisen, dass er für einen US-Geheimdienst gearbeitet hat, und Willinghaus, davon gewusst zu haben.

Am Ende muss man fragen, ob es nicht naiv ist, sich darüber zu wundern, dass die Amerikaner hierzulande spionieren? Möglicherweise. Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen sollte auch dem letzten klar sein, dass die US-Geheimdienste weder Grenzen kennen noch Hemmungen, wenn es darum geht, noch ein Dokument, noch eine Quelle, noch eine Erkenntnis zu bekommen. Aber das ändert nichts daran, dass die Dreistigkeit der Amerikaner erstaunlich ist. Diese Affäre wurde ja nicht groß, weil Markus R. der Botschaft schrieb. Sondern weil er Antwort bekam.

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