Afghanistan: Spiel mit Völkerrecht:Töten auf Kommando

Mord oder legale Exekution? Wenn es darum geht, wie Soldaten mit Gegnern umgehen dürfen, drehen Politiker das Recht, wie sie es brauchen. Statt aufzuklären, versucht sich Außenminister Westerwelle in schlechter Propaganda, wenn er gezielte Tötungen für vereinbar mit dem Völkerrecht hält.

Heribert Prantl

Als die Soldaten in den Weltkriegen am großen Morden zweifelten und verzweifelten, bogen sich christliche Feldprediger in ihrer Not das fünfte Gebot zurecht. Zwar lautet es unmissverständlich "Du sollst nicht töten"; aber die Prediger nahmen den Krieg vom Verbot aus und tat so, als sei er eine Parteinahme Gottes. Das erleichterte die Seelsorge.

Geheim-Dokumente zum Afghanistan-Krieg veröffentlicht

Wenn Soldaten Terroristen erschießen, kann das eine illegale Exekution sein. Oder ganz legal.

(Foto: dpa)

Wenn der Bundesaußenminister nun die gezielte Tötung von Terroristen verteidigt, redet er wie ein politischer Feldprediger, um sich die Afghanistan-Politik zu erleichtern. Die Rechtslage sei "eindeutig", hat Guido Westerwelle erklärt; gezielte Tötungen seien mit dem Völkerrecht vereinbar. In dieser Pauschalität ist das nicht Aufklärung, sondern schlechte Propaganda. Aber so werden die Zweifel der Bevölkerung am Krieg in Afghanistan nicht zerstreut, sondern vermehrt. Nicht jeder Verbrecher ist automatisch ein "feindlicher Kämpfer", der nach den Regeln des Kriegsrechts immer und überall niedergemacht werden darf.

In einem Tal des Hindukusch wurden soeben zehn Mitarbeiter einer Hilfsorganisation erschossen, unter ihnen eine Deutsche. Angenommen, man hat Anhaltspunkte dafür, wer die Täter und die Auftraggeber waren: Darf die Bundeswehr sie gezielt töten - ohne weitere Umstände, ohne jede Gerichtsverhandlung und obwohl die Todesstrafe in Deutschland verboten ist? Unter den Opfern waren amerikanische Ärzte. Dürfen US-Militärs Exekutionsraketen fliegen lassen in die Häuser der mutmaßlichen Auftraggeber, wo sie auch deren Frauen und Kinder töten? Ja, das gehört zum Krieg; so sagen die US-Militärs. Und also wird das Strafrecht dann, wenn das Kriegsrecht mehr Handlungsfreiheit gibt, durch Kriegsrecht ersetzt. Wenn dieses Kriegsrecht aber eine Beschwer auferlegt (zum Beispiel bei der Behandlung von Gefangenen nach den Regeln der Genfer Konvention), wird es wieder abgeschaltet.

Recht auf einen fairen Prozess

Wo liegt der Unterschied zwischen illegaler Exekution und legaler Tötung im bewaffneten Konflikt? Im Jahr 2002 eliminierten israelische Streitkräfte ein führendes Hamas-Mitglied, dem die Organisation von Selbstmordattentaten vorgeworfen wurde. Mit ihm wurden 14 Menschen in den Tod gerissen, unter ihnen 13 Kinder. Zerrissen wurde dabei auch ein Kernsatz des Rechtsstaats: Jeder Beschuldigte hat ein Recht auf einen fairen Prozess. Selbst in Staaten, in denen es die Todesstrafe noch gibt, ist das so. Der israelische Oberste Gerichtshof hat es unternommen, vage rechtliche Regeln aufzustellen: Nicht in jedem Fall sei eine gezielte Tötung illegal. Es dürften dabei aber grundsätzlich unbeteiligte Dritte nicht gefährdet werden. Das Urteil war ein Versuch der Einhegung des außer Kontrolle Geratenen. Anders gesagt: ein Exempel für die normative Kraft des Faktischen.

Tod in der Mittagspause

Die USA versuchen die Legalisierung des Extralegalen durch das Wort "Krieg". Sie haben nach dem 11. September 2001 den weltweiten Krieg gegen den Terrorismus ausgerufen. Überall wo Terroristen sind, ist aus US-Sicht Krieg. Im Krieg ist nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts die Tötung des Feindes umfassend erlaubt - und zwar auch dann, wenn der gerade in der Mittagspause ist oder in seiner Kaserne schläft. In Afghanistan herrscht Krieg; man nennt ihn im modernen Völkerrecht bewaffneten Konflikt. Also ist die gezielte Tötung von feindlichen Kämpfern erlaubt. Aber nicht jeder Mensch, der in dem Land lebt, in dem der bewaffnete Konflikt tobt, ist ein "feindlicher Kämpfer", auch nicht jeder Straftäter, selbst dann nicht, wenn man ihn als "Terroristen" bezeichnet.

Pauschalurteil Westerwelles ist rechtswidrig

An der Unterscheidung von aufständischen Kämpfern und Zivilisten kommt man also auch in Afghanistan nicht vorbei; man hätte sich sonst die penible Untersuchung des von Oberst Georg Klein befohlenen Bombardements in Kundus ersparen können. Nur Aufständische, die sich kontinuierlich an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligen, können unter bestimmten Umständen auch außerhalb laufender Kämpfe zu legitimen militärischen Zielen werden. Ein pauschales Einverständnis mit "zielgerichteten Tötungen", wie es der Außenminister formuliert, ist rechtswidrig. So infiziert sich die deutsche Politik mit dem Extralegalen. Die Bundeswehr darf sich auch nicht einfach zum US-Abschussdienstleister machen. Verbrecher, auch Terroristen, müssen grundsätzlich in einem rechtsförmigen Verfahren bestraft werden. Man nennt dieses System Rechtsstaat. Es ist paradox, den Rechtsstaat verteidigen zu wollen, in dem man ihn aussetzt oder kriegsrechtlich überwölbt.

Vor 17 Jahren kam es auf dem Bahnhof in Bad Kleinen zur letzten Schießerei zwischen der Polizei und der RAF, die dem Staat den "Krieg" erklärt hatte. Bei dieser Schießerei kamen ein Polizeibeamter und der Terrorist Wolfgang Grams zu Tode. Bis heute gibt es den - höchstwahrscheinlich falschen - Verdacht, der schon kampfunfähige Grams sei durch einen aufgesetzten Schuss exekutiert worden. Damals trat, um jeglichen bösen Anschein auszuräumen und die politische Verantwortung für die gescheiterte Festnahme zu übernehmen, Bundesinnenminister Rudolf Seiters, CDU, zurück. Solche Sensibilität fehlt der deutschen Politik heute, wenn der Außenminister von zielgerichteten Tötungen wie von Selbstverständlichkeiten spricht.

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