Spesenskandal in Großbritannien:"Jeder mit Horror im Blick"

Eine Hexenjagd, die Politiker in den Selbstmord treiben könnte: Eine britische Abgeordnete erhebt schwere Vorwürfe gegen die Medien, während im Spesenskandal neue Details ans Licht kommen.

Die Berichterstattung über den britischen Spesenskandal kommt einer konservativen Abgeordneten zufolge einer Hexenjagd gleich und könnte Politiker in den Selbstmord treiben. "Die Atmosphäre in Westminster ist kaum mehr auszuhalten", schrieb die Abgeordnete Nadine Dorries in ihrem Internet-Blog.

Spesenskandal in Großbritannien: "Die Atmosphäre in Westminster ist kaum mehr auszuhalten", so eine britische Abgeordnete.

"Die Atmosphäre in Westminster ist kaum mehr auszuhalten", so eine britische Abgeordnete.

(Foto: Foto: Reuters)

Die vom Daily Telegraph ausgelöste, seit zwei Wochen anhaltende Berichterstattung, habe Politiker bis an die Grenze der Belastbarkeit getrieben. Es herrsche eine Atmosphäre, "in der jeder mit Horror im Blick herumläuft", sagte die Abgeordnete der BBC. Dorries gehört zu den Abgeordneten, die der Zeitung zufolge das Spesensystem des Unterhauses missbraucht haben soll.

Rechnungen für Hundefutter und Pornos eingereicht

Der Skandal hat in der britischen Öffentlichkeit für massive Empörung gesorgt. Die Opposition verlangt Neuwahlen. Viele Abgeordnete wurden von ihren Parteien entweder ausgeschlossen oder haben ihren Rücktritt vor den spätestens im Juni 2010 anstehenden Unterhauswahlen angekündigt. Kern der Vorwürfe sind Spesenabrechnungen der Abgeordneten für ihre Zweitwohnsitze. Die Parlamentarier reichten den Medienberichten zufolge auch Rechnungen für Hundefutter bis hin zu Pornofilmen und der Renovierungen ganzer Wohnungen ein.

Die Mehrheit der Briten wünscht sich inzwischen sofortige Neuwahlen. 54 Prozent gaben in einer repräsentativen Umfrage des Instituts Populus für den Fernsehsender ITV an, dass Premierminister Gordon Brown so schnell wie möglich Parlamentswahlen ansetzen sollte. 38 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Brown hatte am Mittwoch Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen bei einer tumultartigen Fragestunde im Parlament zurückgewiesen. Die Abgeordneten debattierten über Vorschläge zu einer Reform des umstrittenen Spesensystems.

1800 Euro für eine Holzinsel im Teich

In seiner seit zwei Wochen andauernden Enthüllungsserie nahm der Daily Telegraph am Donnerstag den Konservativen Peter Viggers aufs Korn. Viggers ließ sich demnach über einen Zeitraum von drei Jahren umgerechnet 34.000 Euro für Gärtnerarbeiten in seinem Haus im südenglischen Hampshire aus öffentlichen Geldern zurückzahlen. Allein mehr als umgerechnet 1800 Euro habe Viggers dem Steuerzahler für eine in seinem Teich schwimmende Holzinsel für Enten in Rechnung gestellt.

Viggers kündigte laut Aussage des konservativen Oppositionsführers David Cameron seinen Rücktritt an. Der Fall des Abgeordneten werde nun von einem parteiinternen Ausschuss untersucht, der die Summe bestimme, die Viggers zurückzahlen müsse, sagte Cameron dem Fernsehsender GMTV.

Cameron, der ein hartes Vorgehen gegen die Nutznießer des Spesenmissbrauchs in seiner Fraktion angekündigt hatte, nahm im Gegenzug den Abgeordneten Bill Wiggin in Schutz. Die Wiggin angekreideten Ausgaben seien offenbar durch einen Fehler beim Ausfüllen der Formulare entstanden. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse jedoch auch Wiggin zurücktreten, sagte Cameron.

Browns Labour-Partei weiter unter Druck

Die neuen Berichte des Daily Telegraph betreffen auch wieder die regierende Labour-Partei von Premierminister Gordon Brown. Demnach zahlten die beiden Minister für Arbeit und Verkehr, James Purnell und Geoff Hoon, durch einen Trick keine Steuern für den Verkauf ihrer Zweitwohnsitze in London. Die beiden Regierungsmitglieder hatten die Wohnungen für den Verkauf als Erstwohnsitze deklariert.

Eine Korruptionsaffäre erschüttert auch das britische Oberhaus. Erstmals seit mehr als 350 Jahren suspendierte die Parlamentskammer zwei seiner Mitglieder: Lord Peter Truscott und Lord Thomas Taylor von der Labour-Partei wurde zur Last gelegt, gegen den Ehrenkodex des Hauses verstoßen zu haben. Sie hatten sich im Gegenzug für eine Zahlung von jährlich umgerechnet 25.500 bis 127.700 Euro bereit erklärt, ihre Kollegen dazu zu bewegen, für Gesetzesänderungen zu stimmen. Journalisten der Sunday Times hatten den beiden Parlamentariern eine Falle gestellt, indem sie sich als Lobbyisten einer ausländischen Firma ausgaben.

Der Skandal im Unterhaus wiederum war ins Rollen gekommen, als ein Unbekannter vertrauliche Computer-Dateien mit den Spesenunterlagen aller Abgeordneten aus den vergangenen Jahren kopiert und Medien für angeblich mindestens 250 000 Pfund zum Kauf anbot. Die Zeitung Daily Telegraph griff zu, behielt aber für sich, wie viel sie für die Informationen zahlte. Seither wertet ein Team von Reportern die Dokumente aus, die Ergebnisse werden tagtäglich von der Zeitung veröffentlicht.

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