Spekulationen über Vizepräsidentschaftskandidaten:Auf der Suche nach der perfekten Nummer zwei

Die US-Republikaner suchen den Super-Vizepräsidenten: Mit welchem Politiker an seiner Seite wird Romney gegen US-Präsident Obama antreten? Mann oder Frau, jung oder alt, Latino oder Tea-Party-Ikone: Für jeden Bewerber finden sich gute Argumente. Zuerst muss aber die Vergangenheit der Kandidaten durchleuchtet werden - das lehrt das Beispiel Sarah Palin.

Matthias Kolb, Washington

Die letzten Tage waren eine gute Vorbereitung für die Wochen, die vor Mitt Romney liegen. In unzähligen Zeitungsartikeln sowie in nahezu jeder Polit-Show im Kabelfernsehen und im Radio werden dem potentiellen Kandidaten der Republikaner Ratschläge gegeben, wen er als Vizepräsident auswählen soll, um am 6. November bessere Chancen gegen US-Präsident Barack Obama zu haben. Veepstakes wird die Dauer-Spekulation genannt. Es gehört zu den großen Herausforderungen des Multimillionärs Romney, trotz der ungewollten Tipps die richtige Person zu wählen - und ein Debakel wie mit Sarah Palin 2008 zu vermeiden.

Marco Rubio Campaigns With Romney In Pennsylvania

Marco Rubio bei einem Wahlkampfauftritt mit Mitt Romney in Aston, Pennsylvania: Der Senator aus Florida gilt als einer der Favoriten für den Posten des Vizepräsidentschaftsbewerbers.

(Foto: AFP)

Dabei singt der Experten-Chor wenig harmonisch. Nur Senator Marco Rubio könne Romney helfen, bei der immer wichtiger werdenden Gruppe der Hispanics zu punkten und den hart umkämpften swing state Florida zu gewinnen, tönt es aus der einen Ecke. Nach den Debatten um Abtreibung und Verhütung ist eine Kandidatin nötig, um die Frauenwelt mit den Republikanern zu versöhnen, rufen die anderen. Sie nennen Namen wie Ex-Außenministerin Condoleezza Rice oder New Mexicos Gouverneurin Susana Martinez.

Ganz falsch, rufen einige Zeitungsredakteure und bringen flugs ein neues Argument ins Spiel: Damit die konservative Basis und die Tea-Party-Anhänger Romney unterstützen und im Wahlkampf von Tür zu Tür ziehen, solle er über seinen Schatten springen und seinen Widersacher Rick Santorum oder Mike Huckabee, den Ex-Gouverneur von Arkansas, als running mate wählen. Und dann ist da noch die Langweiler-Fraktion, die angesichts der heiklen Wirtschaftslage in den USA zu bedenken gibt, dass der Vizepräsident geeignet sein müsse, im Ernstfall das Land zu führen. Deswegen solle Romney auf den erfahrenen Mitch Daniels aus Indiana oder den eher farblosen Rob Portman setzen: Der Senator aus Ohio verhandelte für George W. Bush über internationale Handelspolitik.

Und natürlich wollen die Kabelsender, die bis zum Nominierungsparteitag Ende August viele Stunden Programm füllen müssen, von den Amerikanern wissen, wen sie am liebsten an Romneys Seite sehen würden. Laut CNN liegt Condoleezza Rice mit 26 Prozent vor Rick Santorum (21 Prozent). Marco Rubio aus Florida und Chris Christie, der Gouverneur aus New Jersey, erhalten je 14 Prozent (die vier Favoriten sowie acht weitere Kandidaten werden in dieser Übersicht von Süddeutsche.de vorgestellt).

"Das Verfahren ist brutal"

Allerdings spricht wenig dafür, dass Mitt Romney vor Anfang oder Mitte August bekannt geben wird, für wen er sich entschieden hat. Bisher hat kein Republikaner offen Interesse bekundet. Und Romneys Vertraute Beth Myers, die für die Vorauswahl zuständig ist, will sich offenbar viel Zeit nehmen, um die Kandidaten genau zu überprüfen.

Allen in der Republikanischen Partei ist nach der Performance von Sarah Palin 2008 schmerzhaft bewusst, wie wichtig es ist, den beruflichen und persönlichen Hintergrund sehr genau zu beleuchten - Mitt Romney gehörte selbst zu McCains Kandidaten und musste unter anderem einen umfassenden Fragebogen ausfüllen. Das Verfahren sei "brutal", sagte Senator Lamar Alexander zu Politico.

Der Republikaner aus Tennessee, der 1996 und 2000 Präsident werden wollte, rät den Kandidaten: "Mutet euch und eurer Familie das nur zu, wenn ihr den Posten wirklich haben wollt und sicher seid, dass die Romney-Leute es ernst meinen." Alexanders Leben wurde damals von Dick Cheney überprüft, der nach langer Suche seinem Chef George W. Bush einen ungewöhnlichen Vorschlag machte: sich selbst. Bush akzeptierte und so wurde der Mann aus Wyoming zu einem der einflussreichsten Vizepräsidenten der US-Geschichte.

"Wenn die Nummer eins nicht überzeugt..."

So etwas ist von Beth Myers nicht zu erwarten: Die Juristin arbeitet 2002 für Romney und hat den Millionär im Wahlkampf für den Posten des Gouverneurs von Massachusetts beeindruckt: Damals übernahm sie zu Übungszwecken die Rolle der Amtsinhaberin Shannon O'Brien. Myers war so gut vorbereitet, dass Romney mächtig ins Schwitzen geriet - und dann die Demokratin in den TV-Debatten besiegte. "Niemand außerhalb seiner Familie steht dem Gouverneur näher als Beth", verriet ein Romney-Mitarbeiter der New York Times. Die 55-Jährige wisse, wie Romney seine Entscheidungen treffe - nahezu ausschließlich auf der Basis von Fakten.

Deswegen halten es viele - hier beginnt die zweite Stufe der veepstake-Spekulation - für wahrscheinlich, dass es dem Statistik-Freak Romney wichtig sein wird, einen verlässlichen Partner auszuwählen, der im Ernstfall die USA führen könnte. Dies spricht gegen Kandidaten wie den Medien-Liebling Marco Rubio oder Susana Martinez, die beide noch keine zwei Jahre in ihren Ämtern sind.

Einige Beobachter raten in all dem Spekulationswirrwarr zu Gelassenheit. Stuart Rothenberg zum Beispiel. Er stimmt der Einschätzung von Dick Cheney zu, wonach der Stellvertreter "extrem selten" wahlentscheidend sei. Politologen haben berechnet, dass der Vizepräsident das Wahlergebnis nur um einen halben Prozentpunkt verändert. 2010 wussten 41 Prozent der Amerikaner nicht einmal, wie ihr Vizepräsident heißt (Joe Biden) und dass dieser bei Stimmengleichheit im Senat entscheiden kann.

Rothenbergs Kernargument lautet: "Wenn die Nummer eins nicht überzeugt, kann es die Nummer zwei nicht herausreißen." Dies deckt sich mit den jüngsten Erfahrungen: Sarah Palin konnte 2008 nicht verhindern, dass sich die Mehrheit der Amerikanerinnen gegen John McCain entschied. Vier Jahre zuvor gelang es John Edwards nicht, die Vorbehalte der Südstaaten gegen den elitären Demokraten John Kerry auszuräumen. Kerry konnte sich nicht mal in Edwards' Heimat North Carolina gegen George W. Bush durchsetzen.

"I'm not going to be vice president"

Trotzdem: In den kommenden Wochen werden die Kandidaten versuchen, sich in Position zu bringen. Die typische Strategie dafür hat gerade die Washington Post beschrieben. Demnach betonen die Kandidaten, dass es für sie nichts Wichtigeres gebe, als den jetzigen Job - schließlich seien sie nur den Wählern in ihrem Heimatstaat verpflichtet. Wenn sie sich ein mögliches Angebot überhaupt anhören würden, dann nur "aus Respekt für Gouverneur Romney". Versionen von "I'm not interested" und "I'm not going to be vice president" sind bereits täglich zu hören - ähnlich äußerten sich Dick Cheney und Joe Biden vor zwölf, beziehungsweise vier Jahre.

Laut Washington Post ist es allerdings die beste - und am schwersten durchzuhaltende - Taktik, einfach zu schweigen. Wer den Mund hält, der kann sich nicht versprechen und bringt einen Überraschungseffekt mit, wenn er oder sie ausgewählt wird. 2004 rechnete halb Washington mit John Edwards als running mate Kerrys, weshalb sich das Medieninteresse schnell wieder legte und das Momentum verpuffte. Noch wichtiger sei jedoch etwas anderes: Wahlkampf in eigener Sache darf nur streng geheim hinter den Kulissen geführt werden.

Einen Rat dürfte Mitt Romney mit Interesse gelesen haben: Im Wall Street Journal schrieb Karl Rove, der einflussreiche Berater von George W. Bush, dass er 2000 gegen Cheney argumentiert habe. Heute wisse er, so Rove weiter, dass die Entscheidung von George W. Bush "besser war als mein Rat". Es gehe bei dieser Personalie um das persönliche Vertrauensverhältnis der beiden und um die nötige Führungsstärke im Ernstfall. Für Mitt Romney bedeutet dies in Roves Augen: "Suche die beste Person für den Posten aus und überlass die Politik deinen Mitarbeiten."

Linktipp: Die Washington Post hat ein Online-Spiel mit diversen Kategorien programmiert, um den idealen Vizepräsidenten für Romney auszuwählen. Durchklicken lohnt sich!

Der Autor twittert aus Washington unter @matikolb.

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