SPD will sich Nichtmitgliedern öffnen:"Die Basta-Politik der Ära Schröder wird überwunden"

Was hat die SPD davon, wenn sie Bürger bei der Auswahl des Kandidaten mitbestimmen lässt? Viel, sagt Oskar Niedermayer. Der Berliner Politikwissenschaftler hat die Vorlage geliefert für das Konzept der Genossen, sich Nichtmitgliedern zu öffnen. Er erklärt, warum die SPD dadurch attraktiver wird - und weshalb die anderen Parteien nachziehen müssen.

Michael König

Oskar Niedermayer, 58, ist Professor für Politische Wissenschaft an der FU Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Wahl- und Parteienforschung sowie das Verhältnis der Bürger zur Politik. Für die SPD hat Niedermayer Vorschläge entwickelt, auf deren Grundlage SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Montag einen Plan für eine Parteireform vorstellte. Er soll alsbald dem SPD-Bundesvorstand zugehen und im Dezember auf einem Bundesparteitag beschlossen werden.

Vor dem Bundesparteitag feilt die SPD an ihrem sozialen Profil

Arbeiten an der Außendarstellung: Die SPD setzt auf Bürgerbeteiligung bei der Kandidatenauswahl.

(Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Niedermayer, Sie haben der SPD vorgeschlagen, auch Nichtmitglieder über Kandidaten für öffentliche Ämter und Sachfragen abstimmen zu lassen. Wie soll das funktionieren?

Oskar Niedermayer: Mein Vorschlag sieht vor, dass sich die Partei für sogenannte Unterstützer öffnet. Also für Leute, die nicht Mitglied in der SPD sind, aber bereit, etwas Zeit und Energie aufzuwenden, um sich an Entscheidungen zu beteiligen. Sie müssen sich registrieren lassen, dann bekommen sie genau definierte Rechte für eine bestimmte Aufgabe, etwa die Nominierung von Direktkandidaten für einen Wahlkreis. Auf Versammlungen können sie zusammen mit den Mitgliedern durch ihre Unterschrift auf ausliegenden Listen für einen Kandidaten stimmen und das Ergebnis dieser Vorwahl wird dann einem Nominierungsparteitag als Empfehlung vorgelegt.

sueddeutsche.de: Das heißt, die Mitglieder haben weiterhin das letzte Wort?

Niedermayer: Die finale Entscheidung muss immer bei den Mitgliedern liegen. Das ist wichtig. Das Votum der Unterstützer ist nur eine Empfehlung. Für die Partei besteht kein Zwang, ihr zuzustimmen. Aber es besteht ein gewisser Druck, der umso größer ist, je eindeutiger die Empfehlung ausfällt und je größer die Medienaufmerksamkeit ist. Aber es ist dennoch gewährleistet, dass sich in der Partei niemand vor den Kopf gestoßen fühlt. Außerdem schützt ein zweistufiger Entscheidungsprozess besser vor Manipulationen durch den politischen Gegner.

sueddeutsche.de: Was hat die SPD davon, wenn sie Nichtmitglieder mitbestimmen lässt?

Niedermayer: Die SPD profitiert davon, wenn sie sich öffnet. Es hilft ihr inhaltlich, weil sie neue gesellschaftliche Strömungen einbeziehen kann. Der Mitgliederschwund könnte gestoppt werden, weil die Partei attraktiver wird: Den Mitgliedern wird signalisiert, dass die Basta-Politik der Ära Gerhard Schröder überwunden wird. Und die Unterstützer werden an die Partei herangeführt, um eventuell Vollmitglied zu werden. Außerdem werden bei Wahlen künftig nicht mehr nur die Politiker aufgestellt, die innerparteilich gut ankommen. Sondern jene, die den Kritierien des Wählers entsprechen. Das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf die Machtperspektive und Kampagnenfähigkeit der Partei, ganz klar.

sueddeutsche.de: Manche Mitglieder könnten die Reform ablehnen, weil sie Wahlrechte an das Parteibuch gebunden sehen wollen.

Niedermayer: Das ist die große Schwierigkeit. Hier werden gewachsene Machtverhältnisse berührt. Das betrifft Leute, die die Partei lange am Leben erhalten haben. Man darf die Reform auf keinen Fall gegen diese Menschen durchführen. Man muss sie mitnehmen und überzeugen.

"Die Erwartungen nicht zu hoch schrauben"

sueddeutsche.de: Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen am vergangenen Sonntag haben nur 56 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Mit welcher Beteiligung von Nichtmitgliedern darf die SPD rechnen?

Niedermayer, Oskar

Oskar Niedermayer, Professor für Politische Wissenschaft an der FU Berlin.

Niedermayer: Ich würde die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Es werden nicht Hunderttausende sein, die sich beteiligen. Aber es ist trotzdem eine wichtige Geschichte, weil es Nachahmer finden wird und die demokratische Kultur stärkt.

sueddeutsche.de: Sind Vorwahlen nach diesem Muster langfristig ein Mittel, Politikverdrossenheit zu bekämpfen?

Niedermayer: Ganz eindeutig, ja. Zwar werden viele, die sich nicht für Politik interessieren, dadurch nicht automatisch umgestimmt. Aber eine Menge Menschen ist nur deshalb verdrossen, weil sie keine Einflussmöglichkeiten sieht. Zumindest das Argument kann man beseitigen.

sueddeutsche.de: Rechnen Sie damit, dass die anderen Parteien nachziehen, sobald der SPD-Bundesparteitag im Dezember die Reform beschließt?

Niedermayer: Auch bei der SPD ist es noch ein langer Weg. Man darf sich nichts vormachen: Die Entscheidungsprozesse werden komplizierter, langwieriger und auch teurer. Aber wenn eine Partei damit anfängt und Erfolg hat, der auch in den Medien gewürdigt wird, dann gerät die Konkurrenz unter Druck.

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